Die Saarländerin Berna Tuncer hat erlebt, was viele wohl nicht glauben würden: Sie hat sieben Schlaganfälle überlebt – und sich nicht entmutigen lassen. Nach einer langen Odyssee durch Arztpraxen und Kliniken wurde bei ihr eine chronische Immunschwäche diagnostiziert. Wir erzählen ihre bewegende Geschichte.

Wenn einem Berna Tuncer gegenübersitzt und mit ruhiger Stimme von sich erzählt, würde wohl niemand daran denken, dass sie sieben Schlaganfälle überlebt hat. Und vor allem in der Zeit der Ungewissheit die Kraft hatte, aufzustehen und weiterzumachen. Denn sie erfuhr erst einige Jahre nach dem ersten Schlaganfall, was der Auslöser für die Schlaganfälle war. Doch dazu später mehr.
Berna Tuncer, geboren 1993 in Völklingen und aufgewachsen in Homburg, dachte bis zu ihrem 19. Lebensjahr nicht daran jemals einen, geschweige denn mehrere Schlaganfälle zu erleiden. Wohl aber empfand sie hin und wieder unspezifische Schmerzen, zum Beispiel in den Fersen. Eines Nachts wachte sie auf und spürte eine große Übelkeit und Schwindel im Kopf. Da sie dachte, dass sie sich gleich übergeben muss, lief sie ins Bad. Nachdem ihre Mutter die 112 rief, wurde sie ins nächstgelegene Krankenhaus gefahren. „Die Ärzte dort konnten aber nichts feststellen, auch keinen Schlaganfall, denn der erste war anscheinend sehr klein“, erzählt Berna Tuncer, die heute in Mannheim lebt und als technische Assistentin in der Baubranche arbeitet.
So einschneidend der erste Schlaganfall für die junge Frau auch war, konnte sie danach erst einmal ohne Einschränkungen weiterleben. Berna Tuncer besuchte weiter das BBZ Homburg, wo sie seinerzeit das Fachabitur anstrebte, machte ein schulbegleitendes Praktikum in einem Krankenhaus im Universitätsklinikum des Saarlandes. Wenige Wochen darauf setzte sich die Serie der Schlaganfälle fort, doch wieder konnte nichts gefunden werden. „Ich habe einfach weitergelebt, denn mir blieb ja nichts anderes übrig“, sagt sie.
Anders dagegen war der dritte Schlaganfall. Erneut wurde sie zu Hause nachts wach und spürte ein unangenehmes Kribbeln im rechten Arm. Später erzählte sie ihrer Großmutter, dass sie in diesem Moment alles dafür gegeben hätte, den Arm von ihrem Körper abzutrennen. „Erst dachte ich, dass ich auf meinem Arm eingeschlafen wäre. Für mich fühlte es sich an, als würden Ameisen auf dem Arm hoch und runter laufen“, sagt sie. In jener Nacht, als sie das unangenehme Kribbeln spürte, konnte Berna Tuncer lange nicht einschlafen. Am nächsten Tag fühlte sie sich immer noch unwohl, daher bat sie ihre Mutter darum, sie ins Krankenhaus zu fahren. Im MRT konnte man drei Schlaganfälle sehen, genauer gesagt waren kleinere Hirnblutungen im Gewebe zu erkennen. „Die ersten beiden Schlaganfälle waren so leicht gewesen, dass sie selbst im MRT kaum zu erkennen waren“, erzählt Berna Tuncer.
Konnte sie nach den ersten beiden Schlaganfällen problemlos weiter ihr bisheriges Leben leben, änderte sich das mit dem dritten nach und nach. „Nach meinem dritten Schlaganfall konnte ich nicht mehr richtig laufen und war zeitweilig auf einen Rollator angewiesen. Ich litt unter rechtsseitigen Lähmungserscheinungen. Es fühlte sich an, als lägen auf meiner rechten Körperhälfte schwere Steine, die ich täglich mit mir tragen musste“, schildert sie. Zurückblickend auf diese drastischen Veränderungen sagt sie, fühlte es sich für sie an, als wäre ihr Leben an einem Tiefpunkt.
In dieser schweren Zeit und auch davor wurde Berna Tuncer, wann immer möglich, von ihrer Familie unterstützt. Ihre Mutter hat versucht, immer in ihrer Nähe zu sein, auch in der Zeit, als sie sich in Kliniken aufhielt. „Auch wenn ich gesagt habe: ‚Mama es geht mir gut. Ich wurde gerade in ein Krankenhaus gebracht‘, war ein paar Stunden später schon meine Mama da.“ Auch ihre Tanten, ihre zwei Geschwister – sie hat einen Bruder und eine Schwester – und ihr Vater waren für sie da und halfen ihr. „Mein Vater war immer derjenige, der mich hin- und hergefahren hat“, erzählt die Saarländerin.
Eine tragende Rolle in dem sozialen Netz spielte auch die Physiotherapeutin, die Berna Tuncer behandelte. Als sich abzeichnete, dass die junge Frau in eine Reha-Einrichtung gehen sollte, stellte das sie und ihre Eltern vor die nächste große Entscheidung. In welcher Klinik sollte sie eine Rehabilitation machen? Und vor allem: In welcher wäre sie am besten aufgehoben? Ihre Physiotherapeutin half ihr dabei, eine Rehaklinik zu finden. „Sie hat mir zwei Vorschläge gemacht, wo ich die Reha machen kann, eine Einrichtung in der Bodensee-Region und eine in der Nähe von Konstanz.“ Bevor die Zeit in der Reha startete, konnte sich Berna Tuncer für einige Wochen zu Hause ausruhen und die Zeit mit ihrer Familie genießen. Letztlich erhielt sie 2012 von der Rehaklinik in der Nähe von Konstanz eine Zusage.

Ihre Eltern begleiteten die damals 19-Jährige nach Gailingen, dort befindet sich das Hegau-Jugendwerk, ein neurologisches Krankenhaus und Rehazentrum für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. An die Zeit in Gailingen denkt Berna Tuncer sehr positiv zurück. Vor allem konnte sie sich, ohne sich Sorgen machen zu müssen, auf verschiedene Therapien fokussieren und einfach sie selbst sein. „Die Entspannungs- und Musiktherapie in Gailingen haben mir in der Zeit großen Halt gegeben. Heute nehme ich immer noch Therapien in Anspruch, aber es sind andere als in der Reha“, sagt Berna Tuncer. Nachdem sie drei Monate in der Reha war, hörte sie von ihren Eltern, dass diese einen Arzt gefunden haben, der sie durchchecken sollte. Denn nicht nur sie, auch ihre Mutter und ihr Vater wollten wissen, was die Schlaganfälle ausgelöst hatte. Aber auch der Mediziner konnte keine Diagnose stellen. „Eigentlich hätte er fast eine Diagnose stellen können. Er sagte zu mir, dass mein Immunsystem schwach sei und die Entzündungswerte im Blut zu hoch seien“, sagt sie. Eine sofortige stationäre Aufnahme von Berna Tuncer lehnte der Arzt allerdings ab, er sagte, sie solle wiederkommen, wenn sie einen erneuten Schlaganfall erleide.
Als sie zurück ins Saarland reiste, traf sie tragischerweise der vierte Schlaganfall, wenn auch nur ein eher leichter. „Alle Schlaganfälle waren schlimm, jedes Mal waren Schwindel und Erbrechen die Folgen. Das war ein Alptraum für mich“, erzählt sie. Wieder musste sie sich in stationäre Behandlung begeben. Doch danach sollten noch drei weitere Schlaganfälle folgen. Während ihres zweiten Aufenthalts im Hegau-Jugendwerk, wo sie eine berufsvorbereitende Reha machen wollte, musste Berna Tuncer zwei ischämische Schlaganfälle, also Hirninfarkte, überstehen.
„Es ist mir bewusst geworden, dass ich mein Leben und jede Situation im Hier und Jetzt schätzen lernen sollte“

Als es passierte, war sie abends auf ihrem Zimmer und sah gerade Fernsehen. „Wenn mir schwindelig wurde, wusste ich gleich, dass das nicht gut für mich ist“, erzählt sie. Also holte sie sofort Hilfe, woraufhin sie in Haus B verlegt wurde. Dort ist auch die Station B, wo sie zusammen mit anderen jungen Frührehabilitanten neurologisch behandelt und versorgt wurde. „In Gailingen ist mir bewusst geworden, dass ich mein Leben und die Situation im Hier und Jetzt schätzen lernen sollte – ich habe das in meiner Familie gelernt, auch das Wenige zu schätzen“, berichtet sie. Kraft gegeben und Mut nicht aufzugeben haben ihr auch die Therapeutinnen und Therapeuten in der Rehaklinik. „Viele Ärzte haben in Gailingen zu mir gesagt, dass ich eine starke Frau sei, das war mir damals nicht bewusst“, sagt sie. Durch dieses bestärkende Zureden habe sich in ihr allmählich ein starkes Selbstbewusstsein verfestigt.
Das Leben von Berna Tuncer änderte sich Ende 2014 mit dem sechsten Schlaganfall. Zu diesem Zeitpunkt stand sie vor einem Umbruch, der Aufenthalt in Gailingen näherte sich dem Ende, und Berna Tuncer hatte eine Anmeldung im Berufsbildungswerk zur Technischen Produktdesignerin beantragt. „Der sechste war der gravierendste von allen.“ Die sie behandelnden Ärzte in Gailingen überlegten, in welche Klinik sie die junge Frau einliefern sollen. „Sie haben sich letzten Endes für das Uniklinikum Freiburg entschieden – das war eine gute Entscheidung, weil man mich dort schnell behandelt und die Ursache gefunden hat“, sagt sie.

Als sie abends schließlich im Uniklinikum Freiburg aufgenommen wurde, merkte sie, dass sie nichts mehr schmecken konnte und einfache Wörter wie zum Beispiel „Baum“ vergessen hatte. Auch verstand sie nicht den Inhalt eines Textes, den sie im Beisein eines Logopäden lesen sollte. „Ich wusste erst einmal nicht, was das bedeutet und was der Grund dafür ist.“ Ein entscheidender Fortschritt war, als sich Prof. Dr. Bodo Grimbacher der jungen Schlaganfall-Betroffenen annahm. Grimbacher, der als wissenschaftlicher Direktor das Zentrum für chronische Immundefizienz an der Freiburger Uniklinik leitet, stellte ihre Patientenakte einem internationalen Netzwerk von Ärzten zur Verfügung, um dadurch herauszufinden, was die Schlaganfälle verursacht haben könnte. Mithilfe eines Arztes aus den USA, der bei seiner Tochter eine seltene Autoimmunerkrankung entdeckte, stellte letztlich Bodo Grimbacher die Diagnose ADA2-Defizienz (siehe Infokasten unten). Damals war Berna Tuncer die erste Frau hierzulande, bei der diese Autoimmunerkrankung festgestellt wurde.
Über ihren Weg zurück in ein normales Leben hat Berna Tuncer ein Buch geschrieben, das 2022 erschienen ist. In „Der Kampf mit dem Unheilbaren“ verarbeitet sie einen Teil ihrer Lebensgeschichte und schreibt, wie sie mit der Diagnose umgegangen ist und danach gelernt hat mit den Veränderungen zu leben. „Mir geht es darum, allen Menschen Hoffnung zu machen, auch denen, die an Depressionen leiden und die Suizidgedanken haben“, erzählt sie. Denn ihr sei ein wichtiges Anliegen, Menschen Mut zu machen, nicht aufzugeben, weiterzumachen. Egal, wie auswegs- und sinnlos die Situation einem Einzelnen erscheine, sei das Leben doch immer noch lebenswert. Heute kann sie immer noch einen Schlaganfall erleiden. Zumindest besteht ein gewisses Risiko. Sie empfindet es als Glück, dass ihr Körper die Therapie positiv aufnimmt. Berna Tuncer versucht weiterhin, positiv und stark zu sein und sich nicht unterkriegen zu lassen.