Warum gut gemeinte Verkürzungen die Kommunikation manchmal sogar erschweren
Abkürzungen sollen Zeit sparen. Viele sind hilfreich, manche nur cool. Alle Bereiche sind betroffen, ob im öffentlichen Raum, in der Wissenschaft oder besonders in der Medizin. Dennoch sind Kürzel und auch Modewörter nicht selten überflüssig oder mehrdeutig und erfordern eine Recherche. In diesen Fällen wird die Kommunikation sogar erschwert.
Medizinische Begriffe wie EKG oder auch CT (Computertomographie) sind hier nicht gemeint, denn sie sind inzwischen für viele zum Allgemeingut geworden. Schwieriger wird es mit einem HWI. Soll er oder sie damit zum Urologen, weil es sich um einen Harnwegsinfekt handelt, oder wäre der Kardiologe der kompetentere Ansprechpartner, weil Verdacht auf einen Hinterwandinfarkt besteht? Selbst als fachfremder Kollege kann man an seine Grenzen kommen, wenn im Arztbrief eine DAPT nach PCI bei ACS empfohlen wird. Gemeint ist eine Behandlung mit zwei verschiedenen Medikamenten, die Blutgerinnsel verhindern sollen (DAPT), nachdem Gefäßstützen in Herzkranzgefäße (PCI) meist wegen eines Herzinfarkts (ACS) implantiert wurden. Die exakte Übersetzung der drei Begriffe mögen Interessierte nachschlagen.
Der voraufgegangene langatmige Satz lässt erkennen, dass Abkürzungen im wahrsten Sinn des Wortes kürzen und damit hilfreich sein können. Dennoch sollte es auch in der modernen Medizin möglich sein, Arztbriefe so zu verfassen, dass diese nicht nur von Insidern gelesen und verstanden werden können. Die Medizin wird immer spezieller und damit komplizierter. Als Assistenzarzt habe ich noch Ende der 1960er-Jahre erlebt, wie Patienten nach einem Herzinfarkt sechs Wochen strenge Bettruhe einhalten mussten, was heute ein Kunstfehler wäre. Kürzel waren damals – so meine Erinnerung – seltener.
Die Künstliche Intelligenz – oder sollte ich besser von KI schreiben – wird uns weitere Kürzel bescheren. Als ich vor einiger Zeit im ersten Satz eines deutschsprachigen medizinischen Artikels die beiden Buchstaben AI ohne weitere Erklärung las, dachte ich als Arzt zuallererst an eine Aorteninsuffizienz, eine übliche Abkürzung für einen Herzfehler an der Aortenklappe. Beim weiteren Lesen wurde mir schnell klar, dass es sich um Artificial Intelligence handelt. Eigentlich banal, aber etwas mehr Sorgfalt würde nicht schaden.
In diesen Wochen wird eine digitale Sammelmappe, genannt elektronische Patientenakte, etabliert. Das dafür reservierte Kürzel ePA wird sich sehr schnell durchsetzen und den sperrigen nicht-abgekürzten Begriff ersetzen. Diesmal ist es eine durchaus sinnvolle, weil die Kommunikation erleichternde Abkürzung – unabhängig von möglichen Kritikpunkten zur elektronischen Patientenakte. Die digitale Gesundheit hat inzwischen weitere Fachbegriffe als Abkürzungen generiert. Deshalb Vorsicht, der Teufel liegt im Detail. Siehe HWI!
Auch der Fußball erfindet sich neu. Gemeint sind nicht nur Big Data und KI, sondern die teilweise veränderte Sprache. Neue Wortschöpfungen machen die Runde. Ich will nicht von Pseudo-Akademisierung sprechen, denn tatsächlich hat in diesem Jahrtausend die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen, die sich mit Fußball befassen, exponentiell zugenommen. Aber muss man deshalb, um ein simples Beispiel zu nennen, von der Box sprechen? Der Strafraum hat sich seit ewigen Zeiten nicht verändert. Mittelfeldspieler werden zu Box-to-Box-Spielern verkompliziert. Oder kennen Sie Schienenspieler? Google klärt auf: Es sind die früheren Flügelflitzer, die heute die Außenbahnen wie auf Schienen rauf- und runterrennen. Zweifellos machen maschinelles Lernen/Künstliche Intelligenz auch vor dem Fußball nicht halt, auch wenn bis zu 50 Prozent aller erzielten Tore auf Zufallsfaktoren basieren. Ein Volkssport sollte sich jedoch eine gewisse Bodenständigkeit bewahren.
Ich werde nicht schließen mit MfG, denn das wäre respektlos. Auch das insbesondere in E-Mails beliebte Kürzel „LG“ mutiert zu einer belanglosen Floskel, denn es kann die „lieben Grüße“ nicht ersetzen. So viel Zeit muss sein, um sich freundlich zu verabschieden. Ich versuche es salopp und grüße mit „Servus und auf Wiedersehen“.