In Deutschland leiden etwa 950.000 Menschen an einem Glaukom (Grüner Star) – es handelt sich damit um die zweithäufigste Erblindungsursache in Deutschland. Prof. Dr. Marc Schargus, Chefarzt der Augenklinik Asklepios-Nord Hamburg, klärt im Interview über verschiedene Arten, Risikofaktoren und Behandlungsmöglichkeiten auf.
Herr Prof. Dr. Schargus, was genau passiert bei einem Glaukom im Auge?
Ein Glaukom, auch bekannt als Grüner Star, ist eine Augenkrankheit, bei der es zu einer Schädigung des Sehnervs kommt. Sie kann unbehandelt zur Erblindung führen. Die Hauptursache ist meist ein erhöhter Augeninnendruck.

Es gibt verschiedene Arten von Glaukomen. Welche sind am häufigsten verbreitet und was ist der Unterschied zwischen diesen?
Die häufigste Art des Glaukoms ist das primäre Offenwinkelglaukom, mit einem Anteil von 70 bis 90 Prozent aller Glaukome. Hierbei kommt es zu einem erhöhten Augeninnendruck, der meist schmerzlos ist und über Jahre zu einer Schädigung des Gesichtsfelds führt. Aufgrund fehlender Symptome im Anfangsstadium wird diese Form häufig erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt.
Die zweite häufige Form ist das Winkelblockglaukom. Hierbei verschließt sich der Abflussbereich im Augeninneren, der Augeninnendruck steigt an. Passiert dies plötzlich, spricht man von einem akuten Winkelblockglaukom. Das Auge ist dann steinhart. Dies ist sehr schmerzhaft und führt zu einer starken Sehverschlechterung, die sich – rechtzeitig behandelt – wieder zurückbilden kann. Daneben gibt es weitere Formen wie das Normaldruckglaukom und sekundäre Glaukome. Beim Normaldruckglaukom ist der Augeninnnendruck in einem „normalen“ Bereich. Trotzdem kommt es zu einer Schädigung des Sehnervs. Ursache kann hier eine mangelnde Durchblutung des Sehnervs sein. Die Behandlung ist hier schwierig. Sekundärglaukome können unterschiedlichste Ursachen haben wie Verletzungen, Entzündungen und Gefäßneubildungen im Abflussbereich.
Welche Ursache haben Glaukome?
Es gibt verschiedene Ursachen für Glaukome. Häufig spielt eine Kombination aus genetischen Faktoren, Strukturveränderungen im Auge und anderen Gesundheitsproblemen eine Rolle. Außer beim Normaldruckglaukom kommt es bei allen Formen zu einem Anstieg des Augeninnendrucks, meist durch eine Störung des natürlichen Abflusses. Dies kann zum Beispiel durch verstopfte Abflusskanälchen oder entzündliche Veränderungen mit Verklebung des Abflussbereiches entstehen.
Was sind meist die ersten Symptome und welche folgen dann?
Die Symptome eines Glaukoms variieren je nach Typ der Erkrankung und Stadium. Während das Frühstadium oft symptomlos ist – vor allem beim primären Offenwinkelglaukom –, treten im Spätstadium deutliche Seheinschränkungen auf. Einige Formen, wie das Winkelblockglaukom, können hingegen sofort akute und dramatische Beschwerden auslösen.
Im Frühstadium lassen sich erste Schäden am Sehnerv häufig nur mit speziellen Untersuchungsgeräten diagnostizieren. Später entwickeln sich Gesichtsfeldausfälle dazu, die der Patient lange selbst nicht bemerkt. Erst wenn sie weit fortgeschritten sind, und oftmals auch erst bei Beeinträchtigung des zweiten Auges, fallen sie dem Patienten auf. Dann ist aber schon ein großer Teil des Sehnervs irreparabel geschädigt. Das Tückische an der Erkrankung ist, dass sie in den meisten Fällen schmerzlos abläuft und über viele Jahre langsam schleichend zu einem Gesichtsfeldverlust führt.
Hat ab einem gewissen Alter jeder ein Risiko, an einem Glaukom zu erkranken?
Das Risiko, an einem Glaukom zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter deutlich an. Während nicht jeder automatisch ein Glaukom entwickelt, gehört das Alter zu den wichtigsten Risikofaktoren. Ab dem 40. Lebensjahr steigt vor allem das Risiko, an einem primären Offenwinkelglaukom zu erkranken, und es liegt bei circa zwei bis drei Prozent in der Bevölkerung. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt das Risiko aufgrund altersbedingter Veränderungen weiter zu und ab dem 70. Lebensjahr steigt das Risiko auf zehn Prozent.
Gibt es Menschen, die ein höheres Risiko haben als andere?
Als Risikogruppen gelten Patienten mit einer familiären Vorbelastung, einige zugrundeliegende Gene wurden hier auch schon identifiziert. Das Risiko, an einem Glaukom zu erkranken, ist um den Faktor vier bis zehn erhöht, wenn Eltern oder Geschwister bereits an einem Glaukom erkrankt sind. Auch die Herkunft spielt eine Rolle. Menschen afrikanischer Herkunft erkranken eher an einem primären Offenwinkelglaukom, wohingegen Menschen mit asiatischen Wurzeln eher an einem Winkelblockglaukom erkranken. Allgemeine Risikofaktoren sind Bluthochdruck oder eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus). Aber auch durch eine Medikamenteneinnahme kann das Risiko steigen, zum Beispiel bei langjähriger Kortisoneinnahme. Auch erlittene Verletzungen am Auge oder Entzündungen erhöhen das Erkrankungsrisiko.

Grüner Star gilt als heimtückisch, da er sich erst bemerkbar macht, wenn es schon zu spät ist. Sollte daher am besten jeder zur Früherkennung gehen?
Da Glaukome im Frühstadium wie beschrieben häufig symptomlos sind, ist eine regelmäßige Augenuntersuchung (Augeninnendruckmessung, Gesichtsfeldtest) entscheidend. Eine Routinekontrolle wird daher ab dem 40. Lebensjahr alle zwei Jahre und bei Risikofaktoren wie familiärer Vorbelastung jährlich empfohlen. Noch besser ist eine Untersuchung der Nervenfasern direkt am Sehnerv, zum Beispiel mithilfe einer optischen Kohärenztomographie (OCT). Hier können schon Frühschädigungen erkannt werden, bevor erste Gesichtsfeldausfälle auftreten. Leider sind diese Untersuchungen nicht Bestandteil der kassenärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und müssen daher vom Patienten privat bezahlt werden.
Wie genau sehen diese Vorsorgeuntersuchungen aus?
Die klassische Vorsorgeuntersuchung besteht aus einer Befragung des Patienten zu Risikofaktoren, einer Augeninnendruckmessung, einer Gesichtsfelduntersuchung beider Augen, bei der der Patient in eine Halbkugel schaut und auf eine Taste drückt, wenn er einen Lichtpunkt sieht, sowie einer Untersuchung des gesamten Auges mit einem Spaltlampenmikroskop und einer Lupe. Um auch Frühstadien und spezielle Glaukomformen auszuschließen, ist eine OCT-Untersuchung des Sehnervs sinnvoll. Auch eine Untersuchung des Abflussbereiches des Auges mithilfe einer speziellen Linse, die sogenannte Gonioskopie, kann helfen, spezielle Glaukomformen auszuschließen.
Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, etwa den Augeninnendruck senkende Augentropfen, Laserbehandlungen, Stents und Operationen. Welche Methode ist für welches Stadium geeignet?
Die Therapie eines Glaukoms richtet sich nach der Art des Glaukoms, dem Stadium der Erkrankung und dem individuellen Verlauf. Das Behandlungsziel ist dabei, den Augeninnendruck zu senken, um den Sehnerv vor weiteren Schäden zu schützen.
Verschiedene Behandlungsansätze kommen in unterschiedlichen Stadien oder Situationen zum Einsatz. Im Frühstadium und bei nicht sehr hohen Augeninnendruckwerten reicht häufig eine Augeninnendrucksenkung mithilfe von drucksenkenden Augentropfen aus. Manchmal kann auch eine Laserbehandlung des Abflussbereiches für einige Jahre wirken. In mittleren Stadien werden seit einigen Jahren erfolgreich minimalinvasive Glaukomoperationen eingesetzt, um den Augeninnendruck mit möglichst geringem Risiko für Nebenwirkungen zu senken. Hier gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Stents, also kleinsten Röhrchen, die den Abfluss des Kammerwassers aus dem Auge verbessern und damit den Augeninnendruck senken. Auch weitere Laserverfahren zählen zu diesen Verfahren. Gerade beim Winkelblockglaukom sind diese wichtig.
Darüber hinaus gibt es auch sogenannte große Glaukomoperationen, die bei Patienten mit sehr hohen Augeninnendruckwerten oder starker Schädigung des Sehnervs eingesetzt werden. Hierzu zählen etwa die klassische Trabekulektomie oder Drainageimplantate. Je invasiver die Verfahren sind, desto höher sind leider aber auch die Risiken und möglichen Nebenwirkungen.
Die einfache „Graue-Star-Operation“, also der Austausch der natürlichen Augenlinse, senkt den Druck im Mittel um zehn Prozent und kann somit auch beim Glaukom hilfreich sein. Häufig kombiniert man diese heute mit den minimalinvasiven Operationsverfahren.
Mit welchen Methoden haben Sie gute Erfahrungen gemacht?
Den heiligen Gral, also die eine perfekte Operationsmethode, gibt es beim Glaukom leider noch nicht. In den letzten 150 Jahren sind verschiedenste Verfahren eingeführt worden und teilweise auch wieder verschwunden. Jeder Glaukomchirurg hat entsprechend seiner Erfahrung unterschiedliche Methoden, die er vorzieht. Da wir in unserer Klinik häufig Patienten mit bereits fortgeschrittenen Glaukomstadien behandeln, gehören bei uns minimalinvasive und große Glaukomoperationen zum Tagesgeschäft.
Glaukome werden heute von manchen Ärzten als neurodegenerative Erkrankung eingestuft. Gibt es hier demnach neue Behandlungsansätze?
Gerade beim Normaldruckglaukom und auch, wenn es zu einer Verschlechterung des Befundes bei einem gut eingestellten Augeninnendruck kommt, nimmt man an, dass es eine neurodegenerative Komponente gibt. Beim Glaukom zielen neurodegenerative Behandlungsansätze deshalb darauf ab, den Sehnerv zu schützen. Dazu gehören neuroprotektive Medikamente wie Citicolin, antioxidative Therapien, um freie Radikale zu reduzieren, sowie entzündungshemmende Strategien. Auch Wachstumsfaktoren und Ansätze zur Verbesserung der Durchblutung des Sehnervs sind Gegenstand der Forschung. Aufgrund des langen, chronischen Krankheitsverlaufs und der damit verbundenen Schwierigkeiten, gute Studien durchzuführen, gibt es aber noch keine ausreichenden langfristigen Studiendaten.
Kann man bei schweren Augenerkrankungen wie Glaukomen irgendwie „vorbeugen“, zum Beispiel durch Lebensführung und Ernährung/bestimmte Vitamine?
Vorbeugende Maßnahmen wie regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, eine gesunde, ausgewogene, vitaminreiche Ernährung mit Antioxidantien, zum Beispiel aus grünem Blattgemüse, Früchten, Omega-3-Fettsäuren, Bewegung, Stressreduktion, Kontrolle und gute Einstellung von Blutdruck und Blutzuckerwerten und der Verzicht auf Risikofaktoren (Rauchen, Alkohol) können das Risiko eines Glaukoms verringern oder den Verlauf positiv beeinflussen. Besonders wichtig ist eine frühzeitige Erkennung durch den Augenarzt.