Der 1. FC Heidenheim spürt eine alte Fußballweisheit am eigenen Leib: Das zweite Jahr nach dem Aufstieg ist das schwierigste. Im Abstiegskampf brauchen die Heidenheimer nicht nur Punkte zum Klassenverbleib.

Nach dem ersten Jahr in der Bundesliga-Geschichte des 1. FC Heidenheim sah sich der Verein vor enormen Herausforderungen. Vorstandsvorsitzender Holger Sanwald machte bereits früh deutlich, wie groß seine Sorge war, dass die zweite Saison in der höchsten deutschen Spielklasse schwerer werden könnte als die erste. „Riesengroß“, so seine knappe, aber deutliche Antwort. Ob der Tabellenneunte seine Leistungsträger halten könne, sei ungewiss, stellte er klar. Dadurch sei es fraglich, ob die Kaderplanung erneut so ideal verlaufen würde wie nach dem Aufstieg. „Da lief schon nahezu alles perfekt“, betonte Sanwald. „Die Spieler haben sich alle noch mal gesteigert, die Neuzugänge haben alle eingeschlagen.“ Doch wirtschaftlich gehöre Heidenheim weiterhin zu den finanzschwächeren Clubs der Liga. Diese Prognose stellte Sanwald im Mai 2024 auf – und wurde damit leider bestätigt.
Finanzschwacher Club

Der Aufstieg des Vereins war geradezu märchenhaft, nicht zuletzt wegen der dramatischen Ereignisse im entscheidenden Spiel: Der alles entscheidende Treffer durch Tim Kleindienst fiel erst in der neunten Minute der Nachspielzeit. Doch es war auch die Krönung der langjährigen Arbeit von Trainer Frank Schmidt, der die Mannschaft bereits 2007 in der Oberliga übernommen und innerhalb von 17 Jahren bis in den europäischen Wettbewerb geführt hatte. Tatsächlich stand Heidenheim nach dem zweiten Spieltag dieser Saison sogar an der Tabellenspitze. Doch inzwischen ist der Abstiegskampf allgegenwärtig in der Voith-Arena. Während man sich unter der Woche mit internationalen Gegnern wie Chelsea oder dem FC St. Gallen messen durfte, geriet die Mannschaft in der Liga immer weiter ins Straucheln. Im Dezember sprach Schmidt mit der „Blick“ über die mentale Belastung durch die Doppelbelastung: „Wenn du dann in so eine Negativspirale reinkommst, macht es das noch einmal schwieriger, um da rauszukommen.“
Die personellen Abgänge vor der Saison haben sich längst bemerkbar gemacht: Von den 50 Treffern der vergangenen Spielzeit entfielen 36 auf fünf Spieler, die den Verein verlassen haben. Besonders schmerzhaft waren die Wechsel von Tim Kleindienst (Gladbach), Jan-Niklas Beste (Lissabon, inzwischen Freiburg) und Eren Dinkci (Freiburg). Dennoch schien es zu Saisonbeginn, als könnte Heidenheim den nächsten personellen Umbruch bewältigen. Mit weitgehend unbekannten Neuzugängen wollte man die Abgänge kompensieren. Leo Scienza (Ulm) und der vom FC Bayern ausgeliehene Paul Wanner zählten zu den großen Hoffnungsträgern. Wanner sorgte mit vier Treffern in seinen ersten vier Einsätzen für Furore. Der Hype um das Talent, das sowohl von der deutschen als auch der österreichischen Nationalmannschaft umworben wird, wurde jedoch so groß, dass Trainer Frank Schmidt irgendwann meinte: „Zu viel Paul Wanner.“ Mittlerweile steckt der 19-Jährige selbst in einer schwierigen Phase und kam zuletzt nur noch als Einwechselspieler zum Einsatz. Budu Zivzivadze, der in der Winterpause aus Karlsruhe verpflichtet wurde, konnte sich bislang nur mit einem einzigen Tor auszeichnen – beim 1:1 gegen Hoffenheim. Dabei entsprach der georgische Stürmer genau dem klassischen Heidenheimer Anforderungsprofil: Toptorjäger der 2. Liga, preiswert verpflichtet. Doch es wirkt, als würde das Erfolgsmodell der Ostwürttemberger nicht mehr so reibungslos funktionieren wie in der Vergangenheit. Ein Punkt bleibt jedoch unverändert: Kritik an Trainer Frank Schmidt gibt es nicht. Während andere Trainer in einer solchen Phase längst entlassen worden wären, steht „Mr. Heidenheim“ nicht zur Debatte. Vorstandschef Holger Sanwald stellte klar: „Er macht auf mich keinen wesentlich anderen Eindruck als in all den Jahren bisher.“ Diese Konstanz ist eines der wenigen Überbleibsel des Heidenheimer Fußball-Märchens.

„Ratlosigkeit ist der erste Zustand, um sich wieder zu verbessern, um nachzudenken, um Entscheidungen zu treffen, wobei man sagen muss, dass es momentan mehr Baustellen sind, als wir aus den vergangenen Jahren gewohnt sind“, analysierte Schmidt treffend. Die große Herausforderung bestehe darin, die Leidenschaft, die das Team einst ausmachte, zurück in die Mannschaft zu bringen. „Das ist jetzt die Herausforderung, und man merkt, dass die Ergebnisse mit jedem etwas machen und der Frust groß ist“, erklärte er offen. Die Führungsspieler schafften es derzeit nicht, ihre Teamkollegen mitzureißen, und es fehle an der richtigen Körpersprache und der nötigen Bereitschaft. Die vielen Problemfelder müssten schnellstmöglich geschlossen werden, wenn Heidenheim den Klassenerhalt schaffen will. „So können wir nicht weitermachen. So ist es keine Voraussetzung, um erfolgreich Fußball zu spielen, schon gar nicht in der Bundesliga“, betonte Schmidt.
Die erste wirkliche Krise

Die Heidenheimer Erfolgsgeschichte kannte in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: nach oben. Eine solche sportliche Krise, wie sie aktuell durchlebt wird, ist in Heidenheim eine unbekannte Situation. „In meiner Trainertätigkeit ist das eine Phase, die wir so noch nicht hatten. Die Bilanz aus den vergangenen zehn Spielen möchte ich nicht noch einmal wiederholen“, gestand Schmidt. Doch in jeder Saison gebe es Mannschaften, die sich dieser Herausforderung stellen müssten, nicht jedes Team könne Meister werden. „Vor dieser Situation konnten wir uns in den vergangenen Jahren immer bewahren. Das ist eine extrem schwierige Situation. Ich möchte die Mannschaft aber auch nicht alleine stehen lassen und mit dem Finger darauf zeigen. Am Ende ist der Trainer der Hauptverantwortliche, das ist ganz klar“, gab Schmidt offen zu.
Mit diesen Worten könnte er fast selbst eine Trainerdiskussion lostreten – ein Novum in Heidenheim, wo Schmidt seit nunmehr 17 Jahren unantastbar ist. Doch wer Holger Sanwald kennt, der weiß: Eine solche Debatte wird es auch diesmal nicht geben. „Ich schreie nicht ‚Juhu‘, und die Situation geht mir nicht am Allerwertesten vorbei. Das belastet“, gestand Schmidt. Nun sei es an den Spielern, die Kritik anzunehmen, sie zu verdauen und selbstkritisch mit der Situation umzugehen. Mit einem Erfolgserlebnis, hofft Schmidt, könne die Mannschaft wieder in die gewohnte Routine des Punktens zurückfinden. „Hier gibt keiner auf. Hier darf auch keiner aufgeben, und die Zuschauer und Fans sollten uns auch nicht aufgeben“, appellierte Schmidt.

„Belastende“ Situation
Sein oft zitierter Leitsatz „Als Trainer ist es wichtig, den Erfolg der Mannschaft nicht zu verhindern“ habe nach wie vor Bestand, erklärte er mit einem Schmunzeln. „Ich kann auch über mich selbst lachen, und man darf sie dann auch nicht so wichtig nehmen. Fakt ist auch: Ein Trainer hat nicht alles richtig gemacht, wenn man so viele Spiele verloren hat.“ Eine sportlich derart prekäre Phase habe er in seiner Laufbahn noch nicht erlebt. Doch entscheidend sei nun, wie das Team mit den Niederlagen umgehe: „Mit welcher Energie, mit welcher Leidenschaft und mit welcher Zuversicht.“ Die Krise sei „schon wieder eine große Herausforderung, die ich mit meiner Mannschaft meistern will.“ Am Ende zähle nur, über dem Strich zu stehen. Dafür wird es aber mehr als ein Wunder brauchen – denn eines wie beim Bundesliga-Aufstieg wird diesmal nicht genügen.