Die deutschen Biathleten nehmen nach der WM aus sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen Anlauf auf die Olympischen Winterspiele 2026. Auf der einen Seite die Frauen mit Weltmeisterin Franziska Preuß und vielen Talenten, auf der anderen die international abgehängten Männer.
Von wegen schwaches Geschlecht: Angeführt von der überragenden Weltmeisterin Franziska Preuß haben die deutschen Biathletinnen bei den Weltmeisterschaften in Lenzerheide ihre männlichen Teamkollegen einmal mehr übertrumpft. Für die Frauen sind die Perspektiven für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo nach den Wettkämpfen in der Schweiz dank der vierfachen Medaillengewinnerin Preuß glänzend. Bei den Männern warf Bundestrainer UroŠ Velepec nur zwei Tage nach WM-Ende desillusioniert die Brocken hin und zog durch seine Demission die Konsequenz daraus, dass seine Schützlinge durch Staffel-Bronze nur knapp an einem Desaster vorbeigeschlittert und faktisch erneut jeden Beweis ihrer Konkurrenzfähigkeit schuldig geblieben waren.
Anhaltende Probleme
Die anhaltenden Probleme im Lager von Philipp Nawrath und das gleichzeitig immer kleiner werdende Zeitfenster bis Olympia machen für die Medaillenrennen in Italien weniger Hoffnung als vielmehr Angst vor den zweiten Winterspielen nacheinander ohne Medaille. „Wir hatten uns für Lenzerheide mehr vorgenommen, aber es ist keine spontane Entscheidung“, leitete Velepec die ernüchternde Begründung für seinen Rücktritt ein: „Insgesamt sind wir derzeit einfach nicht auf dem Niveau, das wir uns gemeinsam als Ziel gesetzt hatten. Mit ausreichend Zeit wären wir sicher in der Lage, gemeinsam aus dieser aktuell schwierigen Situation herauszukommen, in der wir uns gerade befinden. Aber als Cheftrainer sehe ich mich auch kurz- und mittelfristig in der Verantwortung. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es nun einen neuen Impuls braucht, vielleicht auch eine neue Form der Ansprache, um mit Blick auf die Olympischen Spiele 2026 erfolgreich zu sein. Je früher desto besser.“
Handlungsbedarf besteht tatsächlich – sogar dringend. Die Staffel-Medaille in der Schweiz konnte die Schwierigkeiten von und in Velepecs Team kaum wirksam kaschieren. Außer in den Teamwettbewerben, in den zweimal auch Preuß an den Mixed-Medaillen beteiligt war, liefen die deutschen Winterzweikämpfer der ohnehin weit aufgefächerten Elite um Norwegen und Frankreich um Längen und besonders ohne realistische Aussichten auf eine Podiumsplatzierung hinterher. Abgesehen vom Lauftempo sind weiterhin die Leistungen am Schießstand das Problem schlechthin. Wo Velepec vor Saisonbeginn durch „Risikoschießen“ den Anschluss zur Spitze herstellen wollte, da gaben seine Athleten zum Höhepunkt des Jahres mit mangelnder Treffsicherheit und nur mäßiger Schussfrequenz ein schwaches Bild ab.
Drei-Klassen-Gesellschaft
Den sechs Top-10-Platzierungen von Preuß und Co. in drei WM-Einzelrennen schaffte bei den Männern bei der gleichen Anzahl von Wettbewerben lediglich Philipp Horn als Siebter im 20-km-Rennen den Sprung unter die besten Zehn. Die Ursachenforschung brachte noch im Zielraum Ergebnisse: Mit insgesamt 42 Schießfehlern in den vier Solo-Wettkämpfen lässt sich auf höchsten Niveau kaum ernsthaft in den Kampf um Medaillen eingreifen.
„Wir haben bei den Männern mehr Potenzial, bringen es aber einfach nicht auf die Straße. Wenn man genauer hinschaut, sind die Abstände doch recht groß. In der Staffel war eine Drei-Klassen-Gesellschaft erkennbar, wo wir die dritte Klasse gewonnen haben“, bilanzierte Sportdirektor Felix Bitterling im Schweizer Schnee, „aber an die Norweger und Franzosen kommen wir momentan nicht heran.“ Mit Blick auf die dominierenden Nationen fiel sein Fazit vielsagend aus: „Das gibt zu denken, auch konzeptionell.“
Hoffnung auf einen wirksamen Generationswechsel besteht im Männer-Lager – wiederum im Gegensatz zu den deutschen Frauen – auch nur theoretisch. Das Durchschnittsalter in Velepecs WM-Mannschaft betrug fast 30 Jahre, der zweifache Mixed-Dritte Justus Strelow zählt schon 28 Lenze, und Danilo Riethmüller kam immerhin auch erst mit 25 Jahren zu seinem WM-Debüt.
Für eine Wende zum Guten nach Velepecs „zum jetzigen Zeitpunkt ungewöhnlichen“ Schritt, wie Bitterling den offenbar unerwarteten Abgang des zweifachen Olympia-Teilnehmers aus Slowenien kommentierte, soll nun Tobias Reiter sorgen. Zuletzt war der schon auf mehreren Verbandstrainerposten eingesetzte Ex-Europacup-Starter für die mit Nachwuchsläufern gespickte Männer-Mannschaft im zweitklassigen IBU-Cup verantwortlich.
Als großes Plus des 39-Jährigen, den Bitterling nach eigener Aussage bereits „für den nächsten olympischen Zyklus im Kopf“ hatte, gilt sein Verhältnis zu den deutschen Top-Athleten: „Tobias hat die meisten unserer Athleten bereits im Verlauf ihrer Karriere betreut und bildete zusammen mit Jens Filbrich ein erfolgreiches Trainerteam im IBU-Cup. Von daher sollte es einen reibungslosen Übergang geben, der hoffentlich noch einmal beim gesamten Team positive Energien freisetzt. Denn darauf wird es jetzt in erster Linie ankommen“, beschrieb Bitterling seine Erwartungshaltung.
Immerhin steht Reiters Beförderung unter einem guten Stern: Denn nach dem frühen Ende seiner aktiven Laufbahn gehörte der ehemalige Staffelmeister zunächst beim Nachwuchs des bayerischen Verbandes und noch vier Jahren beim nationalen B-Kader zu den Trainern der heutigen Frontfrau Preuß. Womöglich auch deshalb wertete Bitterling den Trainer-Wechsel bei den Erben von Arnd Peiffer oder frühere Generationen etwa um Sven Fischer oder Michael Greis positiv: „Das ist definitiv kein Beinbruch, sondern eine große Chance.“
Definitiv ihre Chance genutzt hat Preuß bei der WM: Durch ihre Medaillensammlung mit einmal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze avancierte die gebürtige Oberbayerin in Lenzerheide zur vierterfolgreichsten Teilnehmerin und bestätigte damit auch ihre Führung im Gesamtweltcup. „Wenn mir jemand vorher versprochen hätte, dass ich vier Medaillen gewinne, hätte ich das sofort genommen“, sagte Preuß in mehreren TV-Interviews immer wieder.
Nur vier Fehlversuche
Die Diskrepanz zwischen ihrer Leistung und den Männern trat an den Schießständen deutlich zutage: Preuß leistete sich als Einzelläuferin bei insgesamt 14 Schießen mit 70 Schuss gerade einmal ganze vier Fehlversuche – der Grundstein nicht zuletzt für ihr erstes WM-Gold in einem Einzelrennen und ihren vierten WM-Titel insgesamt.
Für Bitterling war das Frauen-Ergebnis, auch wenn der Glanz vorrangig Preuß zu verdanken gewesen ist, wenig überraschend: „Der Trend setzt sich fort, die Frauen machen ihre Sache sehr gut und haben wieder geliefert.“
In Mailand und Cortina könnte zumindest die bei der WM erkrankt fehlende Vanessa Voigt wieder zum Team gehören und damit nicht zuletzt die Chance auf eine Staffel-Medaille erhöhen. Ob Janina Hettich-Walz nach der bevorstehenden Geburt ihres Kindes bis Olympia wieder den Anschluss schafft, ist abzuwarten.
Doch ihr Ausfall könnte gut bis gleichwertig kompensiert werden. Denn Selina Grotian ist in Lenzerheide durch Bronze in der Mixed-Staffel weiter in den Vordergrund gelaufen. Die 20-Jährige, die auch schon einen Weltcupsieg auf dem Konto hat, kristallisiert sich immer mehr als Hoffnungsträgerin für die Zukunft und Richtung Olympia 2030 in Frankreich heraus.
Für Preuß, die im nächsten Jahr in Italien sicherlich als Medaillenkandidatin Nummer eins im deutschen Lager angesehen werden muss, ist der vorolympische Winter trotz ihrer glänzenden WM-Auftritte jedoch noch nicht gelaufen: „Mein großer Traum ist es jetzt, dass ich im Weltcup das Gelbe Trikot der Spitzenreiterin behalten und zum ersten Mal den Gesamtweltcup gewinnen kann.“