Dr. Felix Brych verkündete vor ein paar Wochen sein Karriereende nach dieser Saison. Mit ihm geht einer der besten Schiedsrichter, die Deutschland jemals hatte. Vielleicht sogar der beste?
Wenn Dr. Felix Brych die Pfeife ein letztes Mal zur Brust nimmt, endet eine der beeindruckendsten Schiedsrichter-karrieren im deutschen Fußball. Über zwei Jahrzehnte lang leitete der Münchner Jurist Partien mit einer Präzision und Souveränität, die ihn zu einem der besten Unparteiischen der Welt machten. Nun tritt der 48-Jährige nach dieser Saison ab – und hinterlässt eine große Lücke im internationalen Schiedsrichterwesen. „Ich wollte hier und heute das Ende meiner Karriere zum Saisonende Mitte Mai ankündigen“, erklärte Felix Brych vor einigen Wochen überraschend in einem Talk mit der „Bild“. Der 49-Jährige begründete seine Entscheidung: „Als Sportler merkt man irgendwann, dass es immer schwieriger wird, diesem Leistungsniveau standzuhalten. Das Training wird auch immer beschwerlicher.“ Für das deutsche Schiedsrichterwesen ist diese Entscheidung von historischer Bedeutung, schließlich ist Brych als der beste deutsche Schiedsrichter aller Zeiten anzusehen. Der zweimalige Weltschiedsrichter des Jahres (2017, 2021) und sechsmalige DFB-Schiedsrichter des Jahres (2013, 2015, 2016, 2018, 2021, 2023) will „dieses Ende selber setzen“ – und das ist sein gutes Recht.
Bewusster Schritt

Die Geschichte von Felix Brych beginnt, wie bei allen Schiedsrichtern, im Amateurfußball. Geboren am 3. August 1975 in München, entdeckte er früh seine Leidenschaft für den Fußball. Doch während viele Jugendliche davon träumten, selbst einmal als Profi auf dem Platz zu stehen, entwickelte Brych eine Faszination für die Spielleitung. Bereits mit 18 Jahren absolvierte er seine Schiedsrichterprüfung und leitete fortan Spiele im Amateurbereich.
Sein Talent blieb nicht lange unentdeckt. 1999 stieg er in die Regionalliga auf, drei Jahre später folgte der Sprung in die 2. Bundesliga. Dort machte sich Brych schnell einen Namen als akribischer, aber zugleich empathischer Spielleiter. 2004 dann der große Schritt: Mit erst 29 Jahren erhielt er die Berufung in die Bundesliga – eine Karriere, die ihresgleichen sucht, nahm ihren Lauf.
In der Bundesliga bewies sich Brych schnell als einer der besten Schiedsrichter des Landes. Seine unaufgeregte Art, kombiniert mit einem feinen Gespür für das Spiel, brachte ihm nicht nur Respekt von Spielern und Trainern ein, sondern auch Anerkennung von höchster Stelle. 2007 wurde er Fifa-Schiedsrichter, was ihm die Tür zum internationalen Fußball öffnete.
Es folgten Einsätze in der Champions League, bei Welt- und Europameisterschaften sowie im Finale der Europa League 2014 zwischen dem FC Sevilla und Benfica Lissabon. Doch sein größter Triumph sollte 2017 folgen, als er das Champions-League-Finale zwischen Juventus Turin und Real Madrid leitete. „Es war der Höhepunkt meiner Karriere. Ein Moment, den ich nie vergessen werde“, sagte Brych später über dieses Spiel, das Real mit 4:1 gewann.
Auch bei den Weltmeisterschaften 2014 und 2018 war er im Einsatz, wobei ihm insbesondere die WM in Russland nicht nur positive Erinnerungen bescherte. Nach einem umstrittenen Elfmeterpfiff im Spiel zwischen der Schweiz und Serbien wurde Brych nicht mehr für weitere Partien nominiert. Eine Entscheidung der Fifa, die für viele Experten nicht nachvollziehbar war – und zudem einen Skandal mit sich brachte: Hinterher verlor der serbische Trainer, Ex-Bundesligaprofi Mladen Krstajic, jegliches Maß, als er mit Blick auf die Kriegsverbrechen der Jugoslawienkriege Richtung Brych wütete: „Ich würde ihn nach Den Haag schicken. Damit sie ihm den Prozess machen, wie sie ihn uns gemacht haben.“
Nie im Mittelpunkt

Derlei Dummheit und Dreistigkeit sind Verhaltensweisen, die Fußball-Schiedsrichter gerade in Zeiten der Wucht sozialer Netzwerke und zunehmender Respektlosigkeit in der Gesellschaft immer wieder treffen können. Brych berichtet nicht ohne Stolz, er habe „dem Druck immer wieder getrotzt“, indes spürt er jetzt: „Die Lust auf Stress schwindet.“ Damals war noch genug Kraft vorhanden, diesem Stress zu trotzen: Denn anstatt sich unterkriegen zu lassen, kehrte Brych stärker zurück und wurde 2021 als „Weltschiedsrichter des Jahres“ ausgezeichnet. Unvergessen bleibt auch das Phantomtor von Stefan Kießling in der Saison 2013/14 – auch davon rehabilitierte sich der Doktor der Rechtswissenschaften. Eine weitere Anekdote: Künftig wird er Cristiano Ronaldo nicht mehr vom Platz stellen müssen wie dereinst im Spätsommer 2018. „Ronaldo hat 500 Millionen Follower in den sozialen Netzwerken. Sie können sich vorstellen, was danach in Social Media los war. Das Internet hat getobt“, erinnert sich Brych mit einem milden Lächeln.
Weniger zum Lächeln findet Brych den Zwist mit Manuel Gräfe. Der Berliner hatte gegen sein unfreiwilliges Karriereende mit 47 Jahren aufgrund der seinerzeitigen Altersgrenze des Deutschen Fußball-Bundes wegen Altersdiskriminierung geklagt. Interpretationen, das habe ihm den Weg geebnet, als erster deutscher Schiedsrichter bis fast 50 pfeifen zu dürfen, erteilt Brych eine Absage. Diese Entscheidung habe der DFB unabhängig vom Gräfe-Prozess getroffen. Schließlich habe „ich meine Leistungstests immer sauber absolviert“. Brych war nie ein Schiedsrichter, der sich in den Mittelpunkt drängte – doch wenn es darauf ankam, bewies er Haltung. In einer Zeit, in der der Druck auf Schiedsrichter immer größer wurde, behielt er stets die Ruhe. „Natürlich gibt es hitzige Diskussionen auf dem Platz, aber ich habe immer versucht, mit den Spielern respektvoll umzugehen und sie auch als Menschen zu sehen“, erklärte er in einem Interview. Seine Kommunikation mit den Spielern wurde von vielen geschätzt. Bayern-Star Thomas Müller sagte einmal über ihn: „Felix hat eine natürliche Autorität. Man kann mit ihm reden, aber er setzt klare Grenzen. Das ist genau das, was einen Top-Schiedsrichter ausmacht.“

Auch in der Bundesliga schrieb Brych Geschichte. Am 6. November 2021 leitete er als erster deutscher Schiedsrichter sein 300. Bundesligaspiel – ein Rekord, der für lange Zeit Bestand haben dürfte. „So viele Spiele auf diesem Niveau zu pfeifen, ist eine enorme Leistung. Das zeigt seine unglaubliche Konstanz“, lobte Lutz Michael Fröhlich, der damalige Leiter des Schiedsrichterwesens beim DFB. Und seitdem sind einige dazugekommen. Brych hatte ausgerechnet in seinem 344. Bundesliga-Einsatz beim 2:1 des VfB Stuttgart bei Eintracht Frankfurt Ende November 2023 einen Kreuzbandriss erlitten – in diesem Spiel egalisierte er die Bestmarke von Wolfgang Stark. Nach zehn Monaten Pause pfiff Brych wieder in der Bundesliga. Beim 1:3 zwischen Borussia Mönchengladbach und dem VfB Stuttgart Mitte September 2024 stieg er zum alleinigen Rekordhalter auf.
Manfred Amerell sorgte einst für die Professionalisierung des deutschen Schiedsrichterwesens, Kollege Markus Merk setzte dann neue Maßstäbe in der Spielleitung, doch Brychs Leistungen bleiben im Gesamtpaket unübertroffen. Mittlerweile sind es seit seinem Debüt im Alter von 29 Jahren binnen zwei Jahrzehnten mehr als 350 Spielleitungen im Lizenzfußball hierzulande geworden, obendrauf kommen über 70 Königsklasseneinsätze, zwei Welt- und zwei Europameisterschaften.
Auch hier ist Brych ein Rekordmann: Bei der EM 2021 leitete er fünf Partien – mehr als jeder andere vor und nach ihm bei einem großen Turnier. Aber klar, es gibt in einer Schiedsrichterkarriere unter dem Dauerdruck von Spielern, Trainern, Managern, Medien und Fans auch Rückschläge. Auch die hatte Brych, er kämpfte sich dabei jedoch immer wieder zurück.
Gute und schlechte Zeiten
Doch nun ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Mit 48 Jahren fühlt Brych, dass der richtige Moment gekommen ist, um Platz für die nächste Generation zu machen. „Ich habe so viele großartige Erlebnisse gehabt, aber man spürt irgendwann, dass der Körper und der Kopf eine Pause brauchen“, erklärte er in einem Interview mit „11 Freunde“. Mit seinem Rücktritt hinterlässt Brych eine große Lücke – nicht nur in der Bundesliga, sondern im gesamten Weltfußball. Experten wie Ex-Schiedsrichterlegende Pierluigi Collina lobten ihn als einen der besten Unparteiischen seiner Generation. „Felix war immer hervorragend vorbereitet, er hatte das Spielgeschehen stets im Griff. Er wird dem Fußball fehlen“, so Collina. Dabei will sich der Rekordmann gar nicht komplett aus dem Fußball zurückziehen. Brych möchte seine Erfahrung von mehr als zwei Jahrzehnten an jüngere Referees weitergeben. Einen konkreten Plan für die Zeit nach der Laufbahn als Unparteiischer oder Überlegungen, dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) erhalten zu bleiben, gebe es noch nicht. Das sagte der 49-Jährige in einer Medienrunde, wenige Tage nachdem er verkündet hatte, nach dieser Saison seine Karriere zu beenden.
„Mit Sicherheit werde ich mein Wissen weitergeben“, kündigte Brych an. „Ich habe mir in meinem Leben unglaublich viele Gedanken gemacht in dem Job. Ich habe alles einmal erlebt, in guten und schlechten Zeiten. Ich habe über 800 Profispiele gepfiffen. Da ist viel hängengeblieben.“
Das werde er der nächsten Schiedsrichtergeneration anbieten. Der Münchner sagte, dass er bereits „in gutem Austausch“ mit DFB-Schiedsrichterchef Knut Kircher sei. Dabei sei es bislang um seine letzten Monate als Aktiver gegangen. „Aber wir werden uns sicherlich noch mal treffen, um weitere Dinge zu besprechen“, kündigte Brych an. Zunächst wolle er sich voll auf die verbliebenen Aufgaben auf dem Platz konzentrieren, sagte er. Danach wird es bestimmt irgendwie weitergehen – auch das hat Brych immer bewiesen.