Arabica-Kaffee könnte in Zukunft ein rares Gut werden. Forschende warnen vor einem drastischen Rückgang geeigneter Anbaugebiete durch den Klimawandel. Der Druck auf die Kaffeebauern steigt. Mit einer solidarischen Landwirtschaft will der Leipziger Jens Klein dagegenhalten.

In einer Kaffeerösterei im Leipziger Westen riecht es am frühen Morgen nach Gras und Stroh. Keine Spur von Kaffeeduft. „Der Geruch kommt schon noch“, sagt Jens Klein, 38, der an einem Laptop neben der schwarzen Röstmaschine steht. „Erst wenn die Kaffeebohnen geröstet werden, entwickeln sie ihr Aroma.“ In dem Hochregal, das Jens Klein in der Halle der Rösterei angemietet hat, liegen rund zwei Tonnen Arabica-Kaffeebohnen aus Nicaragua. Auf den Jutesäcken steht Cafe Chavalo, frei übersetzt der Kaffeejunge. So heißt der Bio-Kaffee, den der Leipziger seit 2014 aus Nicaragua importiert.
„Damals war ich der Junge, der den Kaffee von Nicaragua nach Deutschland brachte“, sagt er, daher der Name. Gerade hat er die erste Fuhre Kaffeebohnen in die Röstmaschine gegeben. Die umherwirbelnden Bohnen im Innern der Maschine sehen aus wie geschälte Erdnüsse mit einem leichten Graustich. Und sind wahre Geschmackswunder. „In jeder Bohne schlummern rund 800 verschiedene Aromen.“ Klein gibt den Kaffeebohnen Zeit, röstet sie schonend, damit sie ihr gesamtes Aroma entfalten können. „Industriell gefertigter Kaffee wird bei hohen Temperaturen zwischen zwei und vier Minuten geröstet“, sagt Klein. Der Chavalo-Kaffee bleibt gut zwölf Minuten in der Röstmaschine. Als der Laptop piept, öffnet Klein die Luke der Maschine. Ein Schwall schwarzer Kaffeebohnen strömt dampfend und knisternd heraus. Ihr Geruch erfüllt schlagartig den Raum. Der würzige Duft lässt die Herzen von Kaffeetrinkern höherschlagen.
Gefahr durch Schädlinge
Und davon gibt es in Deutschland viele. Kaffee ist das mit Abstand beliebteste Heißgetränk der Deutschen. Rund 167 Liter Kaffee trinken sie jedes Jahr pro Kopf, oft gebrüht aus der Arabica-Bohne. Laut einer Studie der Forschungsgruppe Geography of Food an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften könnten diese Kaffeebohnen jedoch schon bald ein rares und kostbares Gut sein. Das wissenschaftliche Team erstellte verschiedene Zukunftsszenarien für die weltweiten Kaffeeanbaugebiete. Die Testmodelle zeigen die erwartbaren Auswirkungen des Klimawandels. Und die könnten verheerend sein.
Der Klimawandel stellt den Kaffeesektor weltweit vor große Herausforderungen. „Die Arabica-Pflanze wächst im tropischen und subtropischen Klima. Sie mag es warm, aber nicht zu heiß“, sagt Umweltwissenschaftler Roman Grüter, 36, Mitglied des Schweizer Forschungsteams. „Sie ist eine empfindliche Pflanze.“ Im sogenannten Kaffeegürtel entlang des Äquators sind die klimatischen Bedingungen für sie optimal: kühle Nächte, regelmäßiger Niederschlag und Tagestemperaturen zwischen 18 und 22 Grad. Steigt das Thermometer über die Wohlfühltemperaturen der Pflanze hinaus, fühlt sie sich schnell gestresst. Auf hohe Temperaturen folgen Schädlinge und Krankheiten – selbst in Höhenlagen, die bislang als sicher galten.
Massive Ernteeinbußen und sinkende Profite sind die Folge. „Alle Hauptanbaugebiete könnten in Zukunft betroffen sein“, sagt der Schweizer Wissenschaftler. Auch auf eine steigende Zahl an Extremwetterereignissen müssten sich die Kaffeebauern rund um den Globus einstellen: lange Trockenperioden, Tropenstürme oder Überschwemmungen. Die Aussichten für Kaffeebauern sind düster. Um mehr als die Hälfte könnten die für den Anbau von Arabica-Kaffeesträuchern geeigneten Flächen bis 2050 weltweit schrumpfen, sagen die Forscher voraus. „Das heißt nicht, dass der Kaffeeanbau dort nicht mehr möglich ist. Aber in einem großen Teil der Anbaugebiete könnte die Anbaueignung stark abnehmen“, sagt der Umweltwissenschaftler. „Zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort tatsächlich kein Kaffee mehr angebaut werden kann, lässt sich aber nicht prognostizieren.“ Fest steht: Wenn die Profitabilität sinkt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass alternative Kulturen die Arabica-Pflanze ersetzen.
Auch für Nicaragua stehen die Prognosen schlecht. Das Land befindet sich auf Platz zwölf der Kaffee exportierenden Nationen. Rund ein Viertel seiner Exporteinnahmen verdankt das mittelamerikanische Land dem schwarzen Gold. Neben befürchteten Flächenreduktionen durch den Klimawandel und Extremwetterereignisse sorgen laut US-Informationsbehörde Foreign-Agriculture-Service auch die politischen Verhältnisse in dem Land für erschwerte Bedingungen, beispielsweise durch abwandernde Arbeitskräfte.
Zukunftsweisendes Konzept erdacht

Jens Klein blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft. Seinen fair gehandelten Bio-Kaffee bezieht er über zwei Kleinbauernkooperativen. Viele Bäuerinnen und Bauern kennt er persönlich. Bilder zeigen ihn bei seinen Besuchen auf den Kaffeeplantagen der Kooperative Tierra Nueva, nordöstlich der Hauptstadt Managua. Auf den ersten Blick sind die Kaffeesträucher auf den Bildern kaum auszumachen. Sie verstecken sich zwischen Palmen, Laubbäumen und Bananenstauden. „Die Bäume dienen als Schattenspender, so ist die Kaffeepflanze vor der Sonne geschützt und die Feuchtigkeit bleibt im Boden“, sagt Klein. Arabica-Kaffeepflanzen in ökologisch angebauten Mischkulturen im Wald anzubauen gilt als zukunftsweisendes Konzept. Auch faire Handelsbeziehungen werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, davon ist der Leipziger überzeugt. „Wir geben schon heute unser Bestes, arbeiten transparent, lassen die Kooperativen mitentscheiden.“ Einen eigenen kleinen Effekt erzielen und das Leben für die Menschen besser machen, das sind die Ziele von Jens Klein.
Bereits seit seiner Jugend interessiert er sich für fairen Handel, arbeitete in einem Eine-Welt-Laden. „Ich war immer derjenige mit der komischen Schokolade“, sagt er und lacht. Später studierte er auf Lehramt, bevor er im Lokaljournalismus Fuß fasste. Doch das Fair-Trade-Thema ließ ihn nicht los. Also gab er vor zwölf Jahren seinen Job als Lokaljournalist auf und flog nach Lateinamerika. „In Nicaragua besuchte ich einen Sprachkurs und arbeitete bei einer Minikooperative im Tourismus mit.“ Nebenbei besuchte er Kaffee-Fincas und redete mit den Menschen über fairen Handel. „Ich bin dort völlig unbedarft hingefahren, rein aus Interesse, und die Menschen waren total gastfreundlich. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.“
„Wir zahlen gleich für ein ganzes Jahr“

Nach einigen Monaten auf Reisen kehrte er nach Nicaragua zurück. „Die Kaffee-Kooperativen, die ich besucht hatte, mussten aufgrund der geringen Nachfrage einen Teil ihrer Bio-Ernte billig auf dem Weltmarkt verkaufen“, sagt Jens Klein. Fairer Handel sah für ihn anders aus. Er wollte der Ungerechtigkeit des globalen Handelns nicht mehr hilflos ausgeliefert sein. „Also gründete ich Café Chavalo als Nebenerwerb.“ Die Erbschaft seiner Oma machte es möglich. „Sie hieß passenderweise Melitta“, sagt er. Das sei doch ein Zeichen.
Die erste Lieferung kam mit dem Containerschiff im Hamburger Hafen an. Fünfeinhalb Tonnen. Die Bio-Kon-trolle fand in der WG-Küche statt. „Heute importieren wir gut das Zehnfache.“ Ein Viertel des Kaffees wird auf dem 43 Meter langen und über 100 Jahre alten Frachtsegler „Avontuur“ meeresschonend nach Deutschland transportiert, der Rest auf Containerschiffen. Aus dem Einzelunternehmen ist längst eine Genossenschaft geworden. Rund 80 Mitglieder hat sie, darunter auch die beiden Kooperativen aus Nicaragua. Zur Generalversammlung schalten sie sich per Skype dazu.
In der Leipziger Rösterei verschließt Jens Klein gerade den letzten Blecheimer mit fertig gerösteten Arabica-Bohnen. Sie werden per Lastenradkurier in das Leipziger Lager gebracht, ein unscheinbares Hinterhofgebäude im Norden der Stadt, gleich neben den Bahngleisen. Ein Lastwagen des Christlichen Sozialwerks Leipzig parkt an der Rampe. Klein grüßt den Fahrer, der Kartons mit fertig verpacktem Chavalo-Kaffee auslädt. „In einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung wird ein Teil unseres Kaffees gemahlen, verpackt und etikettiert“, sagt Klein. Ein Sparmodell sei das nicht, sondern eine bewusste Entscheidung: „Ich habe einfach ein gutes Gefühl dabei.“
Im Lagerraum stapeln sich 80 verschiedene Café-Chavalo-Produkte in deckenhohen Regalen. Aus einem Pappkarton zieht der Kaffeehändler eine schwarze Packung „wir.Kaffee“ – „fein-nussiger Bio-Kaffee aus solidarischer Landwirtschaft“ steht darauf. Mit diesem Kaffee ist Jens Klein noch einen Schritt weiter gegangen. „Während der Corona-Zeit haben uns nicaraguanische Kleinbauern von ihrer schwierigen Lage berichtet“, erzählt er. Es fehlte an Masken, Handschuhen und einfachen Grundnahrungsmitteln. „Wir wollten ein Zeichen der Solidarität setzen und haben die Idee der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) auf unseren Kaffee übertragen – mit einer neuen Kaffeelinie.“
Aber wie richtet man ein eher regional ausgerichtetes Modell auf den globalen Kaffeehandel aus? „Wir haben uns erstmal von dem Gedanken verabschiedet, Kaffee für einen Preis pro Kilogramm zu kaufen, wie es sonst üblich ist.“ Stattdessen hat er die Produzenten gebeten, zu berechnen, wie viel Geld sie mit dem Kaffee pro Jahr verdienen müssen, um ein gutes Leben zu haben. „Und das ist der Betrag, den wir zahlen“, erklärt er. Jedes Jahr im Voraus, für die gesamte Ernte. „Auch wenn der Ernteerfolg gering ist oder es Missernten gibt.“ Das Risiko verteilt sich auf die Schultern von vielen. „Das Projekt ist auf Langfristigkeit ausgelegt. Über einen gewissen Zeitraum werden sich selbst größere Schwankungen ausgleichen.“

Rund 15 Prozent der Anteile in der Solawi sind bislang vergeben. „Ein Anteil entspricht ungefähr einem Kilo Bio-Kaffee, der für 21,44 Euro gezeichnet werden kann.“ Momentan beziehen etwa 150 Anteilseigner den „wir.Kaffee“: Privatpersonen, Läden, Firmen. Den Rest nimmt die Genossenschaft ab. „Im Augenblick ist es schwer, Menschen dazu zu motivieren, sich an irgendwas längerfristig zu binden und sei es nur an Kaffee.“ Es ist aber gerade die Langfristigkeit, die für die 15 produzierenden Familien in Nicaragua den Unterschied macht. Erstmals sind Zukunftsinvestitionen für sie planbar. „Das eröffnet ihnen völlig neue Möglichkeiten.“
Noch verdient Jens Klein kaum Geld mit dem Solawi-Kaffee. „Aber sobald alle Anteile vergeben sind, fallen Marketing und Vertrieb fast vollständig weg und dann bin ich nur noch der Logistiker, der den Kaffee transportiert“, sagt er. Der Kaffeehändler kennt weltweit kein vergleichbares Modell. „Andere Solawis ordern auch Kaffee, aber keiner nimmt den Bäuerinnen und Bauern die gesamte Ernte ab.“ Als Kaffee-Abo bezeichnet Klein andere Modelle. „Dort bestellt der Anteilseigner über die Solawi eine gewisse Menge. Aber was passiert mit dem Rest der Ernte?“, fragt Klein. Empowerment sieht für ihn anders aus. „Unsere Solawi-Familien können sich zu Jahresbeginn zusammensetzen und ihre Investitionen langfristig planen und priorisieren.“
Wie wichtig langfristiges Planen ist, betont auch Umweltwissenschaftler Roman Grüter. Mit dem Klimawandel kämen auf den Kaffeesektor unkalkulierbare Kosten zu. Es gebe verschiedene Ansätze, wie Kaffeeplantagen den Herausforderungen des Klimawandels begegnen können, sagt der Schweizer Forscher. Ein „gewisses Potenzial“ sieht er in gezüchteten Pflanzensorten, die resistent gegenüber Hitze, Trockenheit oder Schädlingen sind. Auch Anbausysteme, in denen Kaffeepflanzen von einheimischen Bäumen beschattet werden, seien wichtig. „Sie schützen die empfindlichen Pflanzen und dienen zugleich als Windschutz.“ Ein weiterer wichtiger Faktor sei die Fruchtbarkeit des Bodens. Sie kann für den Ernteerfolg ebenfalls entscheidend sein.
Klimaadaption ist ein großes Thema

Doch das Umstellen und Forschen kostet Geld. Geld, das die meisten Kleinbauernfamilien nicht haben. Viele sind aufgrund der niedrigen Kaffeepreise schon heute in ihrer Existenz bedroht. „Der Kaffeepreis ist zu tief, und die Menschen trinken zu viel davon“, resümiert Grüter. Kaffee sei ein Luxusgut. Wer ihn kaufe, sollte nachhaltig angebaute Produkte von Händlern kaufen, die mit Kooperativen zusammenarbeiten oder den Kaffee direkt importieren – ohne viel Zwischenhandel, sagt Grüter.
Für die Kooperativen, mit denen Jens Klein in Nicaragua zusammenarbeitet, ist jetzt die Zeit zum Handeln. Klima-adaption sei ein großes Thema in dem Land. „Starke Regenfälle in der Trockenzeit zerstören ganze Ernten.“ Auch der Schädlingsbefall, vor allem durch Kaffeerost, nehme zu. „Wissenschaftler empfehlen, den Kaffeeanbau in höhere Lagen zu verlagern, aber Nicaragua ist geografisch limitiert“, sagt Klein. Untätig ist das Land jedoch nicht. Die Kaffeeinstitute in Mittelamerika bringen bereits heute neue Varianten der Arabica-Familie auf den Markt. Die Kooperativen, mit denen Klein zusammenarbeitet, versuchen zudem mit Agroforstprojekten Pflanzen und Boden zu schützen. Und sie sorgen vor. „Früher wurde der geerntete Kaffee auf großen Betonflächen zum Trocknen ausgebreitet. Heute legen sie ihn auf Plastikplanen aus oder stellen Zelte auf, um den Kaffee vor plötzlichen Regenschauern schützen zu können.“
Für Jens Klein laufen die Geschäfte trotzdem gut. Er expandiert, verkauft den Kaffee deutschlandweit. Ein Teil des Kaffees wird mittlerweile bei einem Lohnröster in Nordrhein-Westfalen geröstet. Am Nachmittag sitzt er in seinem Büro im Leipziger Stadtteil Connewitz in einer längst stillgelegten Gasmesserfabrik, in der heute Künstler und andere Kreative ihre Büros und Werkstätten haben. Im Büro angekommen, macht sich Jens Klein erstmal einen Filterkaffee mit frisch gemahlenen Fair-Trade-Bohnen von der Konkurrenz. „Einige sind noch hell“, sagt er und pickt drei beigefarbene Bohnen aus dem Tütchen. „Die waren noch nicht reif.“ Den Kaffee trinkt er trotzdem. „Ich war noch nie ein Kaffeegourmet“, sagt er und lacht. „Aber ich habe, selbst wenn das Geld zu Studienzeiten knapp war, immer fair gehandelten Kaffee gekauft.“ Nur dann schmeckt er ihm.