Oregon wird von europäischen Touristen nicht so häufig bereist. Das ist schade, bietet der Bundesstaat nördlich von Kalifornien doch nicht nur grün-bergige Landschaften und eine malerische Küste, auch die indigene Geschichte will entdeckt werden.

Das „Pendleton Round-Up“ ist einer der Höhepunkte für jeden Rodeo-Fan im Nordwesten Amerikas: In der kleinen Stadt Pendleton im Osten Oregons kommen jedes Jahr im September rund 50.000 Fans und Rodeo-Begeisterte zusammen, die sich Wettkämpfe im „Horseback-Reiten“, Kälber-Einfangen oder Melken wilder Kühe ansehen. Das Ganze ist für deutsche Augen und Ohren ungewohnt, etwa das Absingen der Nationalhymne und das gemeinsame Gebet, bevor es losgeht. Doch dann geht es los mit dem Ritt der ersten Teilnehmer, die eine amerikanische, eine kanadische und eine Flagge des Bundesstaats Oregon mitführen.
Auch wenn das „Pendleton Round-Up“ erstmal wirkt wie eine Veranstaltung der weißen Mehrheitsgesellschaft, so ist die indigene Kultur doch überraschenderweise Teil des Rodeos geworden, geradezu verwoben. Nicht nur nehmen indigene Reiter am Rodeo teil, hinter dem Stadion bauen Native Americans jedes Jahr Tipi-Zelte auf.
Eine der wichtigsten Organisatorinnen des „Round-Up“ ist Bobbie Connor, 69 Jahre alt, eine Frau mit grauen Haaren und einem einnehmenden Lächeln. Sie hat gleich mehrere Jobs: Sie ist Pferdezüchterin, Veranstalterin, Autorin und Aktivistin für die Rechte der Indigenen. Bobbie Connor, die zum Stamm der Umatilla gehört, könnte stundenlang erzählen, wie es zu der Zusammenarbeit zwischen Weißen und Indigenen kam: „Diese Kooperation begann vor 114 Jahren aus drei Gründen: Die weißen Händler wollten das Geschäft mit dem Rodeo ankurbeln, und die Wild-West-Shows jener Zeit begannen, zu verschwinden – man brauchte uns. Damals dachte man, dass wir eine aussterbende Rasse seien. Das haben wir selbst jedoch nie geglaubt, und so kam es zu der Idee der Kooperation, dass wir hierherkommen und unsere lebendige Kultur präsentieren – bis heute.“
Geschichte des Wilden Westens

Dass auf einem Rodeo ein Tipi-Zeltlager aufgestellt wird, und die indigene Kultur so eng verschmilzt mit der Rodeo-Kultur, ist auch in Nordamerika ungewöhnlich, nur an ein paar Orten in den USA und in Kanada wird das ähnlich gehandhabt. Bobbie Connor erzählt, dass viele Indigene aus den Reservaten fortgehen, um Erfahrungen außerhalb zu machen. Sie selbst hat 25 Jahre lang in der Finanzindustrie gearbeitet. Diese Kenntnisse haben ihr sehr geholfen für ihre Arbeit, sagt sie. Connor war auch in einer Schul-Kommission, die die Geschichte der indigenen Völker in Nordamerika neu betrachten und Schulbücher umschreiben sollte – das Unrecht, das vielen Stämmen angetan wurde, wird nun durchaus auch diskutiert in den Schulen des Nordwestens. Sie sagt aber, sie will nicht zu sehr in die Vergangenheit schauen, sondern lieber in die Zukunft.
Dieses Selbstbewusstsein zeigt sich auch in einem der kuriosesten Ereignisse der Gegend – die „Happy Canyon Show“, die zeitgleich zum „Pendleton Round-Up“ ein Wochenende lang jeden Abend auf einer Freilichtbühne gezeigt wird. Die Show porträtiert mit über hundert kostümierten Darstellern die Besiedlung des amerikanischen Westens. Sie beginnt mit der Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner vor der Ankunft des Weißen Mannes, als Expeditionen die westlichen Regionen überfielen – im zweiten Teil wird es wieder lustiger. Das Ganze ist der blanke Kitsch – und ist doch seit über hundert Jahren sehr beliebt.
Wie sehr sich die indigene Community bemüht, ihre Kultur zu erklären, sie nicht untergehen zu lassen, kann man im „Tamástslikt Cultural Institute“ erfahren, ein Museum, das 1998 gegründet wurde – mit nur einer halben Millon Dollar als Startkapital. Es liegt nicht weit entfernt von Pendleton. Hier kann man alles über die Geschichte der indigenen Stämme der Cayuse, Umatilla und der Walla Walla erfahren. Mittlerweile ist es ein stattliches Museum mit einer großen Dauerausstellung und Räumen für temporäre Ausstellungen. Randy Melton ist Co-Direktor und führt durch das Museum, das auch als Veranstaltungsort dient: „Tamásklik bedeutet, etwas zu interpretieren oder darüber zu sprechen. Wir wollen hier erläutern, wer wir waren, wer wir sind und wer wir sein wollen. Wir gehen zurück in die Vergangenheit und zeigen auch die Umbrüche und Änderungen vor Hunderten von Jahren, aber auch unser heutiges Leben, unsere Arbeit, was wir machen, und wie sich all das verändert hat. Wir wollen aber auch die Bedrohungen zeigen, was uns umtreibt, wenn es um die Zukunft geht.“

Das Museum ist, trotz einiger typisch amerikanischer Stilmittel, die etwas kitschig wirken – wie ein nachgebautes Tipi –, wirklich interessant. In etwa einer Stunde Rundgang werden nicht weniger als 12.000 Jahre Geschichte der Ureinwohner lebendig. In einem nachgebauten sogenannten Long House erzählt eine indigene Frau vom Band, wie das Leben damals war. Die „Long Houses“ waren zentrale Versammlungsstätten, die für viele unterschiedliche Events benutzt wurden: Hier wurde gefeiert, beraten, abgestimmt und vieles mehr. Noch heute stehen hier und da in manchen Orten in Oregon diese „Long Houses“, die auf den ersten Blick wie Kirchenhäuser aussehen. Überhaupt ist es erstaunlich, wie sehr die indigene Kultur, das Erbe der Ureinwohner, noch heute die Menschen der Region beschäftigt.
Etwa 20 Minuten von Pendleton entfernt liegt in einer einsamen Gegend das „Crow Shadow Institute of the Arts“. Das kleine Institut ist gleichzeitig Galerie, Förderinstitution für indigene Künstler, die hier zeitweise arbeiten, und Veranstaltungsort. Von außen erkennt man kaum, was sich hinter dem unscheinbaren Haus verbirgt. Phinney Brown ist hier Geschäftsführerin: „Was wir hier machen, ist, einen Ort anzubieten, wo indigene Menschen Kunst erschaffen können. Wir realisieren das durch unser ‚Artist in residence‘- Programm, in dem vor allem Print-Kunstwerke hergestellt werden. Künstler kommen für zwei Wochen her und erschaffen neue Werke, die wir dann in unserer Galerie aufnehmen und zu verkaufen versuchen.“
Chief Joseph war großer Stratege
Die indigene Kunst widmet sich stärker als vielleicht andere Kunstformen der Natur und ihren Erscheinungen. Was indigene Kunst eigentlich ist, sei sie schon oft gefragt worden, sagt Phinney Brown: „Viele Themen haben mit der Landschaft zu tun, mit der Bewegung der Menschen, die zurück aufs Land wollen, auch andere politische Themen, die die Indigenen betreffen, an anderen Stellen ist es mehr die Würdigung der Kultur und Lebensweisen, ein Künstler porträtierte die vielen Körbe seiner Großmütter, solche Dinge. Aber im Allgemeinen muss man sagen, indigene Kunst ist die Kunst von Indigenen, die ist sehr vielfältig, und wir wollen auch keinen Einfluss nehmen auf das, was jemand erschaffen will.“
Das Erbe, das weit zurückreicht – es hat auch immer wieder mit der Frage des Landes zu tun, das den Ureinwohnern gehörte. Anderthalb Stunden von Pendleton entfernt liegt das Grab des wohl berühmtesten Ureinwohners der Gegend: „Chief Joseph“ – in früheren Zeiten hätte man ihn wohl als „Indianerhäuptling“ bezeichnet. Doch das greift zu kurz, Joseph galt auch als gewiefter Taktiker und Stratege des Stammes der Nez Perce, weniger als großer Krieger. Joseph entwickelte schon früh ein Verständnis für das Zusammenleben von weißen Siedlern und den Indigenen. Folgendes Zitat wird ihm zugeschrieben: „Wenn der Weiße Mann in Frieden mit den Indianern leben will, so kann er das. Gebt allen Menschen das gleiche Gesetz. Gebt allen Menschen die Möglichkeit, zu leben und sich zu entwickeln. Alle Menschen wurden vom großen Geist erschaffen, und alle sind Brüder.“

Richard Wandschneider ist Leiter des Kunstmuseum in Joseph, einer kleinen romantischen Stadt in den Bergen, die nach dem berühmten Ureinwohner benannt ist. Wandschneider führt zum Grab von Chief Joseph, der hier, am Ufer des großen Wallowa-Sees, begraben liegt. Joseph war das Stammesoberhaupt in dieser Region. Und er war einer derjenigen, die die Verträge von 1855 verhandelten, mit denen das Land den Stämmen zugesprochen wurde. Wandschneider erzählt: „All das hier gehörte zum Nez-Perce-Reservat. Es war viel Land, und dann fand man Gold. Und dann sagte man 1860: Wir nehmen euch 90 Prozent des Landes wieder weg, auch dieses Gebiet hier. Joseph ließ sich darauf nicht ein, ging nach Idaho, kam zurück und lebte für eine Zeit glücklich, aber dann kamen 1871 neue Siedler, und dann starb er auch in diesem Jahr.“
Heute ist das Gebiet der Nez Perce-Indigenen nur noch ein Bruchteil dessen, was ihnen mal gehörte. Und dennoch: Die Indigenen des Nordwestens Amerikas haben heute, 150 Jahre später, ihren Frieden gemacht mit der Geschichte und leben zwar noch immer nahe an der Natur und der Landschaft, aber durchaus in der Moderne. Die Herausforderung, die indigene Kultur und das Erbe der Vorfahren zu erhalten, stellt sich jedoch immer wieder neu.