Beim Debüt von Stefan Leitl zeigt Hertha vor allem defensiv gute Ansätze. Ganz verändert zeigt sich die „Alte Dame“ aber nicht: Der Abschluss bleibt nach wie vor ein Problemthema.
Viel Zeit blieb Stefan Leitl nicht – nach der Unterschrift am Montag vergangener Woche trainierte er tags darauf erstmals die Spieler von Hertha BSC und feierte als Nachfolger von Cristian Fiél schon am Freitag im Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg seine Premiere an der Seitenlinie. Die Rochade auf dem Trainerposten war dabei vergleichsweise zügig verlaufen: Am Sonntag nach der unglücklichen Niederlage bei Fortuna Düsseldorf gaben die Hauptstädter die Trennung vom 44-Jährigen nach siebeneinhalb Monaten Tätigkeit bekannt. Als neuer Coach wurde Leitl bereits keine 36 Stunden später präsentiert – dennoch blieben ihm bis zum nächsten Spiel zusammen mit seinem ebenfalls neuen Assistenten Andre Mijatović (Spieler bei Hertha BSC von 2010 bis 2012) eben nur wenige Einheiten, um das Team nach vier Niederlagen und dem Trainerwechsel zumindest wieder aufzurichten.

Das sollte Leitl dann in jedem Fall gelingen – ein offensichtliches Kardinalproblem wie die Abschlussschwäche konnte er aber auch nicht ad hoc beheben. So endete sein Debüt beinahe folgerichtig mit einem torlosen Unentschieden gegen den FCN – denn immerhin zeigte sich die Defensive der Blau-Weißen sehr stabil, gestattete den Franken in den neunzig Minuten praktisch nur eine Gelegenheit. Leitl überraschte dabei mit seiner „Bauchentscheidung“, die von Vorgänger Fiél zuletzt vorgenommene Änderung zwischen den Pfosten wieder einzukassieren. So musste der erfahrene Marius Gersbeck nach fünf Einsätzen in Serie wieder ins zweite Glied zurück, denn Tjark Ernst bekam vom neuen Trainer das Vertrauen geschenkt – und soll es auch weiterhin genießen.
Nicht ganz so verblüffend war die Entscheidung, mit Michaël Cuisance einen bisherigen Stammspieler im Mittelfeld zunächst draußen zu lassen – für den Franzosen rückte mit Florian Niederlechner wieder ein echter Mittelstürmer ins Team, während der zuletzt in der Angriffszentrale eingesetzte Derry Scherhant wieder auf der besser zu ihm passenden Außenposition agieren durfte. Im zentralen Mittelfeld versprach sich Leitl dazu von der Variante mit Pascal Klemens vor der Abwehr sowie Michał Karbownik und Ibrahim Maza als „Achter“ mehr Absicherung nach hinten, ist der mit aktuell rund 200 Einsätzen in der 2. Liga erfahrenste Trainer doch ein großer Freund von Stabilität. In der Innenverteidigung blieb Leitl beim zuletzt erprobten Duo aus Márton Dárdai und Linus Gechter, während der zweikampfstärkere, aber nicht so schnelle Toni Leistner erst in der Schlussphase eingewechselt wurde. Mit Cuisance, Luka Schuler und Marten Winkler warf Leitl dazu auch noch weitere Offensivkräfte ins Rennen, um die drei Punkte noch an die Spree zu holen. Doch wie erwähnt fiel das kreative Offensivspiel gegenüber dem aggressiven Agieren ohne Ball deutlich ab – die wenigen Torchancen wurden dann obendrein nicht genutzt. Fabian Reese besaß alleine drei davon, musste allerdings erneut feststellen, dass seine Qualitäten als Vorbereiter nicht nur wegen seiner längeren Ausfallzeit größer sind.

auf Keeper Tjark Ernst- Foto: IMAGO / Contrast
Im Gegensatz zur vergangenen Saison fehlt aber eben auch ein Abnehmer und Vollstrecker wie Haris Tabaković für Reeses stets gefährliche Flanken. Niederlechner und Schuler etwa konnten bislang nur in kurzen Phasen der Spielzeit ihre Abschlussstärke unter Beweis stellen – der dritte Kandidat für die Rolle als Strafraumstürmer, Smail Prevljak, hat dazu wohl endgültig seine Chancen verspielt und war von Leitl nicht einmal in den Spieltagskader berufen worden.
So fiel das Fazit am Ende ambivalent aus: Sprach ein Teil der Hauptstadtmedien bezüglich des 0:0 von der Beendigung der Niederlagenserie, so konnte ebenso konstatiert werden, dass Hertha BSC bei bloß einem Sieg (zum Jahresauftakt 2025 in Paderborn) aus den letzten nun neun Partien verharrt und nur ein Tor in den vergangenen vier Begegnungen zustande gebracht hat. Auch der chronischen Heimschwäche konnte mit dem Remis gegen den „Club“ Einhalt geboten werden – acht Punkte aus elf Spielen im Olympiastadion bleiben die schwächste Heimbilanz aller Zweitligisten.
„Am Ende hätten wir gewinnen müssen“
So verwunderte es wenig, dass man sich nach der Premiere des neuen Übungsleiters auf die positiven Eindrücke konzentrierte. Selbst vom Gegner gab es nach Abpfiff lobende Worte – Weltmeister und Club-Trainer Miroslav Klose sah jedenfalls „einen glücklichen Punkt“ für sein Team und attestierte der Leitl-Elf „ein richtig gutes Spiel.“ Der Kicker beurteilte das Debüt mit einem „Zuwachs an Intensität, Zweikampfhärte und Kompromisslosigkeit, den sich Herthas Bosse von der Personalie erhofft haben.“ Auch Sportdirektor Benjamin Weber schlug in diese Kerbe: „Wir haben höher gestanden, hoch gepresst und waren das ganze Spiel über sehr aufmerksam – am Ende hätten wir es gewinnen müssen.“ Und Ersatzkapitän Reese, der Schönrednerei unverdächtig, ließ in seinem Kommentar sogar einen Hauch Begeisterung durchscheinen: „Wir hatten einen sehr guten Plan, wo wir die Bälle gewinnen wollen, und haben Nürnberg in den Zweikämpfen den Schneid abgekauft. Es war defensiv ein Riesenschritt in die richtige Richtung, weil wir vorher den Gegner immer extrem viel zu Torchancen und Toren eingeladen haben.“ Herthas Schlüsselspieler, der zuletzt immer wieder mangelnde Gier in der Mannschaft beanstandet und auch dem ehemaligen Trainer Fiél nicht unbedingt vehement zur Seite gestanden hatte, beschrieb es weiter: „Es ist lange her, dass das Pressing im Olympiastadion mal so richtig gut funktioniert hat – das hat uns ein gutes Gefühl gegeben.“
Stefan Leitl selbst nutzte die Gelegenheit, um seinen Ansatz noch mal anhand der neunzig Minuten gegen Nürnberg zu erklären: „Wir haben umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben, wollten aktiv sein und hohe Ballgewinne über Pressingmomente steuern. Das war ein Schritt nach vorn und in die richtige Richtung – ich bin absolut okay mit der Leistung meiner Mannschaft.“ Schon das Spiel am Sonntag bei der SV Elversberg, die zehn Punkte mehr auf dem Konto hat, bedeutet jedoch den nächsten Stresstest für die gemeinsam neu aufgenommene Arbeit von Team und Trainer. Im Jahr 2024 wurde Hertha BSC von Horst Steffens Team jedenfalls zweimal kräftig durchgeschüttelt (2:4 und 1:4) – also nur, wenn Leitls Defensivkonzept auch an der Kaiserlinde wieder greift, dürfen sich die Hauptstädter wohl dort etwas Zählbares ausrechnen.