Bei nahezu allen großen deutschen Vereinen wurde sein Name schon diskutiert – doch Sandro Wagner will mindestens bis zur WM 2026 Assistent von Bundestrainer Julian Nagelsmann bleiben.

Sein erster Abschied aus der Nationalmannschaft war alles andere als harmonisch. Nationalspieler zu sein, das war sein großes Ziel. Das hatte Sandro Wagner gewohnt forsch auch öffentlich betont. Obwohl die Karriere des U21-Europameisters, der im Alter von sieben Jahren zum FC Bayern München gewechselt war und dort alle Juniorenmannschaften durchlaufen hatte, ins Stocken geraten war.
Nach einem Kreuzbandriss mit 21 als Spieler des Zweitligisten MSV Duisburg folgten schwierige Stationen in Bremen, Kaiserslautern und bei Hertha BSC. Mit 25 war Wagner Ergänzungsspieler in der 2. Liga, mit 27 nur Notnagel bei Bundesligist Hertha. Mit 14 Toren für Aufsteiger Darmstadt begann sein zweiter Frühling, und der nur vier Monate ältere Julian Nagelsmann formte ihn in Hoffenheim doch noch zum Nationalspieler.

Mit 29 Jahren gab Wagner sein Debüt im deutschen A-Team und schwärmte: „Das ist der Anfang einer Liebesbeziehung.“ Bundestrainer Joachim Löw versicherte, mit dem als schwierig geltenden Stürmer, der ein halbes Jahr vorher erklärt hatte, er sei „seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer“, umgehen zu können: „Er ist offen, ehrlich und direkt. Mit solchen Charakteren haben wir keine Probleme.“ Und auch Wagner war sich in Richtung Löw sicher: „Der mag mich unabhängig vom Fußball auch als Typ.“
Überreaktion nach dem Anruf des Bundestrainers
Als erster Spieler seit 40 Jahren schoss Wagner in seinen ersten fünf Länderspielen fünf Treffer und wurde mit der Mannschaft Confed-Cup-Sieger. Die Reise zur WM 2018 hatte er fest eingeplant. „Joshua Kimmich fragte, ob wir in Russland auf ein Zimmer gehen wollen. Die Spieler aus Dortmund schrieben mir: ‚Freust du dich?‘ und ,Kommt deine Frau mit?‘“, erzählte er. An Joachim Löws verhängnisvollen Anruf erinnert er sich noch gut, wie er dem Magazin „11 Freunde“ erzählte. Er sei mit seiner Frau und seinem besten Freund auf dem Weg zurück aus Italien gewesen, wo er ein Haus kaufen wollte, als es gegen 23 Uhr klingelte. „Ich habe auf Lautsprecher gestellt: ,Du bist nicht dabei“, sagte Jogi Löw. Ohne weitere Begründung. Ein paar Sekunden später war das Telefonat auch schon wieder vorbei. Meine Frau, mein bester Freund und ich sprachen bis München kein Wort mehr miteinander.“ Löw hatte ihm den auch schon 29 Jahre alten Freiburger Nils Petersen vorgezogen, der bis dahin noch kein Länderspiel absolviert hatte und es bei der WM auch nie in den Spieltags-Kader schaffte. Doch der galt für Löw wohl als variabler. Und als besserer Joker.

Wagner vermutete andere Gründe, wandte sich direkt an die „Bild“-Zeitung und erklärte seinen Rücktritt: „Ernst nehmen kann ich das natürlich nicht“, sagte er dabei und vermutete: „Für mich ist klar, dass ich mit meiner Art, immer offen, ehrlich und direkt Dinge anzusprechen, anscheinend nicht mit dem Trainerteam zusammenpasse.“ Das konnte Löw so natürlich nicht stehen lassen. Das sei schließlich „Kritik gegenüber seinen Kollegen. Er stellt manche dar (…), als wären sie ausgemachte Vollidioten. Als ob sie nur deswegen bei uns sind, weil sie nicht ihre Meinung sagen.“
Schon ein Jahr später stufte Wagner seine Reaktion selbst als überzogen ein. „Ich hätte die Füße stillhalten und das Turnier abwarten sollen. Aber das bin ich nicht. Das war ich nicht in dem Moment. Das war eine Situation, in der ich mich überhaupt nicht wertgeschätzt gefühlt habe. Da dachte ich: Da kann ich nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich dabei bleibe. Ich hätte die Art und Weise aber cooler lösen können“, erklärte er später im Podcast „Einfach mal Luppen“ von Felix und Toni Kroos.

Mit Löw sei alles geklärt, versicherte er 2020 im „Doppelpass“ bei Sport1: „Wir haben gesprochen. Wir haben ein gutes Verhältnis jetzt. Das ist doch auch schön. Wenn man einen kleinen Zwist hatte, unterschiedlicher Meinung war, sich dann Monate danach ausspricht und das alles passt. Schön, wenn es sowas gibt.“ Es habe jeder „einen Schritt gemacht, und dann haben wir uns in der Mitte getroffen.“
Ein besserer Trainer
Wagner war aber schon immer einer, der polarisierte. Erstens strotzt er nur so vor Selbstbewusstsein, zweitens war seine Brust breit genug für jeden Ärger und drittens suchte er wohl auch ein wenig die Schlagzeilen, je mehr die Karriere stockte. „Ich könnte jetzt sagen, ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad zum Training, aber das mache ich nicht. Ich komme mit dem Porsche zum Training und fühle mich gut dabei“, sagte er einst und erklärte gar, Fußball-Profis seien unterbezahlt: „Gemessen an all dem, was man aufgibt, finde ich, dass auch die bei Bayern zu wenig verdienen – selbst zwölf Millionen oder so.“ Er wusste, dass das Leben als Profi auch Nachteile hatte. Als Mario Götze mal in die Kritik geriet, sagte er: „Andere 23-Jährige, die über ihn lästern, sind jedes Wochenende saufen, haben keinen Plan vom Leben, wohnen noch bei Mama und Papa – und der Junge steht seit Jahren in der Öffentlichkeit und kriegt Dresche ohne Ende.“
Dass er selbst „sicher nicht einer der beliebtesten Spieler“ sei, sei ihm bewusst, sagte er mal. Das sei auch okay. „Ich fand mich auch immer hochgradig unsympathisch.“ Doch das war das Außenbild.
In der Szene war er stets angesehen. „Ich weiß schon, dass ich aufgrund meiner aggressiven und unsympathischen Spielweise den einen oder anderen Fan in den letzten Jahren verstimmt habe – nachvollziehbarerweise“, sagte er zu „Sport1“. „Aber jeder meiner Weggefährten ist mir wohlgesonnen.“

Dass er trotz aller Hindernisse noch eine starke Karriere hinlegte und sich der Kreis nicht nur im Nationalteam, sondern auch mit anderthalb Jahren beim FC Bayern schloss, brachte ihm viel Anerkennung. Und plötzlich galt seine klare Sprache als Vorteil. Als „Stürmertrainer U-Nationalmannschaften“ kehrte er erstmals zum Deutschen Fußball-Bund zurück. Dann wurde er Cheftrainer in Unterhaching, wo er zunächst die U19 in die Bundesliga und dann die Profis in die 3. Liga führte. „Ich bin überzeugt davon, dass ich als Trainer besser werde, als ich es als Spieler war – weil ich für den Trainerberuf bessere Voraussetzungen mitbringe als damals für meine Spielerkarriere“, sagte er gewohnt selbstbewusst. Doch nahezu alle stimmen ihm diesmal zu. Schon als er 2023 sein Ende in der Münchner Vorstadt verkündete, waren größere Clubs an ihm interessiert. Doch Wagner ging ein zweites Mal zum DFB. Zunächst als Co-Trainer von Hannes Wolf bei der U20, dann rückte er mit Wolf zusammen für ein Spiel an die Seite von Interimstrainer Rudi Völler zum A-Team. Und als sein ehemaliger Hoffenheim-Coach Nagelsmann Bundestrainer wurde, behielt er Wagner.
Wagner nahm den Mund sehr voll
Zur Haching-Zeit hatte dieser sich auch noch einen Namen als TV-Experte von DAZN und beim ZDF gemacht. Gewohnt meinungsstark, gut vorbereitet, mit guter Expertise – und durchaus auch mal polarisierend. So frisierte er sich während einer Moderation die Haare und wies Laura Wontorra darauf hin, „dass das auch mal sein müsse“. Einen vierten Offiziellen verglich er immer wieder mit dem österreichischen Volksmusikanten Andreas Gabalier. Und nach einem Laufduell zwischen dem Münchner Kingsley Coman und dem ebenso schnellen Nuno Mendes von Paris Saint-Germain sagte er am Mikrofon: „Das ist linke Spur, deutsche Autobahn ohne Tempobegrenzung, was hoffentlich so bleibt, lieber Herr Habeck.“ Für das meiste Aufsehen sorgte ein Spruch während des Spiels zwischen Deutschland und Spanien bei der WM in Katar: „Vorhin habe ich gedacht, die ganze Kurve ist voller Deutschland-Fans. Dann habe ich erst gemerkt, das sind die katarischen Bademäntel.“ Diese Aussage sei „leider in einer emotionalen Phase des Spiels passiert. Das darf es nicht. Wir werden das besprechen“, teilte das ZDF mit. Und Wagner sprach von einem „unüberlegten Spruch mit einer unpassenden Bemerkung, die ich mir hätte sparen können“.

Beim DFB ist es aktuell ruhig um den Nagelsmann-Assistenten. Aber nicht zuletzt deshalb, weil er kaum Interviews gibt. Wer Sandro Wagner holt, wird sich dennoch auf die eine oder andere Schlagzeile einstellen müssen. Das schreckt aufgrund seiner Arbeit und Authentizität aber niemanden ab. In Leverkusen, Hoffenheim, Dortmund, Leipzig und Stuttgart soll als Schatten-Trainer mindestens schon mal wohlwollend über ihn diskutiert worden sein. Und auch der FC Bayern beobachtet die Entwicklung seines Eigengewächses langfristig mit Interesse. Doch Wagner bleibt erst mal beim DFB. Er ist mit 36 noch jung und schlau genug zu wissen, dass die Lobes-Hymnen schnell wieder verstimmen, wenn er sich mit dem ersten Chefposten in der Bundesliga verheben sollte.
Beim DFB lockt das Erlebnis der WM 2026 in Nordamerika. Zudem kann er an Nagelsmanns Seite viel lernen. Von einem Chef, der ihn über alle Maßen schätzt. „Er ist sensationell gut. Ich bin hochzufrieden“, sagte der Bundestrainer. „Er hat eine super Mischung aus frechen Sprüchen in alle Richtungen, aber da ist auch immer etwas dahinter. Er ist sehr clever, sehr fleißig, hat eine sehr gute taktische Idee, eine sehr gute Ansprache.“
Schade sei eigentlich nur eines, ergänzte Nagelsmann. „Dass Sandro irgendwann wieder Cheftrainer sein will.“ Und das wird auf kurz oder lang sicher passieren.