Quasimodo, Zorro, Hannibal Lecter, Nixon, Picasso und Hitchcock – Anthony Hopkins spielte sie alle und noch viele mehr. In seinem neuen Film verkörpert er den Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud. Doch die Schauspielerei ist für ihn eigentlich nur noch Hobby.

Der Brite Anthony Hopkins gehört zu den größten Schauspielern der Filmgeschichte. Für die Rolle des Psychopathen Dr. Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ wurde er 1992 mit dem Oscar ausgezeichnet. Legendär ist seine Fähigkeit, extrem lange Textpassagen auswendig aufsagen zu können: Für das Drama „Amistad – Das Sklavenschiff“ meisterte er ganze sieben Seiten Monolog in einem einzigen Take. Davon war Regisseur Steven Spielberg dermaßen beeindruckt, dass er ihn statt Tony nur noch Sir Anthony nannte. Für Hopkins keine große Sache. 1993 zum Ritter geschlagen, scheut Sir Anthony Angeberei und Pomp wie der Teufel das Weihwasser. Er nähert sich seinen Rollen ganz prosaisch: „Ich lerne meinen Text, sage ihn vor der Kamera auf und versuche, nicht über die Teppichfransen zu stolpern. Und ich beherzige den Rat, den mir die große Katharine Hepburn bei meinem ersten Film ‚Der Löwe im Winter‘ gegeben hat: ‚Schauspielere nicht. Sei einfach.’ Das hat mir in den letzten 60 Jahren gute Dienste erwiesen.“
Angeberei ist nicht sein Ding

Der Mann, der in seinen Filmen an schauspielerischer Brillanz meist alle seine Mitspieler überragt, der wie kaum ein anderer schwierige Rollen scheinbar mühelos meistert und manchmal auch wunderbar exzentrisch sein kann, ist im Interview sehr freundlich, ja charmant. Anthony Hopkins ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet: schwarzer Anzug, schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Loafer. Was ihm ein entspannt-elegantes Flair verleiht. Noch bevor wir uns setzen, will er wissen, woher man kommt. „Aus Deutschland? Sehr schön. Ich komme aus Süd-Wales.“ Und dann sagt er noch mit einem Augenzwinkern: „Sie können mich Tony nennen.“
Philip Anthony Hopkins wurde 1937 im kleinen Ort Margam, Port Talbot, geboren und wuchs dort in einer kleinen Wohnung über der Bäckerei seines Vaters auf. „Ich war ein lausiger Schüler, ein rich-tiger Versager, ein Dummkopf. Ich war ein Einzelgänger, war antisozial und hatte keine Ahnung von nichts. Deshalb wurde ich Schauspieler“, sagt er lächelnd. Nachdem er mit Ach und Krach die Mittlere Reife geschafft hatte, hielt er sich mit Hilfsarbeiterjobs über Wasser und wurde 1958 zur Royal Artillery eingezogen, wo er als Kanonier diente. Sein Interesse an der Schauspielerei brachte ihn schließlich ans Theater. Anfang der 1960er-Jahre kam er bei der Royal Academy of Dramatic Art in London unter und wurde 1965 vom großen Laurence Olivier an das Royal National Theatre engagiert. Olivier erkannt Hopkins’ Talent und wurde sein Mentor. 1968 drehte Anthony Hopkins seinen ersten Kinofilm, „Der Löwe im Winter“. Zu dieser Zeit hing er gern mit einigen der berüchtigtsten britischen Draufgänger in Pubs ab – darunter Richard Burton, Peter O’Toole, Oliver Reed, Rex Harrison – und ließ es so richtig krachen. „Mein großes Vorbild war damals Richard Burton, der ja wie ich aus Wales stammt. Er war ein großartiger Schauspieler und Trinker. Damals habe auch ich noch in rauen Mengen Alkohol getrunken. Zu Beginn meiner Karriere war der Alkohol so etwas wie ein Treibstoff für mich. Aber mit der Zeit habe ich erkannt, dass er langsam mein Leben zerstörte. 1979 habe ich von einem Tag auf den anderen gar nicht mehr getrunken. Seitdem bin ich trockener Alkoholiker und gehe, wenn ich Zeit habe, überall auf der Welt regelmäßig zu den AA-Treffen. Was mir immer noch sehr viel Kraft gibt.“

In den 1970er-Jahren spielte Anthony Hopkins viel Theater und glänzte auf verschiedenen Bühnen in Shakespeare-Rollen, wie in „Othello“ oder als Claudius in „Hamlet“, machte sich einen Namen in anspruchsvollen britischen TV-Serien wie „Krieg und Frieden“ und in Kinofilmen wie „Die Brücke von Arnheim“. 1980 holte ihn David Lynch für seinen Film „Der Elefantenmensch“ nach Hollywood. Als er dort erst einmal Fuß gefasst hatte, spielte er unter anderem in Filmen wie dem Meuterei-Drama „Die Bounty“ mit Mel Gibson, dem Remake von „Der Glöckner von Notre Dame“, wo er als Quasimodo die schöne Esmeralda vor dem Tod rettet, und im Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ (1991). Hopkins gibt darin den Kannibalen Hannibal Lecter mit einer geradezu hypnotischen Intensität. Und lässt dabei nicht nur Jodie Foster als FBI-Agentin Clarice Starling das Blut in den Adern gefrieren, sondern auch uns Zuschauern im sicheren Kinosaal. Obwohl er nur 16 Minuten im Film zu sehen ist, bekam er dafür seinen ersten Oscar.
„Ich fühle mich nicht getrieben“
Nach seinem internationalen Durchbruch konnte er es sich leisten, bei der Wahl seiner Rollen wählerisch zu sein. Was sich auch bald auszahlte. In den 1990ern wirkte er in einer Reihe von Filmen mit, die auch heute noch zu seinen besten zählen: „Was vom Tage übrig blieb“, „Shadowlands“, „Legenden der Leidenschaft“, „Auf Messers Schneide – Rivalen am Abgrund“ und „Rendezvous mit Joe Black“. Anthony Hopkins erinnert sich: „Das war eine gute Zeit. Damals wurde ich auch, was meine beruflichen Ambitionen anging, merklich entspannter. Früher war ich geradezu obsessiv. Als ich jung war, habe ich jede Rolle angenommen, auch wenn sie Mist war – nur damit kein anderer Schauspieler sie bekam. Ich war sehr eifersüchtig auf die Erfolge anderer. Aber mittlerweile lebe ich ein sehr beschauliches Leben. Mein oberstes Prinzip ist, Spaß zu haben. Ich fühle mich in keiner Weise mehr getrieben. Ich habe mich längst vom Konkurrenzdenken verabschiedet.“

Hopkins sagt das nicht etwa resigniert, sondern wie jemand, der sich und der Welt nichts mehr beweisen muss. Er wirkt überhaupt sehr relaxt, fast sanft. Ohne dabei an Wachsamkeit zu verlie-ren. Auffällig ist auch, wie geschmeidig er sich bewegt. Wenn er zum Beispiel das Zifferblatt seiner Armbanduhr, die sich verschoben hat, ganz beiläufig wieder nach oben dreht. Ohne hinzuschauen. Oder scheinbar geistesabwesend über die Bügelfalten seiner Hose streift. Er kann – und will – den Gentleman eben nicht verleugnen. Mit seiner samtweichen Flüsterstimme fährt er fort: „Heute ver-bringe ich meine Zeit damit, ab und zu einen Film zu machen, wenn man mich dafür haben will. Sonst lese ich viel, reise gern, male, komponiere Musik.“
Interessant ist, dass Anthony Hopkins ursprünglich eigentlich Maler werden wollte. „Doch das hat sich einfach nicht ergeben“, wie er sagt. „Auch mein zweiter Herzenswunsch, Konzertpianist zu werden, hat sich nicht erfüllt. Also habe ich mich eben irgendwann aufs Komponieren verlegt. Wenn Sie mich fragen würden, was mir den größeren Kick gegeben hat – einen Oscar zu erhalten oder meine Kompositionen vom Johann Strauss Orchester unter der Leitung von André Rieu an der Wiener Staatsoper uraufgeführt zu bekommen –, würde ich ohne zu zögern Letzteres wählen. In die Schauspielerei bin ich damals mehr oder weniger zufällig hineingerutscht.“

Anfang 2000 ist Anthony Hopkins nach Los Angeles gezogen und hat es seitdem keinen einzigen Tag bereut. Statt des tristen Wetters und des Kohlenstaubs in Wales genießt er in L.A. die Sonne, das Meer und „mit dem Auto stundenlang die Küste entlangzufahren – ein wunderschönes Gefühl der Freiheit.“ Seit 2003 ist er in dritter Ehe mit der 29 Jahre jüngeren Stella Arroyave verheiratet; sie ist kolumbianischer Abstammung und war Antiquitäten- und Kunst-Maklerin. Die beiden begegneten sich in ihrem Laden in Pacific Palisades zum ersten Mal. Arroyave ermutigte Hopkins auch, wieder zu malen. Seine Bilder, meist Acryl oder Tusche auf Leinwand, wurden bereits – weitab von Hollywood – unter anderem in Galerien in Zürich und auf Hawaii ausgestellt. Die Verkaufserlöse seiner Bilder kommen wohltätigen Organisationen zugute.
„Früher hatte ich Angstzustände“
Auch im hohen Alter – er feiert dieses Jahr zu Silvester seinen 87. Geburtstag – ist Anthony Hopkins noch immer auf der Höhe seiner Kunst. 2021 bekam er für die Rolle als Demenzkranker im Drama „The Father“ seinen zweiten Oscar als Bester Hauptdarsteller. In seinem aktuellen Film „Freud – Jenseits des Glaubens“ spielt er den schwer an Krebs erkrankten Freud am Ende seines Lebens. In seinem Londoner Exil trifft sich der Vater der Psychoanalyse – zwei Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – mit in dem Schriftsteller C. S. Lewis (Matthew Goode). Mit ihm diskutiert er über Traumata und Neurosen, Familienangelegenheiten und die Abwesenheit von Gott. Und darüber, ob (Freuds geplanter) Selbstmord Sünde ist oder nicht. Hopkins spielt Freud als übel gelaunten und streitsüchtigen Querulanten mit eindrucksvoller Intensität.
Im Gegensatz zu Freud würde für Anthony Hopkins ein Suizid nie in Frage kommen, unter welchen Umständen auch immer: „Ich habe viel zu viel Freude am Leben. Das hat allerdings lange gedauert. Früher neigte ich zu Depressionen, hatte Angstzustände, sah alles viel zu negativ. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Und wie schon ein anderer großer Psychoanalytiker, nämlich Carl Gustav Jung, so richtig sagte: ‚Ab einem gewissen Alter stehen wir auf dem Berggipfel und sehen am Horizont das Ende des Lebens.‘ Wie recht er hat! Wenn man jung ist, sieht man das nicht. Da denkt man, man sei für immer unverwundbar. Aber wenn man sich bewusst macht, dass das Leben irgendwann einmal zu Ende geht, dann gibt einem das eine große Lebensenergie. Dann erkennt man die Schönheit des Lebens erst so richtig. Auf mich trifft das jedenfalls zu. Ich will wirklich – carpe diem! – aus jedem Tag das Beste machen. Ich kann nur jedem raten, intensiv und lustvoll zu leben. Esst leckeres Essen, spaziert in der Sonne, springt ins Meer, seid albern, seid freundlich, seid komisch und tragt euer Herz auf der Zunge. Ich habe auch keine Angst vor dem Tod. Natürlich habe ich keinen Schimmer, was nach dem Tod kommt. Aber darüber mache ich mir keine Gedanken. Meine Frau sagt oft, wenn ich wieder mal anfange zu grübeln: Was auch immer sein wird – oder nicht: Sagen wir einfach Danke für dieses Leben.“