Die Berliner Helmut Newton Stiftung zeigt im Museum für Fotografie Polaroids des Kult-Fotografen und anderer Fotokünstlerinnen und -künstler.

eine von Newtons Polaroidkameras - Foto: Martin Rolshausen
Bunte Spulen, ein paar Kästen, ein Bildschirm, eine Tastatur – und eine Frau in Rot, die mitten im Bild in der Waagerechten mehr zu schweben als zu liegen scheint. So sahen Computerräume Mitte der 60er-Jahre aus, erklärt Matthias Harder – also: wenn man sich die Frau im modischen Zwirn wegdenkt. Matthias Harder ist Direktor und Kurator der Helmut Newton Stiftung in Berlin. Und mit dem Foto, vor dem er an einem sonnigen Märzmorgen im Museum für Fotografie direkt hinter dem Bahnhof Zoo steht, fing alles an. Oder wie Harder sagt: „1965 geht es los.“
Das Foto hat Helmut Newton, der 1920 in Berlin geborene und 2004 in Los Angeles gestorbene Kult-Fotograf gemacht – für die französische Ausgabe des Modemagazins „Vogue“. Es ist, sagt Harder, soweit man wisse, das erste Polaroidfoto, das Newton gemacht hat. Das Foto sei genau so aber sicher nicht in der „Vogue“ gedruckt worden, erklärt Harder. Denn es ist ja ein Polaroid. Und diese Art der Fotografie habe Helmut Newton damals nur genutzt, um „eine Skizze“ zu machen für das Foto, das er dann mit einer besseren Kamera noch einmal machte. Newton habe Polaroids „als vorbereitende Studien verwendet“. Das Bild, das im ersten Stock des Museums für Fotografie hängt, ist eine Vergrößerung des Originals. Es ist Teil der gerade eröffneten Ausstellung „Polaroids“. Im Berliner Stiftungsarchiv befinden sich Hunderte solcher Original-Polaroids. Daraus wurde eine neue repräsentative Auswahl getroffen und durch Polaroid-Vergrößerungen ergänzt. Die Präsentation, die Matthias Harder mit seinem Team inszeniert hat, gleiche „einem Blick ins Skizzenbuch eines der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts und erlaubt den Besuchern zugleich, zumindest vor dem inneren Auge, den Entstehungsprozess von der ersten Bildidee zum endgültigen, von Newton freigegebenen Foto nachzuverfolgen“, erklärt er die Idee.
Im Archiv gebe es noch viel mehr Material, teilweise nie gezeigte Bilder, sagt Harder. „In drei, vier Jahren ist es so weit: Da machen wir eine Ausstellung über die 60er Jahre. Bis dahin ist der Schatz gehoben“, kündigt er an. Aber nun gehe es erst mal um die aktuelle Schau, eine „unglaubliche Zusammenstellung“ sei da gelungen – auch dadurch, dass Newtons Polaroids durch Werke von rund 60 Fotografen und Fotografinnen ergänzt werden. Unter anderem in Kooperation mit der Wiener Galerie Ostlicht, aus deren großer Polaroid-Sammlung Harder sich bedienen konnte.
„Ein Vorläufer der digitalen Fotografie“
„Das Polaroidverfahren hat seit den 1960er-Jahren die Fotografie revolutioniert. Wer diese Kamera jemals benutzt hat, wird den Geruch der Entwicklungsemulsion und die Faszination für das Sofortbild nicht vergessen haben. Gelegentlich entwickelte es sich von allein, während es bei manchen Verfahren zusätzlich nötig war, eine Fixierflüssigkeit über die Bildoberfläche zu ziehen. Insofern ist es – zwar nicht in fototechnischer Hinsicht, wohl aber wegen der schnellen Verfügbarkeit – ein Vorläufer der digitalen Fotografie von heute“, schwärmt der Kurator.
Polaroids als Prints sind meist Unikate. In nahezu allen fotografischen Genres – Landschaft, Stillleben, Porträt, Mode und Akt – und überall auf der Welt fand die ungewöhnliche Bildtechnik begeisterte Anwenderinnen und Anwender. „Auch Helmut Newton liebte es, mit unterschiedlichen Polaroidkameras zu fotografieren sowie mithilfe von Sofortbild-Rückteilen, die die Rollfilmkassetten seiner Mittelformat-Kameras ersetzten“, sagt Harder. Vor allem für seine Mode-Shootings nutzte Newton diese Technik. Harder: „Polaroids entsprechen in diesem Zusammenhang einer Art Ideenskizze und dienen zugleich der Überprüfung der konkreten Lichtsituation und Bildkomposition.“
Für Newton hatten diese kleinformatigen Bilder dennoch einen eigenen künstlerischen Wert. 1992 hat er ihnen ein eigenes Buch gewidmet. Und 2011, also posthum, erschien ein zweites. „Einige Polaroids hat Helmut Newton als eigenständige Werke signiert; sie werden mittlerweile für hohe Summen auf dem Kunstmarkt gehandelt“, weiß Harder.

In der Gruppenausstellung, die Teil der „Polaroids“-Schau ist, werden unter anderem Fotos von Pola Sieverding gezeigt. Sie ist mit ihrer Serie „Valet“, die männliche Wrestler zeigt, vertreten. Ihr italienischer Kollege Maurizio Galimberti lässt monumentale Polaroid-Mosaiken entstehen – „ein wahrlich physischer Akt, bei dem er den Bildgegenstand geradezu obsessiv umkreist, sei es ein Mensch, ein Gebäude oder eine Blume“, wie es der Kurator beschreibt. Auch die beiden Serien von Marike Schuurman sind experimenteller Natur: „Toxic“ ist eine Auseinandersetzung mit dem Braunkohlerevier in der Lausitz. Durch den Abbau der Kohle entstanden Krater, die mit Wasser gefüllt wurden, das wiederum sehr sauer ist. Schuurman fotografierte die künstlichen Seen mit der Polaroid-Kamera und ließ die Prints in deren Wasser mit niedrigem PH-Wert weiterentwickeln, was die Farben der Polaroids radikal veränderte. In der zweiten Serie „Expired“ zerfließen die Farben längst abgelaufenen Filmmaterials.
Die amerikanische Fotografin Sheila Metzner wurde bereits vor einigen Jahren mit ihren so zeitlosen wie einfühlsamen Porträts, Stillleben und Aktfotografien in der Helmut Newton Stiftung vorgestellt. Ihre in der aktuellen Ausstellung erstmals präsentierten Polaroids, die sich in der persönlichen Sammlung der Newtons befanden, offenbaren nun ihren mit Newton vergleichbaren Ansatz, bestimmte Motive kompositorisch mit Hilfe solcher Sofortbilder vorzubereiten.