Die verschiedenen Pflegeverbände zeigen sich enttäuscht von der Ampelregierung: Viele dringende Aufgaben wurden nicht angegangen. An den zukünftigen Gesundheitsminister oder die Gesundheitsministerin werden nun hohe Erwartungen gestellt.

Eines der wichtigsten Gesetze hängt weiterhin parlamentarisch in der Schwebe, und das betrifft alle Pflegeberufe. Ohne eine schnelle Verabschiedung des Pflegekompetenzgesetzes sehe ich für dieses Jahr schwarz, was die Fachkräftegewinnung angeht.“ Pflegeratspräsidentin Christine Vogler startet ernüchtert ins neue Jahr. Noch im FORUM-Interview, kurz nach dem Zerbrechen der Ampelregierung Anfang November vergangenen Jahres, war die 55-jährige Pflegepädagogin optimistisch, dass das dringend benötigte Pflegekompetenzgesetz noch vor den vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar vom Bundestag verabschiedet würde – auch wenn die rot-grüne Bundesregierung keine eigene Mehrheit mehr hat. „Alle Parteien haben sich auf die Stärkung der Pflege verständigt. Das Gesetz ist im Prinzip fertig, doch trotzdem tut sich im Bundestag nichts. Stillstand ist aber keine Option. Wir haben keine Zeit, alle Gesetze neu zu schreiben“, sagt Vogler kämpferisch, trotz der Verzögerungen. Ein Blick auf den Sitzungsplan des Bundestages für die letzten Wochen der 20. Legislaturperiode zeigt jedoch, dass dieses entscheidende Gesetz vor der Bundestagswahl wohl nicht mehr verabschiedet wird. Denn es bleibt nur eine Sitzungswoche, unterdessen befinden sich die Parteien bereits mitten im Wahlkampf. Konkret geht es um drei Gesetzesvorhaben: das Pflegekompetenzgesetz, das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz und das Gesetz für Advanced Practice Nurses. Alle drei sollen die Kompetenzen der Pflegekräfte erweitern, ihnen mehr Verantwortung übertragen und so die Ärzte entlasten. Zukünftig soll nicht mehr jede medizinische Handlung von Pflegekräften erst durch einen Arzt genehmigt werden müssen. Dieser Kompetenzzuwachs ist zwischen Medizinern und Pflegenden seit Jahren unstrittig und wurde auch von der Politik längst anerkannt. Die notwendigen Mehrheiten dafür gibt es im Bundestag, doch die vorgezogene Neuwahl hat dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für Pflegeratspräsidentin Vogler ist es zudem wichtig, die unterschiedlichen Berufsspezifika in der Pflege aufzuwerten.

Fachpflegekräften sollen zukunftsweisende Perspektiven eröffnet werden, um den Beruf auch langfristig attraktiv zu halten – etwa durch regelmäßige Fortbildungen. Dies würde die Zufriedenheit der Pflegekräfte deutlich steigern, sagt Vogler. „Wir haben hochqualifizierte Pflegekräfte, die jedoch in ihrer Arbeit ausgebremst werden. Diese Verschwendung von Ressourcen ist inakzeptabel und verantwortungslos. Wenn wir die vorhandenen Kompetenzen der Profession Pflege nicht endlich nutzen, wird die pflegerische Versorgung in diesem Land zusammenbrechen. Das hätte verheerende Folgen für unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft.“ Auch die Pflegebedürftigen würden davon profitieren: Ihnen könnten zahlreiche Arzt- und Therapeutentermine erspart bleiben, da sie in Zukunft aus einer Hand betreut würden.
„Pflege braucht ein eigenes Ministerium, um politische Priorität zu erhalten“
Ein weiterer wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Personalnotstands in der Pflege ist die verstärkte Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege ausschließlich durch ausländische Kräfte getragen. Inzwischen stammt bereits jede sechste Pflegekraft aus dem Ausland, so eine aktuelle Statistik der Pflegebranche. Doch in den kommenden Jahren könnte es eng werden. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Ressource bald versiegen könnte“, warnt Pflegeratspräsidentin Vogler. Hintergrund: Deutschland wird international dafür kritisiert, dass das angeworbene Pflegepersonal im Herkunftsland fehlt. Zum Schutz der eigenen Versorgung hat Brasilien kürzlich sämtliche Programme zur Anwerbung von Pflegekräften gestoppt. „Deshalb ist es so wichtig, die Pflege für die bereits Berufstätigen attraktiver zu gestalten. Eigentlich gibt es keinen Fachkräftemangel – viele haben die Pflege nur verlassen und sich anderweitig orientiert. Diese Menschen müssen wir zurückgewinnen.“ Diese Forderung erhebt Christine Vogler seit Jahren, bislang jedoch mit überschaubarem Erfolg.

Das Ergebnis dieser politischen Versäumnisse fasst der Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege (AGVP), Thomas Greiner, treffend zusammen: „Pflegebedürftige und ihre Angehörigen brauchen verlässliche Pflege. Doch immer mehr Menschen landen auf Wartelisten oder finden kein Pflegeheim in ihrer Nähe. Das ist das Resultat einer Pflegepolitik, die auf unterlassene Hilfeleistung hinausläuft.“ Doch dem SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach kann man das nur bedingt anlasten: Das „Heimsterben“ begann schon vor seiner Amtszeit. Dennoch sieht der AGVP-Präsident Greiner das kritisch: Lauterbach hätte vor drei Jahren massiv gegensteuern können. „Seine Politik führt zu Pflegenotstand und einer Staatspflege, in der überforderte Kommunen knappe Heimplätze zuteilen. Der Vertrauensverlust der Menschen in die Pflegeversicherung ist die alarmierende Konsequenz. Pflegeanbieter können Versorgungssicherheit nur mit fairen Rahmenbedingungen gewährleisten. Die nächste Bundesregierung muss Investitionen in Pflegeplätze fördern und die Pflegekrise sofort angehen.“ Das allerdings wird nicht allein der zukünftige Gesundheitsminister entscheiden können. Wenn es darum geht, ein solches Investitionsprogramm für Pflegeunterbringung auf den Weg zu bringen, hat auch der Finanzminister – oder die Finanzministerin – das letzte Wort. Angesichts der angespannten Haushaltslage und der Schuldenbremse scheint ein solches Programm jedoch unwahrscheinlich. Trotzdem glaubt Thomas Greiner, dass sich die Lage wird sich weiter verschärfen wird. Der demografische Wandel wird in den nächsten fünf Jahren endgültig in der Pflege durchschlagen. Experten des Bundesgesundheitsministeriums haben errechnet, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um bis zu zwei Millionen ansteigen könnte. Dies stellt eine personelle und infrastrukturelle Herausforderung dar. Es müsste nicht nur bezahlbarer Wohnraum geschaffen, sondern auch Altenpflegeheime gebaut werden. Die finanziell ohnehin schon überlastete Pflegeversicherung wird dies allein nicht stemmen können. Daher wird die nächste Bundesregierung wohl über ein „Sondervermögen Pflege“ nachdenken müssen, wenn die Pflegeversicherungsbeiträge nicht ins Unermessliche steigen sollen.