Der Ur-Berliner Harald Juhnke war ein künstlerisches Allround-Talent. Weil er als Entertainer alle Disziplinen wie Schauspiel, Gesang, Tanz und Comedy beherrschte, wurde er mit seinem Idol Frank Sinatra verglichen – mit dem er auch die Vorliebe für Alkohol teilte. Vor 20 Jahren starb der Publikumsliebling.

Als Harald Juhnke im Juli 2000 in Baden bei Wien wieder einmal einem seiner berüchtigten Alkohol-Exzesse zum Opfer fiel und dadurch die Dreharbeiten für den Film „Zwei unter einem Dach“ unterbrochen werden mussten, konnte noch niemand ahnen, dass damit seine erfolgreiche, mehr als 40 Jahre andauernde künstlerische Arbeit mit einem Schlag beendet sein würde. Die anschließende Untersuchung in einer Baseler Klinik, wohin der prominente Star von seiner zweiten Ehefrau Susanne mit einem Privatjet befördert worden war, ergab die fatale Diagnose einer schweren neurologischen Erkrankung namens „Wernicke-Korsakow-Syndrom“. Als Folge des langanhaltenden Alkohol-Missbrauchs war es bei Juhnke zu einer irreparablen Hirnschädigung mit Beeinträchtigung des Gedächtnisses gekommen.
Da sich sein Gesundheitszustand in den folgenden Monaten weiter verschlechterte, musste er seiner geliebten Villa und Fluchtburg im Grunewald für immer Adieu sagen und wurde im November 2001 in ein Pflegeheim für Demenzkranke, den „Katharinenhof“ in Fredersdorf bei Berlin, eingewiesen. Dort dämmerte Juhnke fortan vor sich hin, bis er schließlich am frühen Morgen des 1. April 2005 im Alter von 75 Jahren im Krankenhaus Rüdersdorf bei Berlin verstarb. Zu seiner Trauerfeier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche kamen 800 Gäste. Sein langjähriger Freund Paul Kuhn erwies dem Entertainer mit dessen Sinatra-Lieblingslied „My Way“, das auch als persönliches Lebensmotto des Künstlers interpretiert werden konnte, die letzte Ehre.

Bis zu 30 Millionen TV-Zuschauer pro Show
Als künstlerischer Allrounder war Harald Juhnke so gut wie einzigartig in der Bundesrepublik gewesen. Einzig in seiner Schauspielerlaufbahn hatte er sein großes Talent weitestgehend verschwendet. Sein schon bei Karrierebeginn kurz nach Kriegsende formuliertes Ziel, „einmal der berühmteste Schauspieler Deutschlands“ werden zu wollen, verfehlte er jedenfalls deutlich. In der ellenlangen Liste seiner Filme – rund 70 für das Kino und etwa 60 weitere für das Fernsehen – gab es allenfalls eine Hand voll herausragender Rollen. Die „Berliner Morgenpost“ attestierte Juhnke entsprechend völlig zu Recht nur das Mitwirken an „unterdurchschnittlichen Filmen: Lustspielplots, Militärklamotten, Heimatschmonzetten, Schlagerfilmen“. Im Zweifelsfall hatte sich Juhnke vor der Kamera und auch auf der Theaterbühne eher für die leichte Publikums-Unterhaltung als für die ernsthafte Kultur entschieden.

Erst in den späten 1980er- und 1990er-Jahren vollzog Juhnke, der bereits während seiner Schauspielausbildung die Bekanntschaft mit dem blutjungen Klaus Kinski gemacht und später Victor de Kowa zum Vorbild auserkoren hatte, die Kehrtwende zum Charakterdarsteller. Zunächst auf der Bühne in den Molière-Stücken als „Tartuffe“ (1988) und „Der Geizige“(1990) im Berliner Renaissance Theater. Dann im Kino in der beeindruckenden Nebenrolle des schmierigen Redakteurs Kummer in Helmut Dietls brillanter Gesellschaftssatire „Schtonk!“ um die Hitler-Tagebücher (1992) sowie im Part eines rechtsradikalen Spitzenkandidaten in der TV-Polit-Satire von Ralf Huettner „Der Papagei“, ebenfalls 1992. Seine größte Rolle als Erwin Sommer spielte er dann fraglos im TV-Film „Der Trinker“ unter der Regie von Tom Toelle (1995). Ende Januar 1996 legte Juhnke am Berliner Maxim-Gorki-Theater in „Der Hauptmann von Köpenick“ unter der Regie von Katharina Thalbach nach und wusste auch in der TV-Umsetzung dieses Zuckmayer-Klassikers (1997) Publikum wie Kritiker gleichermaßen zu überzeugen.
Den Höhepunkt seiner Karriere und den endgültigen Aufstieg zum viel bewunderten Star der deutschen Fernsehunterhaltung erreichte Juhnke, der längst zum König des Berliner Boulevard-Theaters avanciert und dem mit der zwischen 1977 und 1980 ausgestrahlten Comedy-Sketch-Serie „Ein verrücktes Paar“ im Duett mit Grit Boettcher der TV-Durchbruch gelungen war, unumstritten als Moderator und Conferencier der ZDF-Show „Musik ist Trumpf“. Bis zu 30 Millionen TV-Zuschauer verfolgten zwischen 1979 und 1981 die vom Fernsehballett begleiteten Auftritte des in feinen Zwirn samt Zylinder und Lackschuh gekleideten, schlagfertigen, charmanten, volkstümlichen und schnoddrigen Sonnyboys mit dem unvergleichlichen Wippschritt und Hüftschwung vor der heimischen Glotze.

Nie zuvor war Juhnke in seinem Part als Entertainer seinem ewigen Idol Frank Sinatra so nahe gekommen, auch wenn seine Stimme bei Weitem nicht an die Klasse von „The Voice“ heranreichen konnte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, eine ganze Reihe von Schallplatten-Produktionen, deren Gesamtzahl sich auf 28 belief, fertigzustellen – darunter auch deutschsprachige Versionen von Sinatra-Evergreens. Die „Welt“ bezeichnete Juhnke als „Deutschlands-Jahrhundert-Talent“, der „Spiegel“ nannte ihn den „einzigen deutschen Entertainer, der alle Disziplinen beherrschte: Tanz, Gesang, Schauspiel und Comedy“. Seine Tätigkeit als gefragter Synchronsprecher zwischen 1952 und 1994 nicht zu vergessen.
Mit „Musik ist Trumpf“ war es aber bereits im Oktober 1981 schon wieder vorbei, weil die Liveshow aufgrund des angetrunkenen Zustands seines Moderators abgesagt werden musste – ein absolutes Novum im deutschen Fernsehen. Juhnke entwickelte sich danach immer stärker zum unberechenbaren Alkoholiker, von dem sich das ZDF 1984 endgültig trennte. Juhnke wechselte daraufhin zur ARD, um in der Serie „Drei Damen vom Grill“ 1986 oder der Sketch-Reihe „Harald und Eddi“ 1987 erneut zu begeistern.
Der Alkohol war ein Begleiter bis zum Exzess

Bereits 1959 hatte Juhnke wegen einer Trunkenheitsfahrt einige Monate im Knast verbringen müssen. Immerhin hatte er daraus die Lehre gezogen, sich nicht mehr selbst ans Steuer zu setzen, sondern sich nur noch von Taxifahrern kutschieren zu lassen. An deren Fersen heftete sich mit dem steigenden Bekanntheitsgrad des Stars eine ganze Heerschar von Klatschreportern, die ihre Leser über Liebschaften, beispielsweise die turbulente Beziehung mit der Schauspielerin Chariklia Baxevanos zwischen 1963 und 1971, und vor allem die zahllosen Alkohol-Abstürze auf dem Laufenden hielt. Den Sympathiewerten des Künstlers tat dies beim Publikum trotz der vielen Skandale und seinem Ruf als öffentlichster Trinker der Republik erstaunlicherweise keinen Abbruch. Vielmehr fiel Juhnke auch beruflich – laut „Bild“ wie „Phönix aus der Flasche“ – immer wieder auf die Füße.
Harry Heinz Herbert Juhnke, wie der Entertainer eigentlich hieß, wurde am 10. Juni 1929 als Sohn eines Polizeibeamten in der städtischen Frauenklinik Charlottenburg geboren und wuchs im Berliner Arbeiterbezirk Wedding auf. Ab 1948 besuchte er die Schauspielschule von Marlise Ludwig in Wilmersdorf, legte sich auf Anraten seiner Lehrerin den Vornamen Harald zu und ergatterte bereits im November des gleichen Jahres seine erste Bühnenrolle im Haus der Kultur der Sowjetunion als russischer Offizier im Revolutionsstück „Ljubow Jarowaya“. Sein erstes festes Engagement erhielt er 1950 am Theater Neustrelitz bei Schwerin. Und noch im gleichen Jahr verbuchte er seinen ersten kleinen Auftritt als Pfarrer Krempel im Liebesfilm „Drei Mädchen spinnen“. Anschließend wechselte Juhnke an die Berliner Freie Volksbühne, wo er im September 1950 in seiner ersten Hauptrolle in „Karthagische Komödie“ von Per Schwenzen zu sehen war. Nachdem er 1952 die Schauspielerin Sybil Werden, eine frühere Primaballerina der Berliner Staatsoper, geheiratet hatte, war er häufig auch in Boulevardstücken des Theaters am Kurfürstendamm vertreten. Neben der Bühne stürzte er sich ziemlich wahllos in seichte Kino-Lustspiel-Produktionen mit Titeln wie „Gitarren der Liebe“ (1954) oder „Wenn die Alpenrosen blüh’n“ (1955). Das schnelle Geld war ihm weitaus wichtiger als die Qualität der Rollen. „Wenn das Telefon klingelte und irgendeine halbseidene Figur bot mir eine Filmrolle an, interessierten mich in den 50er-Jahren nur drei Fragen: Wie hoch ist die Gage für den Quatsch? Wie hübsch sind meine Partnerinnen? Wo wird der Heuler heruntergespult, wie sonnig ist es dort?“, wird Juhnke in seiner 1998 erschienenen Biografie „Meine sieben Leben“ zitiert.

Die Rolle war oft egal, solange Gage stimmte
In den 1960er-Jahren ging es in diesem gewohnten Trott weiter. Als dann der Siegeszug des Neuen Deutschen Films einsetzte und Juhnke ebenso wie Opas Kino plötzlich nicht mehr angesagt waren, rettete sich der Künstler durch den Sprung zum Fernsehen in Serien wie „Preußenkorso Nr. 17“ (1974), „Sergeant Berry“ (1975) oder „Ein Mann will nach oben“ (1978). Ganz nach oben wurde er tatsächlich nach dem unerwarteten Tod von Peter Frankenfeld gespült, weil das ZDF dringend einen Nachfolger für dessen Erfolgsformat „Musik ist Trumpf“ suchte und Juhnke für geeignet befand, obwohl dieser bis dahin keinerlei Erfahrungen als Showmaster vorweisen konnte. Worauf Juhnke bei seiner Premiere nonchalant damit kokettierte: „Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, dass in dieser Sendung einmal ein Meister vor Ihnen stand. Ich bin nur ein Lehrling, der heute sein Gesellenstück abliefern soll.“