Im Amateurboxen tobt ein Machtkampf, der die olympische Zukunft der Sportart zwischenzeitlich gefährdet. Der große Knall wurde abgewendet, doch die Gender-Debatte bleibt ein Thema.

Als umtriebiger Geschäftsmann hatte Donald Trump auch schon im Boxsport seine Finger im Spiel. Als ein gewisser Mike Tyson als jüngster Schwergewichts-Weltmeister der Geschichte über die Grenzen des Sports hinweg für Aufsehen sorgte, wollte auch Trump unbedingt auf den Zug aufspringen. 1988 organisierte er den Kampf zwischen Tyson und dem bis dahin ebenfalls ungeschlagenen Rivalen Michael Spinks, um Werbung für sein „Trump Plaza Hotel and Casino in Atlantic City“ zu machen. Nach seinem K.-o.-Sieg nach nur 91 Sekunden überwarf sich Tyson mit seinem damaligen Promoter Bill Clayton wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Bezahlung. Immobilienmagnat Trump sah nun seine Chance gekommen, auch mit dem Profiboxen Geld zu machen und heuerte als Chefstratege bei „Iron Mike“ an. Die gemeinsamen Geschäftsjahre verliefen alles andere als reibungslos, aber sie banden die beiden Alphatiere zweifellos aneinander. Trump stand auch an Tysons Seite, als dieser 1992 wegen Vergewaltigung verhaftet wurde. Und der in den USA nach wie vor sehr populäre Tyson stärkte Trump im Präsidentschafts-Wahlkampf öffentlichkeitswirksam den Rücken. Nun sitzt Trump ein zweites Mal im Oval Office und agiert noch restriktiver als bei seiner ersten Amtsperiode. Eine höchst zweifelhafte Maßnahme des 78-Jährigen hat indirekt auch erneut Einfluss auf den Boxsport genommen. Mit seiner Unterschrift unter ein Dekret, das Transmenschen von der Teilnahme am Frauensport ausschließen soll, gab Trump dem heftig umstrittenen Verband International Boxing Association (IBA) eine Steilvorlage. Die IBA nahm die Verordnung zum Anlass, den bei den Sommerspielen in Paris ausgeuferten Streit mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) öffentlichkeitswirksam fortzusetzen und eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft der Schweiz gegen die IOC-Maßnahmen anzukündigen. Die Gemengelage ist höchst kompliziert, und es geht bei Weitem nicht nur um die Zulassung von Boxerinnen mit erhöhten Testosteronwerten. Es geht um die olympische Zukunft des Boxens, die nach wie vor umstritten ist.
Trump mischt hinter den Kulissen mit

In der vergangenen Woche akzeptierte das IOC den neuen Verband „World Boxing“. Allerdings nur vorläufig. Nach aktuellem Stand wird die Sportart 2028 in Los Angeles damit zum olympischen Programm gehören. Für das olympische Boxturnier 2024 in Paris und zuvor 2021 in Tokio hatte das IOC die Organisationsverantwortung übernommen, für L.A. wurde das ausgeschlossen. Die russlandnahe IBA wurde vom IOC vor sechs Jahren suspendiert. Die Vorwürfe reichen von Korruption bis Wettbewerbsverzerrung, auch wenn der russische IBA-Präsident Umar Kremlew immer wieder „umfassende Reformen“ innerhalb des Verbands ankündigte. Mit einem Einspruch vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS war die IBA gescheitert. Als neuer Verbandspartner kam daher nur World Boxing infrage, die Organisation gründete sich vor anderthalb Jahren und umfasst inzwischen 78 Mitglieder. Damit ist eine wichtige IOC-Anforderung, dass die Sportart im Verband in mindestens 75 Ländern auf vier Kontinenten ausgeübt werden müsse, erfüllt. Eigentlich war diese Zahl schon für September anvisiert gewesen, dennoch sprach Verbandspräsident Boris van der Vorst von einem „sehr bedeutenden Meilenstein für den Weltboxsport“. Er freue sich über jeden nationalen Boxverband, der sich der „Mission anschließen“ wolle, „um sicherzustellen, dass das Boxen im Mittelpunkt der olympischen Bewegung bleibt“.
Seit 1904 ist die Sportart olympisch. Will sie es auch zukünftig bleiben, ist nicht nur die Anzahl der Mitgliedsverbände bei World Boxing wichtig. Auch Themen wie finanzielle Transparenz, Integrität der Schiedsprozesse und Maßnahmen des Anti-Doping-Kampfs werden vom IOC durchleuchtet, ehe es zu einer festen Zusammenarbeit kommt. Die hätte eigentlich schon Anfang des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden sollen, damit bei der IOC-Session vom 18. bis 21. März in Griechenland endlich das drohende Olympia-Aus offiziell abgewendet werden kann. Doch der Weg dahin war steinig.
IBA aus Russland gesteuert

Die IBA gibt ihrerseits den Machtanspruch, als Weltverband im Amateurboxen zu agieren, nicht auf. Dabei lockt die Organisation, die seit Jahren auch mit viel Geld aus Russland am Leben erhalten wird, mit großen finanziellen Anreizen. „Bei denen gibt es viel Geld. Aber Geld allein macht nicht glücklich“, sagte Michael Müller. Der Sportdirektor des Deutschen Boxsport-Verbandes, der sich ebenfalls World Boxing angeschlossen hat, betonte: „Entscheidend ist, dass man bei Olympia boxen kann und das hat das IOC mit der IBA eindeutig ausgeschlossen.“ Mitte Februar überraschte der Verband mit der Mitteilung, dass der niederländische Verband provisorisch in die IBA-Familie zurückgekehrt sei. Also ausgerechnet der Verband aus der Heimat des World-Boxing-Präsidenten van der Vorst. Allerdings werden die Niederlande weiterhin bei World Boxing als festes Mitglied gelistet. „Wir möchten den Sportlern die Möglichkeit geben zu wechseln“, wurde Jan Deijkers, Generalsekretär des niederländischen Boxverbands, in einer IBA-Pressemitteilung zitiert. „Das Programm der IBA ist, wenn man sich ihre Meisterschaften ansieht, die beste Option für die Spitzenboxer, um das Beste aus ihrer Karriere herauszuholen.“ Die Übereinkunft soll auch die Teilnahme an der von der IBA organisierten Weltmeisterschaft der Frauen vom 8. bis zum 16. März in Serbien beinhalten. Dort nicht starten darf dagegen Imane Khelif, die genau wie Lin Yu-ting aus Taiwan schon vor zwei Jahren bei der WM ausgeschlossen worden war und mit ihrem Olympiastart in Paris eine heftig geführte Kontroverse ausgelöst hatte.
„Sie erfüllt die Teilnahmekriterien nicht“, begründete IBA-Generalsekretär Chris Roberts. Geschlechtertests hätten ergeben, so die Argumentation der IBA, dass Khelif und Lin Vorteile gegenüber anderen weiblichen Teilnehmern haben würden. Die türkische Boxerin Esra Yildiz, die im Federgewicht gegen Lin im Olympia-Halbfinale verlor, bestätigte diese Einschätzung via IBA-Mitteilung. „Gegen sie anzutreten ist nicht gleichberechtigt, und keiner von uns hat das Gefühl, dass es ein fairer Wettkampf ist“, wurde die Olympia-Dritte zitiert. Die Italienerin Angela Carini, die in der ersten Runde nach nur 46 Sekunden gegen Khelif aufgegeben und mit ihrem verweigerten Handschlag den ganzen Wirbel mit ausgelöst hatte, zeigte sich später dagegen empathisch. „Diese Kontroversen haben mich auf jeden Fall traurig gemacht, und es tut mir leid für die Gegnerin, die auch nur hier ist, um zu kämpfen“, sagte Carini. „Ich habe nichts gegen Khelif, wenn ich sie noch einmal treffen würde, würde ich sie umarmen“.
Heftig geführte Debatte

Zuspruch, den Khelif auch von anderen Leuten erhält. Deswegen nimmt sie den Kampf gegen die IBA an und will ihn zur Not auch vor Gericht führen. Sie werde „alle notwendigen rechtlichen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass meine Rechte und die Grundsätze des fairen Wettbewerbs gewahrt werden“, kündigte die Olympiasiegerin an. Sie sprach von „haltlosen Anschuldigungen“ seitens der IBA, die „falsch und beleidigend“ seien und nur dem Zwecke dienen würden, „eine Agenda voranzutreiben“. Khelif will nicht klein beigeben: „Ich bin öfter niedergeschlagen worden, als ich zählen kann. Aber ich bin nie zu Boden gegangen.“ Unterstützung erhält sie von Menschenrechtsorganisationen und auch vom IOC. Weder Khelif noch Lin seien Transgender-Athletinnen, so lautet die offizielle Argumentation des Ringe-Ordens: „Sie wurden als Frauen geboren, sind als Frauen aufgewachsen und haben während ihrer gesamten Boxkarriere in der Frauen-Kategorie gekämpft.“ Die Tests der IBA seien zudem willkürlich und nicht besonders wissenschaftlich fundiert und könnten nicht ernsthaft berücksichtigt werden. Während der Olympischen Spiele in Paris, bei denen sowohl Khelif (Weltgewicht) als auch Lin (Federgewicht) die Goldmedaille gewannen und unter starker öffentlicher Beobachtung standen, war der Streit zwischen IOC und IBA eskaliert. Und nicht nur das. Die heftig geführte Geschlechter-Debatte nahm eine immense gesellschaftspolitische Dimension an, die auf dem Rücken der Athletinnen ausgetragen wurde. Und natürlich mischte sich auch Donald Trump ein. Auch wenn die teilweise hochkomplexe Thematik der Geschlechter-Zugehörigkeit im Sport eigentlich keine einfachen Lösungen ermöglicht, posaunte der Republikaner schon damals: „Ich werde alle Männer aus dem Frauensport fernhalten!“ Fünf Monate später unterschrieb er besagtes Dekret, um die seiner Meinung nach „militante Transgender-Ideologie“ zu bekämpfen. Bildungseinrichtungen müssen nun mit dem Entzug von öffentlichen Mitteln rechnen, wenn sie Transgender-Athletinnen erlauben, in Teams anzutreten, die nicht ihrem bei der Geburt zugesprochenen Geschlecht entsprechen. Auch die von einem US-Präsidenten unterzeichneten Dekrete dürfen allerdings nicht gegen bestehende Gesetze oder die Verfassung verstoßen. Deshalb wird allgemein erwartet, dass es zu Rechtsstreitigkeiten in dieser Sache kommt.
Der Leistungssport ist sich des Problems schon länger bewusst. Spätestens nach dem Fall der Leichtathletin Caster Semenya aus Südafrika werden differenzierte Regelungen entwickelt und wissenschaftliche Faktoren wie etwa der Hormonspiegel berücksichtigt. Auch World Boxing muss in dieser brisanten Angelegenheit eine Lösung für den Umgang finden, denn eins ist klar: Das IOC will eine ähnliche Kontroverse bei Olympia 2028 unter allen Umständen vermeiden, zumal auch der Ringe-Orden in der Sache keine gute Figur abgab und sich etwas zu blauäugig ins Vorhersehbare stürzte. Dass die Spiele 2028 in einem von Trump regierten Amerika stattfinden werden, erschwert die Lage. Die olympische Zukunft des Boxens bleibt fraglich.