In Botswana wird über die größte Elefantenpopulation Afrikas gestritten. Sind die Tiere Segen oder Fluch? Wie sehen die Anrainer von Schutzgebieten die Zukunft der Tiere?

Einen sterbenden Elefanten hat kein Tourist gern vorm Safariwagen. Schon gar nicht, wenn daneben ein hilfloses Jungtier steht. Verzweifelt versucht die entkräftete Elefantenmutter immer wieder vergeblich, sich ein letztes Mal aufzurichten. Ihr Kind streicht mit der Rüsselspitze über den ausgezehrten Körper. Ein Sandsturm wirbelt Staub über das verendende Tier. Die Dunkelheit bricht langsam herein, und Mmadikolobe Vasco Manengena weiß: In der Nacht am Rande dieses Sumpflands sind die Löwen und Hyänen nie weit. „Um diese Jahreszeit ist das hier kein ungewöhnlicher Anblick“, sagt der Guide, als er seine schweigenden Gäste zurück zu ihrer Lodge fährt. „Viele Tiere sterben an Entkräftung, Unterernährung und der Hitze. Sie legen jeden Tag Dutzende Kilometer zum letzten verbleibenden Wasser zurück.“ Die Heimat Manengenas, Botswanas Mababe-Senke, ist gegen Ende der Trockenzeit kein Ort für „Jenseits von Afrika“-Romantiker. Dann spielen sich in der Ebene zwischen dem weltberühmten Okavangodelta und dem Chobenationalpark apokalyptisch anmutende Szenen ab. Büffel und Elefanten sterben zu Dutzenden rings um das letzte Feuchtgebiet, das im Umkreis von mehreren Tageswanderungen verbleibt. Der Geruch ihrer verwesenden Kadaver liegt in der Luft. Manche wurden bereits von Hyänen ausgehöhlt. Überall liegen verstreute Knochen. Vorbeiziehende Elefantenherden halten bisweilen einen Augenblick lang andächtig vor den Gerippen inne. Dass aus vielen Schädeln noch die Stoßzähne ragen, zeigt, dass sie nicht Opfer von Wilderern wurden, wie viele Touristen sogleich mutmaßen.
Wasser – ein Magnet für gewaltige Herden

Mababe war lange selbst unter erfahrenen Botswana-Reisenden kaum bekannt. Einzig abenteuerlustige Touristen, die mit ihren eigenen Geländewagen vom Okavangodelta in Richtung der wildreichen Savuti- und Linyanti-Flussufer fuhren, campten bisweilen in der Gegend. Seit dem Ende der 60er-Jahre trocknete die Ebene jedes Jahr komplett aus. Durch tektonische Plattenverschiebungen kehrte vor etwa 20 Jahren jedoch aus dem Hochland Angolas das Wasser, das auch das Okavangodelta speist, verstärkt zurück. Es verschwand auch in den vergangenen Trockenperioden nie mehr vollständig. Seither ist die Gegend vor Einbruch der Regenzeit ein Magnet für gewaltige Tierherden. Aufgrund der harschen Trockenzeiten der vergangenen Jahre ist ihr Überlebenskampf besonders hart. Bisweilen verzögern sich die erlösenden Regenfronten, die früher meist im Oktober eintrafen, um mehrere Wochen.
Am nächsten Morgen ist Manengena erneut mit seinen Safari-Gästen auf Pirschfahrt. Am Rand des Sumpflands haben sich wieder mehr als hundert Elefanten eingefunden. Sichtlich beglückt planschen sie in dem Morast. Das üppige Grün hebt sich grell von der umliegenden staubigen Savanne mit ihren Baumskeletten ab. „Ich habe diesen Ort Elephant Paradise genannt“, sagt Manengena, „wo sonst kann man so viele Tiere auf einmal sehen? Die Freude der Elefanten zu erleben, die hier endlich das Wasser erreichen, färbt auch auf die Menschen ab.“

Für Manengenas Gäste spielen sich vor dem Safariwagen in atemraubender Intensität dramatische Szenen ab. Ein Rudel Wildhunde kämpft mit einem Tüpfelhyänen-Clan um ein soeben erlegtes Impala. Sechs Schakale versuchen, einer Leierantilope ihr Neugeborenes zu entreißen. Nur wenige Fahrminuten davon haben fünf Löwen einen gewaltigen Büffelbullen umzingelt. Bisweilen bilden die Kaffernbüffel hier Herden von mehreren Tausend Tieren. „Für die Raubtiere ist die Trockenzeit ein Fest“, sagt Manengena. „Ich habe schon beobachtet, dass ein Rudel elf Tiere an einem einzigen Tag erlegt hat – nicht weil sie hungrig waren, einfach nur weil sich die Gelegenheit bot. Bisweilen reißen sie auch verwaiste oder geschwächte Elefantenjunge.“
Für die Touristen ist der Kampf um Leben und Tod, der sich nunmehr Jahr um Jahr in Mababe abspielt, ein einzigartiges Naturschauspiel. Inzwischen können es nicht nur Camper und Selbstfahrer erleben. Auch der Luxus-Tourismus, für den Botswana seit langem ein Trendziel ist, hat den Sumpf inzwischen für sich entdeckt. Für eine Übernachtung im neuen Mokete Camp, das im Sommer als erste Lodge im hochpreisigen Segment am Rand des Sumpflands eröffnete, beginnen die Übernachtungspreise bei weit über 1.000 Euro. Weil es derzeit hier noch keine Fluglinie gibt, lassen die Touristen sich mit dem Helikopter einfliegen. Dass durstige Elefantenherden bisweilen ihre Plansch-Pools leeren, gehört hier zum Luxus-Abenteuer.
Schwierig, Landwirtschaft zu betreiben

Für die Menschen, die im Umkreis von Mababe leben, ist die Konzentration der Wildtiere Segen und Fluch zugleich. „Wir freuen uns natürlich über die neuen Arbeitsplätze durch den Safari-Tourismus“, sagt Olebile Iso, „aber nicht alle profitieren davon“. Die 29-Jährige arbeitet auf einem Campingplatz unweit des Dorfs Mababe, einer Ansammlung ärmlicher Hütten um eine staubige Sandpiste. Erst vor wenigen Tagen ist mitten im Ort ein Elefant kollabiert. Tausende Aasfliegen umschwirren die aufgerissene Haut des Kadavers. „Wir wissen nicht, wie wir ihn fortschaffen sollen“, sagt sie. „Die Elefanten locken die Touristen, aber sie sind auch dafür verantwortlich, dass man in manchen Regionen noch nicht einmal mehr richtig Landwirtschaft betreiben kann.“

Botswana ist das Land mit der größten Elefantenpopulation der Welt. Anders als in etlichen anderen afrikanischen Staaten, die teils dramatische Bestandsverluste verzeichneten, nahm die Zahl der Tiere in dem Binnenland zwischen Namibia und Simbabwe in den vergangenen Jahrzehnten zu. Auf mehr als 130.000 Tiere wird ihre Zahl heute geschätzt. Das sind weit mehr als die derzeitigen Populationen in Namibia, Südafrika, Kenia und Indien zusammengerechnet. Unter Politikern, Naturschützern und Wissenschaftlern wird seit Jahren debattiert, ob man angesichts sich zuspitzender Konflikte mit der Landbevölkerung einige Tiere ins Ausland umsiedeln könnte. Auch ein Ausbau der Trophäenjagd, die seit 2019 wieder zugelassen ist, wird seit langem diskutiert. Viele Bauern würden einen Teil der Tiere am liebsten keulen. Für internationale Schlagzeilen sorgte im Frühjahr der Vorschlag des inzwischen abgewählten Präsidenten Mokgweetsi Masisi, 20.000 Elefanten nach Deutschland zu schicken. Seine Regierung hatte sich darüber erbost, dass das deutsche Umweltministerium die Einfuhr von Jagdtrophäen beschränken wollte.

„Allein schon die Trockenheit macht Botswana gerade sehr zu schaffen“, sagt Kgotlaetsile Pekenene, „vielen Bauern geben die Wildtiere dann gerade noch den Rest.“ Der 44-jährige Familienvater betreibt im Dorf den einzigen Gemüsegarten. Hier hat er Tomaten, Karotten, Wassermelonen und Kürbisse angepflanzt. Vor Elefanten und anderen Tieren muss er sie jedoch mit einem Elektrozaun schützen. „Das können sich natürlich viele nicht leisten, und wenn die Technik nicht mitspielt, ist alles verloren.“ Mehr als die Elefanten fürchtet er gerade aber andere Tiere, die es auf seine Beete abgesehen haben. „Für mich sind Ducker, Paviane und Stachelschweine das größere Übel“.
Die Elefanten bringen aber auch Reichtum

Im Dorf Khwai am Rand des Okavangodeltas blickt Keamogatse Kwere vom Gemeinschaftshaus im Ortszentrum auf Häuschen mit Reet- und Blechdächern. „Ich bin eigentlich dafür, dass man zumindest in einigen Teilen des Reservats auch Elefanten und Büffel schießt“, sagt die Dorfälteste, „aber natürlich steht das im Konflikt mit dem Safari-Tourismus.“ Das Khwai-Konzessionsgebiet wurde in den vergangenen Jahren von einem Jagdreservat in ein Wildschutzgebiet für Fotosafaris umgewandelt. Die einheimischen Bugakhwe-San, die sich auch River Basarwa oder Bushmen nennen, lebten seit Jahrhunderten im Umkreis des Deltas als Jäger und Sammler. In Khwai haben sie inzwischen die Jagd aufgegeben und arbeiten hauptsächlich im Safari-Tourismus. Die Einnahmen der Lodges fließen in den Khwai Development Trust, der die Gemeinde finanziert. „Wir haben unseren Alltag schon immer mit Wildtieren geteilt, aber mittlerweile nehmen die Konflikte zu“, sagt Kwere. In Khwai wurden zwei Dorfbewohner in den vergangenen Jahren Opfer von einem Büffel und einem Flusspferd. Anders als in anderen Schutzgebieten wurden hier jedoch keine Menschen von Elefanten getötet. „Das Beste wäre, Elefanten an Nachbarländer abzugeben“, sagt Johnson Sasaya, der ebenfalls aus dem Dorf Khwai kommt und als Naturführer für das Little Sable Camp im Reservat arbeitet. „Das ist nur sehr kostspielig, und Länder wie Angola, wo es kaum noch Elefanten gibt, müssten für ihre Sicherheit garantieren. Die Tiere kehren auf uralten Wanderrouten auch über hunderte Kilometer zurück, weil sie wissen, dass sie in Botswana sicher sind.“ Die Trophäenjagd sieht der 37-Jährige kritisch. „Viele argumentieren, dass dabei ja nur alte Bullen mit großen Stoßzähnen geschossen werden. Sie berücksichtigen dabei aber nicht, dass gerade diese Tiere die besten Gene haben, um sie an kommende Generationen weiterzugeben.“

Im Moremi-Wildschutzgebiet inmitten des Okavangodeltas beobachtet Jonas Ditunga Kamere, wie eine Elefantenherde sich langsam seinem Safariwagen nähert. Die Matriarchin hält nur wenige Meter vor ihm an und betrachtet einige Minuten die Touristen. Zwischen ihren gewaltigen Beinen lugt ein neugieriges Jungtier hervor und streckt den Rüssel nach Kameres Gästen aus. „Es sind Momente wie diese, die Menschen zu Botschaftern der Natur machen und dafür sorgen, dass sie immer wieder nach Botswana zurückkehren“, sagt der 42-jährige Guide für die nahe Tawana-Lodge. „Die Elefanten bringen uns Reichtum.“ Selbst während der Corona-Pandemie, als der Safari-Tourismus fast zum Erliegen kam, hätten die Tiere auch zum Überleben der Dorfgemeinschaften beigetragen. „Gerade aus Deutschland kamen in dieser Zeit viele Spenden. Das werden wir nicht vergessen.“ Es müssten jedoch Wege gefunden werden, Korridore in Länder zu schaffen, wo die Elefanten auch früher heimisch waren. „Anders als etwa der Bergbau und die Diamantenförderung, Botswanas wichtigstem Wirtschaftszweig, ist der Natur-Tourismus nachhaltig“, sagt Kamere. „Auch unsere Kinder werden noch davon profitieren, wenn wir dieses Land mit seinen Tieren für sie bewahren.“