Provokant im besten Sinne zeigt sich seit seiner Gründung 2016 das „Korso-op.Kollektiv“. Nun steckt das Ensemble mitten in den Vorbereitungen zur neuen Produktion: „99 Cent Extravaganza“ feiert am 15. März Premiere im Garelly-Haus in Saarbrücken.

Eine kleine Portion Größenwahn hat noch keinem geschadet – das findet zumindest das „Korso-op.Kollektiv“. Zwar wurde das Ensemble erst 2016 in Saarbrücken gegründet, doch man kann die Theaterschaffenden ruhigen Gewissens bereits als Institution bezeichnen, die immer wieder gerne Grenzen auslotet und mit kindlichem Eifer auch überschreitet. Auch mit der neuen Produktion „99 Cent Extravaganza“ möchte das Ensemble gesellschaftspolitische und soziologische Phänomene künstlerisch hinterfragen.
Doch auch, wenn dies etwas zu verkopft klingen mag, stehe der Spaß im Vordergrund. Das sagt Nina Schopka, die Gründerin des „Korso-op.Kollektivs“. Nach zahlreichen Engagements als Schauspielerin an verschiedenen Staatstheatern in Österreich und Deutschland hob sie das „Korso-op.Kollektiv“ aus der Taufe, da sie auf kollektiver Basis als freie darstellende Künstlerin und Regisseurin arbeiten wollte. Ihre Arbeit als Performerin beschreibt sie an der Schnittstelle von Schauspiel, Performance und Tanz liegend.
Bezogen auf „99 Cent Extravaganza“ bedeutet das, dass das Publikum im Garelly-Haus kein Theaterstück im klassischen Sinn erwartet. Stattdessen handelt es sich eher um eine Abfolge von szenischem Schauspiel, Performance-Teilen, Einspielern von Videosequenzen und Rezitationen. „Ein Soft-Science-Fiction“ beschreibt es Nicolas Marchand. Der zweisprachige Schauspieler, Regisseur und Autor lebt und arbeitet in Frankreich. Seit 2012 produzierte er mit der Kompagnie „Cie. TGNM Forbach“ zahlreiche Stückentwicklungen. Im „Korso-op.Kollektiv“ ist er neben Schauspiel mitverantwortlich für Dramaturgie und Inszenierung.
Wobei das „Kollektiv“ im Namen nicht von ungefähr kommt. Denn das Ensemble legt Wert darauf, dass es selbstbestimmt, interdisziplinär und frei von Hierarchien ist. Zudem sollen die Inszenierungen immersiv und „site-specific“ sein, also alle Sinne ansprechen und jeweils den bespielten Raum mit einbeziehen. Hier kommt Gregor Wickert ins Spiel. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf führten ihn seine Arbeiten an Theater wie das Schauspielhaus Hamburg, das Theater Basel oder die Deutsche Oper Berlin. 2016 gründete er das „Korso-op.Kollektiv“ mit, ist für Szenografie, Kostüme und Produktionsleitung zuständig und entwickelt seine künstlerische Arbeit weiter in Richtung Rauminstallation mit Möglichkeiten der Interaktion.
Gespielt wird auf zwei Etagen

Soll heißen: „Die Räume sind atmosphärisch stark aufgeladen“, drückt es Nina Schopka aus. Das kommt daher, dass die Räumlichkeiten, in denen aufgeführt wird, mit in den Ablauf integriert werden. Neben dem Garelly-Haus, dem kultigen „Vereins- und Kulturtreff Luisenviertel“ in der Eisenbahnstraße 14 in der Landeshauptstadt, wo das Kollektiv auch seine Probenheimat hat, werden immer auch andere Orte bespielt. In vorherigen Produktionen waren das beispielsweise der Bunker gegenüber dem ehemaligen Hallenbad in Saarbrücken. „Die Parzellen sorgten dafür, dass es mehrere Gruppen gab“, so die 53-Jährige. Im Sektor Heimat am Osthafen gab es nur Tische, Decken und Kuschelsocken.
Für „99 Cent Extravaganza“ bedeutet das Konzept unter anderem, dass die Träger im Garelly-Haus zwischen Decken und Boden mit einbezogen werden. Gespielt wird in beiden Etagen, was nicht nur für mehr Spannung sorgt, sondern auch bedeutet, dass die Aufführungen nicht barrierefrei sind. Der Boden wird mit einem farbigen Teppich belegt und in der unteren Etage verarbeiten Gregor Wickert und seine Helfer rund 60 laufende Meter grünen Vorhang, die mit aufwendiger und stabiler Halterung angebracht werden. Dieser dient zur optischen Aufwertung und zur Trennung von Spielbereich und Möglichkeit zum schnellen Positionswechsel, ohne dass die Zuschauerinnen und Zuschauer das direkt sehen. Denn die drei Akteure werden die komplette Spielfläche ausnutzen.
Gregor Wickert zeigt stolz sein Modell, das er für das Garelly-Haus angefertigt hat. Dort ist aus der Vogelperspektive gut zu sehen, wie die Räume angedacht sind. Mehrere großflächige Spiegel werden noch aufgestellt, was einerseits der optischen Vergrößerung dient und andererseits wiederum mehr Möglichkeiten zum integrierenden Spiel mit dem Raum bietet. In der bereits erwähnten Aufführung im Bunker wurde beispielsweise ein echter Check-in eingerichtet, wo dann persönliche Details abgefragt wurden.
Integriert werden ins Spiel sollen auch die Zuschauerinnen und Zuschauer. Die dynamische Ausnutzung der Spielflächen habe auch dies zur Folge: „Das Publikum bewegt sich“, wie Nina Schopka sagt. Gerade das Garelly-Haus mit der tanzflächenartigen Bauweise bietet hier schöne Anknüpfungspunkte. Wobei sie klarstellt: „Es gibt keine Bloßstellung.“ Wer angespielt wird und nicht mitmachen möchte, muss das auch nicht tun. „Die Option, sich zu entziehen, besteht immer“, so Schopka.
Zurück zum Größenwahn – was behandelt „99 Cent Extravaganza“ denn nun eigentlich? Mit dem Stück, so heißt es in der Pressemappe, möchte man sich dem kaum fassbaren Glanz der Leere stellen. Anders ausgedrückt: Was genau soll eigentlich die Wahrheit sein, dieses von Subjektivität durchdrungene Gespenst, von dem das „Korso-op.Kollektiv“ denkt, das es das Miteinander hartnäckig zerfrisst? Es ist eine Inszenierung, die in Zeiten von Fake News, Nutzung von KI-Systemen, Verschwörungstheorien und der Diskussion um Whistleblowing äußerst aktuell scheint.
Und in seiner ganz eigenen Mischung aus Widersprüchlichkeit, Skurrilität, Illusion und visionärem Theaterspiel stellt das Kollektiv dies an einem Platz dar, den es als „ausgerechnet einen der verlogensten Orte“ bezeichnet, nämlich dem Theaterraum. Diesen umkreist das Ensemble mit gnadenloser Widersprüchlichkeit in der Collage aus Schauspiel, Performance und Multimedia. „99 Cent Extravaganza“, die Soft-Science-Fiction-Produktion, soll das Publikum in eine Erlebniswelt zwischen Labyrinth und Spiegelkabinett entführen. „Eine Geheimloge, in der Gäste aus realen und irrealen Gedankenwelten aufeinandertreffen“, wie es heißt. Fragen, die aufkommen sollen, sind etwa: Was bezeichnen wir als wahr? Und wozu soll Wahrheit dienen? Gibt es Wahrheit überhaupt? Wenn wir selbst unsere Lügen glauben, sind es dann noch Lügen, oder sind sie dann wahr? Liegt in der Vereinfachung unserer sprachlichen Vereinbarung nicht bereits eine Unwahrheit? Wie viel Vereinfachung erträgt die Wahrheit, um wahr zu bleiben? „Das klingt superintellektuell, ist es aber nicht“, sagt Nicolas Marchand verschmitzt. Nina Schopka pflichtet ihm lächelnd zum zu erwartenden absichtlichen inszenatorischen Overkill bei: „Überforderung macht nur dann keinen Spaß, wenn man denkt, man muss es verstehen.“

Die wilde Mischung kommt jedenfalls bei Publikum und Kritik gut an. Der Regionalverband Saarbrücken zeichnete das Kollektiv 2020 mit dem Kulturpreis für engagierte Kunst für den identitätsstiftenden, entwicklungsfördernden und dynamischen Austausch über gemeinsame Ziele und Werte mit den Bürgern des Saarlandes aus. Die Fachzeitschrift „Theater heute“ hat sowohl das Kollektiv als auch Nina Schopka in diversen Kategorien bereits nominiert. Außerdem sind einige Vorstellungen bereits ausverkauft. Wobei „ausverkauft“ eher als „ausgebucht“ zu verstehen ist, da der Eintritt frei ist und danach jede und jeder gern geben darf, was der Geldbeutel so hergibt. Abgesehen davon finanziert sich das Kollektiv auch über Zuschüsse, da die Akteure vor und hinter der Bühne natürlich Profis sind und engagiert werden.
Neben Nina Schopka und Nicolas Marchand ist noch Heidi Brouzeng zu sehen. Sie arbeitete ab 1995 als Schauspielerin mit verschiedenen Regisseuren wie Marie Marfaing, Perrine Maurin, Cécile Arthus an Stücken des klassischen und zeitgenössischen Repertoires. In ihren Arbeiten fokussierte sie sich auf das Erforschen interdisziplinärer Formate aus Performance, Musik, Tanz und Puppenspiel. Sie habe bereits mehrere Aufführungen des „Korso-op.Kollektivs“ verfolgt und war von der „Verwegenheit“ sehr angetan. Sie sagt: „Obwohl wir uns sehr ähnlich sind, sind wir auch sehr verschieden.“