Voluntourismus, ehrenamtliche Arbeit im Urlaub, wird immer beliebter. Was ist es, das die Menschen dazu antreibt? Und wann ist diese Hilfe wirklich gut, nicht nur gut gemeint? Ein Gespräch mit Antje Monshausen, langjährige Leiterin von Tourism Watch.

Frau Monshausen, liegt Helfen im Urlaub im Trend?
Das ist ein kleines Segment der Reisebranche, das aber seit Jahren wächst. Das hat mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun, hin zu mehr Politisierung, mehr Engagement. Und auch mit zunehmender Flugscham. Menschen haben angesichts des Klimawandels das Bedürfnis, ihre Reise zu rechtfertigen. Da bieten sich solche sinnstiftenden Angebote an.
Wer sind typische Voluntouristen?
Die größte Gruppe ist die der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 30 Jahren. Daneben gibt es immer mehr Menschen, die in der Lebensmitte eine berufliche Auszeit nehmen, für ein Sabbatical. Die dritte Gruppe sind Rentnerinnen und Rentner, die bei guter Gesundheit sind und teils auch in einer wirtschaftlich guten Lage.
Was bringt Menschen dazu, im Urlaub unbezahlt zu arbeiten?
Die Motivation, etwas Gutes zu tun, etwas zurückzugeben von den Privilegien, die man hat, ist, glaube ich, allen Voluntouristen gemein. Auch der Wunsch, stärker einzutauchen in lokale Gemeinschaften. Manchen geht es auch um Distinktionsgewinn: Sie wollen im Urlaub etwas Besonderes tun, das sie von anderen unterscheidet. Und gerade jungen Leuten ist es wichtig, Berufserfahrungen zu sammeln, etwas Positives in den Lebenslauf schreiben zu können.
Was sind positive Aspekte am Voluntourismus?
Darin steckt das Potenzial, Erfahrungen zu sammeln, die die eigene Perspektive, die Verortung in der Welt in Frage stellen – und damit einen wichtigen Impuls für globales, gemeinsames Lernen ermöglichen. Durch die starke Kommerzialisierung und Kurzfristigkeit vieler Angebote wird dieses Potenzial allerdings zum Teil nicht nur nicht geborgen, sondern zerstört.
Inwiefern?
Wir sehen beispielsweise bei manchen Anbietern ein stark armutsorientiertes Marketing, das die Defizite von Ländern oder von Menschen in den Ländern betont. Nach dem Motto: ‚Du willst die Welt retten? Dann reise mit uns!‘ Wenn Menschen aus Europa mit einem solchen neokolonialen Narrativ, einem solchen Überlegenheitsgefühl in die Länder des globalen Südens reisen, ist das kontraproduktiv und gefährlich.
Und was ist das Problem mit der Kurzfristigkeit?
Die ist besonders in Projekten mit Kindern problematisch. Wenn eine Voluntouristin für zwei Wochen in einem Kindergarten mitarbeitet, wird der Rhythmus der Kinder durcheinandergebracht und es können Bindungsstörungen entstehen. Ein absolutes No-Go sind die Angebote in Waisenhäusern, die an vielen Orten ein Geschäftsmodell des Voluntourismus sind. Oft sind die Kinder gar keine Waisen, sondern haben lebende Elternteile, die für ihren Nachwuchs eine gute Ausbildung erhoffen, die er dort aber leider nicht bekommt.
Was sind gute Alternativen für Öko-Voluntourismus?
Freiwilligeneinsätze in Biodiversitätsprojekten können sinnvoll sein, etwa der Schutz und die Kartierung von Brutplätzen. Wichtig ist, dass das professionell begleitet und ökologisch sensibel gestaltet wird. Und dass die Helfenden den Einheimischen keine Jobs wegnehmen.
Gibt es auch Probleme bei Umweltprojekten?

Ja, zum Beispiel die sogenannten ‚Blood Lions‘, ‚Blutlöwen‘, im südlichen Afrika: Voluntouristen werden für ‚Auswilderungsstationen‘ angeworben. Aber die Tiere werden teils eigens dafür gefangen. Und wegen der engen Interaktion können sie danach auch nicht mehr ausgewildert werden. Sie werden zur Jagd freigegeben – als leichte Beute für Trophäenjäger, weil sie an Menschen gewöhnt sind. Generell gilt: Finger weg von Voluntourismus in Wildtier-Projekten!
Wäre es bei Umweltprojekten nicht ohnehin sinnvoller, sich in der Nähe zu engagieren? Ein Flug in die Ferne führt selbst zu Umweltproblemen.
Man sollte sich die Ökobilanz einer Reise immer bewusst machen. Und nach Möglichkeiten suchen, Flüge zu vermeiden. Eine der wichtigsten Faustformeln für den internationalen Tourismus lautet: Seltener fliegen, dafür länger vor Ort bleiben! Hierzu kann der Voluntourismus als Verlängerung und Intensivierung des Urlaubs einen positiven Beitrag leisten. Lieber ab und an ein längerer Aufenthalt in der Ferne mit ehrenamtlichem Engagement vor Ort, als jedes Jahr für zwei Wochen irgendwohin zu fliegen.