Der Regisseur David Rohner erzählt in seinem Dokumentarfilm „Als die Kohle verschwand“ vom einstigen Steinkohleabbau im Saarland.
Wie viele Fördertürme aus der Zeit des Steinkohleabbaus im Saarland stehen, weiß David Rohner nicht genau. Die großen metallischen Konstruktionen sind fast überall zu sehen. „Ich bin im Saarland aufgewachsen, daher gehörten die Türme für mich als Kind und Jugendlicher immer zum normalen Anblick“, sagt der 29-Jährige. Nachdem er im Jahr 2016 an der Hochschule für Bildende Künste Saar sein Studium begann, betrachtete er die Fördertürme zunehmend aus der Sicht eines Filmemachers. „Ich begann mich zu fragen, welche Geschichten die Türme und der Steinkohlenbergbau in meiner Heimat enthalten“, sagt Rohner. Über 250 Jahre wurde im Saarland die Steinkohle abgebaut, 2012 war Schluss.

Was für Menschen haben da gearbeitet? Was machen sie heute, und wie denken sie inzwischen über den Steinkohleabbau? Gegen Ende seines Studiums brauchte David Rohner also nicht lange, um ein Projekt für seinen Bachelorabschluss zu finden. „Ich begann, die Hintergründe des Steinkohleabbaus an der Saar zu recherchieren, und beschloss, einen Langfilm über dieses Thema zu drehen.“ Mit Erfolg: „Als die Kohle verschwand“ heißt der Dokumentarfilm, in dem ehemalige Bergmänner von ihrer Arbeit erzählen und von ihrem jetzigen Leben als Senioren.
„Hintergründe des Steinkohleabbaus“
Horst Schmadel hält die Erinnerung an seine Zeit als Bergmann wach durch zahlreiche Gegenstände, die er gesammelt hat und wie in einem kleinen Museum bei sich zu Hause aufbewahrt. In Regalen stehen Fotografien von ihm und seinen Kumpeln unter Tage, Fahrmarken aus Metall zur Identifikation der Arbeiter und eine Figur der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Schmadel zeigt diese Requisiten fast mit Ehrfurcht. Besonders ein Stück Seife mit dem eingestanzten Schriftzug „Haut-Schutz“ und den Symbolen Hammer und Schlegel bedeutet ihm viel. „Ein seltenes Sammlerstück“, erklärt er stolz. „Jede Grubengesellschaft hatte eine eigene Seife, den Geruch habe ich noch heute in der Nase. Die Seife von uns war die Beste.“
Ein sogenannter „Übertage-Mann“ war Jürgen Höll. Die Erinnerungen an seine aktive Zeit baut er aufwendig als Modelleisenbahn nach. Auf einer großen Fläche bei ihm zu Hause steht im Maßstab von etwa 1:87 fast das komplette Gelände seines Arbeitsplatzes mit Gebäuden, Bäumen, Figuren und Eisenbahnen, die leise rattern. „Heute gab es keine Kollision, alles läuft super“, sagt er und ist begeistert wie ein kleiner Junge. Er feilt, sägt und lötet kleine Brettchen, Drähte und Schienen zusammen, um seine Miniaturlandschaft zu vergrößern und zu verfeinern. Wichtig sei das, „weil heute die echten Häuser nicht mehr da sind, die Kohle-Ära ist zu Ende gegangen. Aber hier steht sie noch.“
Regelmäßig trifft sich der Ex-Bergmann Walter Engel mit anderen ehemaligen Untertage-Kumpeln im Saarknappen-Chor. Die Männer singen mit kräftigen Stimmen volkstümliche Zeilen wie: „Drum froh ans Werk, mit lautem Schall: Glück Auf! Glück Auf! Ihr Knappen all, Glück Auf!“ Die Stimmung bei den Proben ist gut, die Männer fühlen sich in ihrer neuen Gemeinschaft eng miteinander verbunden. „Wir sind mit unseren Bergmannsliedern schon in China aufgetreten und von jungen Leuten bejubelt worden“, sagt Walter Engel.
In allen Erzählungen schwingt eine große Wehmut mit. Es scheint, als haben die ehemaligen Bergleute alle schwere körperliche Arbeit, den Staub und die Erschöpfung nach den langen Schichten ausgeblendet. „Es war eine schöne Zeit“, fasst Horst Schmadel zusammen und bedauert bei einem Rundgang über das stillgelegte Gelände, dass die Gebäude verfallen und dazwischen nur noch Katzen umherstreifen. Und Hans-Jürgen Höll sagt: „Mich hat immer sehr beeindruckt, wie die Untertage-Männer gearbeitet haben. Eine ganz besondere Mannschaft!“
„Türme gehörten zum normalen Anblick“
Josef Thomas berichtet von der gefährlichen Seite des Steinkohleabbaus. Der einstige Untertage-Mann erinnert sich noch gut an das Grubenunglück von Luisenthal am 7. Februar 1962. „Wir haben unten gemerkt, dass es einen Bumms gegeben hat“, erzählt er. Die Pressluft sei ausgefallen, das Telefon funktionierte noch. Wie die Lok die Gruppe retten konnte, wie er über die Trümmer gekrabbelt ist, und dass es erst hieß, es seien drei Männer ums Leben gekommen – Josef Thomas weiß alles noch genau. Er erzählt mit zunehmend brüchiger Stimme, dass er nachts um zwei Uhr nach Hause kam und wusste, dass viele Männer aus seiner Nachbarschaft tot waren – insgesamt starben 299 Bergleute. „Sowas kann man nicht vergessen. Das begleitet mich mein Leben lang.“

der Bildenden Künste Saar - Foto: David Rohner
Regisseur David Rohner hat weitere Erzählungen der ehemaligen Bergleute aufgezeichnet. Ein festes Konzept für die Dreharbeiten habe er nicht gehabt, sagt er. „Wir sind immer offen auf die Männer zugegangen und gemeinsam zu den Orten, die ihnen wichtig sind.“ Oft haben er und sein Team den Männern einfach einige Zeit lang zugehört, sagt er. Diese Geduld und Aufmerksamkeit verleiht „Als die Kohle verschwand“ die besondere Tiefe, die beim Zuschauen emotional berührt. Einen erklärenden Off-Kommentar gibt es nicht, ebenso wenig wie Musik. Am Ende der Dreharbeiten sei der Grobschnitt drei Stunden lang gewesen.
Einen Großteil der Kosten hat David Rohner selbst übernommen, die Studienstiftung Saar gab zudem eine finanzielle Förderung. Das Equipment für den Dreh bot zu einem großen Teil die Hochschule der Bildende Künste Saar, obgleich die Hochschule keine spezialisierte Filmhochschule ist. Dennoch betont David Rohner, er habe dort die beste Unterstützung gehabt. Die Professorin Sung-Hyung Cho habe sein Filmprojekt zudem mit großem Fachwissen sehr gut betreut. „Die Hochschule der Bildenden Künste Saar ist in der Region die beste Anlaufstelle für junge Medienmacher“, betont Rohner.
Recherche, Organisation, Dreh und Schnitt: Über zwei Jahre hat David Rohner an dem Film „Als die Kohle verschwand“ gearbeitet. Bereut hat er keine Sekunde, er hat viel Lob für seine Arbeit bekommen. Aber auch persönlich hat ihm das Projekt eine Menge gegeben. „Ich habe viel über meine Heimat und die Menschen gelernt“, sagt er. „Unter den Kumpeln gab und gibt es große Freundschaft und Kameradschaft. Das sind Werte, die wir mit unserem Film bewahren wollen.“