Für viele seiner 64 Romane der Reihe „Außergewöhnliche Reisen“ erhielt Jules Verne später den Stempel eines Science-Fiction-Autors. Und auch wenn viele davon Besteller waren, blieben ihm höchste literarische Weihen versagt – lange auch die Anerkennung durch die Buchkritiker.

Rund 5.000 Trauergäste aus seiner Wahlheimat Amiens begleiteten den französischen Schriftsteller Jules Verne am 28. März 1905 auf seiner letzten Reise. Vier Tage zuvor war der berühmte Autor im Alter von 77 Jahren verstorben. Mit seinem 1873 erschienen Opus „Reise um die Erde in 80 Tagen“ (auch: „In 80 Tagen um die Welt“) hatte Verne seinen größten Erfolg sowohl im Buchhandel als auch auf der Theaterbühne mit mehr als 400 Aufführungen allein im ersten Jahr gefeiert. Damit hatte er sich schlagartig zum meistübersetzten Autor französischer Literatur katapultiert. Sein Gesundheitszustand hatte sich in seinem letzten Lebensjahrzehnt zunehmend verschlechtert, was ihn aber nicht davon abhielt, in gewohnter Manier eines geradezu Schreibsüchtigen sein letztes Manuskript für den Roman „Herr der Welt“ Ende 1903 abzuschließen, um sich erst danach, nach mehr als 40 Jahren literarischer Betätigung, aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Denn die Erkrankung am Grauen Star, zunehmende Magenbeschwerden und zuletzt auch noch eine schwere Zuckerkrankheit hatten ihm jegliche Kraft geraubt, wobei der zweite Diabetes-Anfall vom 17. März 1905 letztlich zu seinem Tod geführt hatte.
Obwohl Jules Verne in seiner beruflichen Glanzzeit, die 1863 mit der Veröffentlichung seines ersten Romans „Fünf Wochen im Ballon“ begonnen und sich ab 1886 mit dem Tod seines langjährigen Verlegers und Freundes Pierre-Jules Hetzel verflüchtigt hatte, viele Bestseller geschrieben hatte, die von Hetzel unter dem Reihentitel „Voyages extraordinaires“ („Außergewöhnliche Reisen“) zusammengefasst und bestens vermarktet worden waren, blieb ihm die zutiefst erhoffte Aufnahme in die Académie Française versagt. Die prestigeträchtige Institution wollte das Œuvre Vernes schlicht nicht als seriöse Literatur akzeptieren und verweigerte ihm daher die ehrenhafteste Krönung seiner Intellektuellen-Karriere und das Aufrücken an die Seite der „Unsterblichen“.
Fragwürdige Kategorisierung

Die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion 1870 und zum Offizier der Ehrenlegion 1892 dürfte er daher bestenfalls als kleinen Trostpreis empfunden haben. Auch später tat sich die internationale Literaturkritik sehr schwer mit der Einschätzung des Werkes von Jules Verne. Noch bis in die 1980er-Jahre galt Verne einzig als Jugendbuch-Autor, auch wenn sich mit Arno Schmidt schon früh ein renommierter deutscher Schriftsteller zu Verne als seinem Vorbild bekannte. Erst danach wurde er von der Literaturwissenschaft als wichtiger Vertreter eines sogenannten szientistisch orientierten Realismus eingestuft. Was fraglos wenig verständlich klingen mag, weshalb in nahezu sämtlichen populären Veröffentlichungen bis zum heutigen Tag das Opus Vernes meist dem Science-Fiction-Genre zugeordnet wird.
Dieser Kategorisierung widersprach der bekannte Romanistik-Literaturprofessor Ralf Junkerjürgen von der Universität Regensburg in seiner 2018 veröffentlichten Verne-Biographie ganz entschieden. Verne könne keinesfalls als Vertreter der Science Fiction angesehen werden, weil er in seinen Werken lediglich das aktuelle Wissen seiner Zeit in fantasievoller Weiterführung verarbeitet habe, ohne sich prinzipiell neue Erfindungen auszudenken. Wobei ihm jedoch teils erstaunlich treffsichere Vorwegnahmen künftiger Realität gelangen. Auch Verne selbst hatte seine Schriften als „Wissenschaftsromane“ deklariert, in frühen Rezensionen wurde er denn auch häufig „auteur scientifique“ genannt.

Das Königskonzept der „Voyage“-Reihe war schon in seinem ersten Roman vorhanden und wurde danach durch Hetzel gleichsam zementiert: Nach dem erzählerischen Vorbild der spannungsreichen Romane des Schotten Walter Scott und dessen „Ivanhoe“, des US-Amerikaners James Fenimore Cooper und dessen „Lederstrumpf“ oder des US-Amerikaners Edgar Allan Poe und dessen „Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym“ entwickelte Jules Verne seine abenteuerlichen Reise-Storys, in denen zu Zeiten eines rapiden technologischen und industriellen Fortschritts die neuesten Erkenntnisse aus verschiedensten Disziplinen wie Geografie, Geologie, Physik oder Astronomie hinein verwoben wurden. Speziell das Reise-Sujet traf den Nerv des nach Expansion, Grenzüberschreitung und Wahrnehmungserweiterung dürstenden Publikums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Hetzel machte seinem Autor die Vorgabe, die Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft und Technik in bewusstem Gegensatz zur zeitgenössischen französischen literarischen Strömung des „l’art pour l’art“ ganz im Sinne einer zweckorientierten Erbauungsliteratur in einem durchweg positiven Sinne erstrahlen zu lassen. Wobei Verne laut Prof. Junkerjürgen für seine Romane einen „neuartigen Heldentypus“ in Gestalt eines Naturwissenschaftlers mit fulminantem Spezialwissen, großer Sozialkompetenz, hohem Arbeitsethos und viel Pragmatismus zur souveränen Meisterung von Alltagsproblemen geschaffen hatte. Die Romane wurden zunächst immer häppchenweise in Hetzels Zeitschrift „Magasin d’éducation et de récréation“ veröffentlicht, bevor sie dann komplett in Buchform aufgelegt wurden. In Windeseile wurden von den bekanntesten Werken wie „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ 1864, „Von der Erde zum Mond“ 1865 oder „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ 1869/1870 im Schnitt zwischen 35.000 und 50.000 Exemplare abgesetzt, übertroffen vom Spitzenreiter „Reise um die Erde in 80 Tagen“ mit sensationellen 108.000 Exemplaren.
Aufgewachsen in noblen Kreisen

Ein Abweichen von der Fortschrittsgläubigkeit, der Verne persönlich keineswegs gehuldigt hatte, wurde von Hetzel nicht geduldet. Entsprechend hatte er die Veröffentlichung des 1863 fertiggestellten Romans „Paris im 20. Jahrhundert“, in dem das trostlose Szenario einer Welt voller technischer Errungenschaften und einer in Misskredit geratenen Kultur heraufbeschworen wurde, strikt abgelehnt. Das Buch wurde daher erst 1994 herausgebracht.
Als Hetzel seinem inzwischen wohlhabenden Erfolgsautor ein einziges Mal nachgab und ihm die Veröffentlichung des fortschrittskritischen Romans „Die 500 Millionen der Begum“ 1879 erlaubte, kam es zu einer Halbierung des bislang üblichen Buchabsatzes. Das konnte Verne jedoch nicht davon abhalten, in seinem Spätwerk seine fortschrittskritische Einstellung trotz dadurch drastisch sinkender Auflagen immer wieder nachhaltig zu offenbaren, indem er beispielsweise in „Die Propeller-Insel“ 1895 die Dezimierung polynesischer Ureinwohner durch importierte Seuchen beklagte, in „Die Eissphinx“ 1897 vor der Ausrottung der Wale warnte oder in „Das Dorf in den Lüften“ 1901 das Abschlachten von Elefanten wegen des Elfenbeins anprangerte.

Als ältestem Sprössling eines erfolgreichen Advokaten war es dem am 8. Februar 1828 im noblen Reederviertel der Hafenstadt Nantes geborenen Jules Gabriel Verne vorbestimmt, einmal die väterliche Kanzlei zu übernehmen. Er ließ sich daher zum Jura-Studium in Nantes und Paris überreden. In der Seine-Metropole fand er schnell Aufnahme in den literarischen Zirkel, freundete sich mit den beiden Dumas an, feierte erste kleinere Erfolge mit Theaterstücken, Opernlibretti sowie Erzählungen in der Zeitschrift „Musée des Familles“ und fungierte zwischen 1852 und 1855 als Sekretär am Théatre Lyrique. Zwischen 1856 und 1865 arbeitete er als Börsenmakler, um seine literarischen Tätigkeiten und nach der Heirat der verwitweten und zwei Töchter mit in die Ehe einbringenden Honorine Morel 1857 seine Familie finanzieren zu können.

Das Zusammentreffen mit dem Verleger Hetzel 1862, der auch schon die Werke Victor Hugos herausgebracht hatte, war für Verne der große Glücksfall. Vertraglich wurde vereinbart, dass Verne jährlich drei, später zwei Roman-Manuskipte abzuliefern hatte und dafür vom Verleger ein fixes Gehalt bezog, mit dessen Hilfe er sich eine gesicherte bürgerliche Existenz mit einigen Extravaganzen wie dem Erwerb von Segelbooten aufbauen konnte. 1875 regelte ein neuer Vertrag die Beteiligung Vernes am Bücherverkauf. Nach der kurzzeitigen Übersiedlung nach Le Crotoy an der Somme-Mündung ließ sich Jules Verne 1871 in Amiens nieder, wo er trotz einer 1886 erlittenen Fuß-Schussverletzung durch einen psychisch kranken Neffen ab 1888 als Stadtrat kommunalpolitisch im kulturellen Sektor tätig war.
Etwa zeitgleich begann die Aussöhnung mit seinem 1861 geborenen Sohn Michel, den er erzieherisch nicht einmal durch die Einweisung in eine Besserungsanstalt so richtig in den Griff bekommen hatte. In die Hände dieses Sohns gelangte nach Vernes Tod dessen schriftstellerischer Nachlass mit einer ganzen Reihe unvollendeter Romane. Diese veröffentlichte Michel posthum unter dem Namen seines Vater, wobei er in den meisten Fällen über die reine Manuskriptbearbeitung hinaus die Texte vollständig neu geschrieben hatte.