Plakate mit Slogans wie „Mieten runter!“ waren im Wahlkampf unübersehbar. Bezahlbares Wohnen ist eines der drängendsten sozialen Probleme. Dabei würde nicht einmal ein Milliarden-Sondervermögen schnelle Abhilfe schaffen, befürchtet das Bündnis „Soziales Wohnen“.
Ein ziemlich gewohntes Bild in der City West von Berlin, Nähe Bahnhof Zoo: Blaulicht, Mannschaftswagen der Polizei, behelmte Beamte rücken an. Auslöser ist ein überraschender Menschenauflauf. Ungewohnt und eher untypisch ist die Zeit: Sonntagmorgen um neun Uhr vor einem ganz gewöhnlichen Altbauhaus im bürgerlichen Charlottenburger Kiez.
Der Anlass der Versammlung: eine Wohnungsbesichtigung. Drei Zimmer für schlappe 1.700 Euro kalt. Selbst die „Gasetagenheizung“ hält Menschen auf Wohnungssuche nicht ab. Dem Vermieter ist beim Eintreffen in Anbetracht der Menschenansammlung vor dem Haus mulmig geworden, er fordert vorsorglich polizeiliche Verstärkung an. An der Situation ist er nicht ganz unschuldig. Er hatte in einem einschlägigen Internet-Portal den Besichtigungstermin inklusive Adresse angegeben. Den Polizeieinsatz durfte er damit anschließend selber zahlen.
Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum in Deutschland treibt seltsame Blüten, doch der Hintergrund ist ernst und droht zunehmend zu einem sozialen Sprengstoff zu werden. Im geschilderten Fall ging es dabei um eine Wohnung auf dem frei finanzierten Markt, nicht etwa im sozialen Wohnungsbau. „Dieser Markt existiert faktisch nicht mehr, weil es keine freien Wohnungen in diesem Segment mehr gibt“, bringt es der Chef der IG-Bau, Robert Feiger, auf den Punkt.

Der Gewerkschaftschef kennt sich bestens aus, er ist Mitinitiator des Bündnisses „Soziales Wohnen“ von verschiedenen Verbänden aus dem Bau- und Wohnbereich. Außerdem ist Feiger schon aus rein gewerkschaftlicher Profession dem bezahlbaren Wohnen verpflichtet. „Wir haben aktuell einen Wohnungsbestand im Sozialbau von gerade mal einer Million. Das waren vor 30 Jahren noch vier Millionen. Also man sieht, wie dramatisch der Bestand zurückgegangen ist, und in den kommenden Jahren werden es auf jeden Fall weniger, da immer mehr aus der Sozialbindung rausgehen, viel zu wenige neu gebaut werden“. IG-Bau-Chef Feiger schaut wenig hoffnungsfroh in die Zukunft.
Um den Druck vom Mietermarkt zu nehmen, müssten umgehend, also sofort, jedes Jahr mindestens 200.000 Sozialwohnungen gebaut werden, was laut vorsichtigen Überschlagrechnungen elf Milliarden Euro an Zuschüssen des Staates heißen würde. Doch dieser finanzielle Spielraum ist im immer noch nicht beschlossenen Bundeshaushalt für dieses Jahr nicht vorhanden. Es sei denn, die zukünftige Regierung könnte sich für ein Sondervermögen „Soziales Wohnen“ durchringen.
Erst mal aber dürfte sich die Situation weiter verschärfen. Die logischen Konsequenzen beschreibt Feiger: „Arbeitnehmerfamilien oder qualifizierte Arbeitnehmer geben zwischenzeitlich 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens nur fürs Wohnen aus. Da ist nicht mehr viel drin mit Urlaub, Kino oder Essen gehen mit den Kindern.“ Aber selbst eine umgehende Bau-Offensive würde sofort nicht viel helfen, meint Hannes Zapf von der Deutschen Gesellschaft für Wohnungsbau: „Wenn wir jetzt direkt nach der Bundestagswahl ein Sofortprogramm „Sozialer Wohnungsbau“ starten, würde diese Maßnahme auf dem Mietermarkt erst in frühestens zwei, wohl eher in drei Jahren ein bisschen spürbar sein. Eine echte Entspannung ist da aber nicht wirklich zu erwarten, eher eine Entkrampfung in den kommenden zehn Jahren“, so Zapf. Die Zahlen der neuesten Sozialbaustudie des Pestel Instituts sprechen da für sich. Demnach müsste der Staat Menschen mit einem Anspruch auf eine Berechtigung bundesweit sofort rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen bereitstellen. Bei einem jährlich angemahnten Bauvolumen von mindestens 200.000 neuen Sozialwohnungen im Jahr geht es dann nicht mehr um ein Zehn-, sondern eher um ein 20-Jahres-Vorhaben, um den Mietermarkt tatsächlich zu entspannen. Arbeit genug also für die Bundesregierungen in den nächsten fünf Legislaturperioden.