Der Talkshow-Moderator und Autor Hubertus Meyer-Burckhardt eröffnet mit einer Lesung aus seinem Buch „Die Sonne scheint immer. Für die Wolken kann ich nichts.“ am 2. April in Saarlouis das Literaturfestival erLESEN.
Herr Meyer-Burckhardt, Ihr aktuelles Buch handelt von Christel Vollbrecht, Ihrer Großmutter. Was war „Osi“, wie Sie sie nennen, für ein Mensch?
Sie war ein Mensch, der den Optimismus, die Großzügigkeit und die Lebenslust liebte.
Knapp 40 Jahre nach ihrem Tod ist sie immer noch sehr präsent in Ihrem Leben. Warum?
Sie hat mir zwei wichtige Charaktereigenschaften mit auf den Weg gegeben: den Humor und das Fernweh. Damit hat sie mein Leben geprägt und somit ist „Die Sonne scheint immer. Für die Wolken kann ich nichts.“ auch eine Liebeserklärung an meine Großmutter.
Sie schreiben: „Der Wunsch meiner Großmutter war, mich zu einem mutigen, abenteuerlustigen und humorvollen Weltbürger zu erziehen.“ Ist ihr das gelungen?
Ja, ich denke schon. Ich bin in der Welt zu Hause, packe das Leben bei den Hörnern und habe einen Satz von ihr verinnerlicht: „Nichts ist so wunderbar wie die Inkonsequenz.“ Wir waren Seelenverwandte, und sie lebt als eine Art blinder Passagier in mir fort.
Abenteuer haben Sie schon in Ihrer Kindheit und Jugend mit ihr erlebt …
Ja, und manche haben wir meiner Mutter einfach verschwiegen. Man könnte das auch „beschütztes Risikomanagement“ nennen. Sie brachte mir zum Beispiel bei, mit dem Dreirad eine Rampe runter und mit dem Tretroller rückwärts zu fahren oder auf hohe Bäume zu klettern. Als ich den Führerschein bestanden hatte, spendierte sie mir ein Schleudertraining. Sie hat mich nicht vor dem Leben beschützt, sondern mich in das Leben hineingeworfen. Das war im Rückblick goldrichtig.
Was haben Sie von Ihrer Osi über den Umgang mit Angst gelernt?
Angst bewertete meine Großmutter als Hürde, die es zu überspringen galt: „Sag, wat de denkst. Sag, wat de brauchst. Sag, wovor de Angst hast. Sag, wat de willst.“ In diesem Spirit bin ich aufgewachsen, und ich empfinde dies als eine enorme Energie-Injektion, die mir da mitgegeben worden ist. Mut bedeutete für meine Großmutter die Überwindung von Angst. Und das schafft man nur, wenn man die Angst vorher benannt hat.
Stimmt es, dass Ihre Großmutter Sie sogar ermutigt hat, die Schule zu schwänzen?
Sie war der Überzeugung, dass das Schulsystem ungeeignet für kreative Geister ist, dass solche Menschen nicht sieben Stunden am Tag in einer Schule eingesperrt sein sollten. Sie sagte zu mir in ihrem typischen abgeschwächten Berlinerisch: „Wenn de det Jefühl hast, Kleener, du musst mal raus, allet wird zu eng, dann jibt et zur Unterrichtsvermeidung keene vernünftige Alternative.“ Aber es war ihr wichtig, dass ich die freie Zeit mit bereichernden Vorhaben verknüpfe: Menschen oder Orte kennenlernen, ins Museum gehen, einen Film gucken.
Das Buch haben Sie „all jenen gewidmet, die einladen, spenden, großzügig sind“. Ihre Großmutter hat in ihrem Lieblingslokal, der Weinstube Boos in Kassel, regelmäßig für alle gezahlt. Haben Sie diese Großzügigkeit geerbt?
Ja, ich lade viel ein und mag keine Menschen, die „Stacheldraht vor dem Portemonnaie haben“, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Ich hasse nichts so sehr wie geteilte Kassen im Restaurant. Wie auch für mich war Geiz für meine Großmutter entsetzlich, dasselbe gilt übrigens auch für Selbstmitleid.
In dieser Weinstube sorgte sie für Unterhaltung und hitzige Diskussionen – unter anderem mit der These: „Allet, wat wir im Leben veranstalten, dient dazu, uns davon abzulenken, det wir sterben werden.“ Wie sehen Sie das?
Ich habe gelernt, dass man den Tod mit Humor nehmen muss. Andere Menschen ernstnehmen und die eigene Existenz mit Humor nehmen – damit lebt es sich sehr gut.
Sie wurden 2017 mit Ihrer Sterblichkeit konfrontiert, als Sie an Krebs erkrankten …
Ich habe meinen beiden Karzinomen sogar Namen gegeben – Shaw und Kafka, nach meinen Lieblingsautoren. Heute geht es mir sehr gut, denn die beiden sind sehr träge.
Sie bezeichnen Ihre Großmutter als „eine Wanderpredigerin der Lebenslust“, die den Satz „Junge, die Sonne scheint immer. Für die Wolken kann ich nichts“ wie ein Mantra vor sich hertrug. Welche Ihrer Sätze sind Ihnen noch in Erinnerung geblieben?
Sicherheit ist eine Illusion. Verschiebe nichts. Sei nie der Schuster, der bei seinen Leisten bleibt. Trotze dem Leben das Abenteuer ab. Und langweile dich nicht, am wenigsten mit dir selbst. Und wenn du mal über die Stränge schlägst, dann genieße auch den Kater.