Kenias Maasai Mara, berühmt durch die alljährliche Migration von Millionen Gnus aus der Serengeti, gilt als einzigartige Wildnis. Tausende von Maasai stellen ihr Land dem Naturschutz zur Verfügung, damit ihre Heimat eine nachhaltige Zukunft hat.

Als die ersten Strahlen der Morgensonne die Savanne golden einfärben, bringt Amani, die Gepardin, ihren drei elf Monate alten Jungtieren das Jagen bei. Es ist ein Safari-Auftakt mit Action, Drama und einem Wechselbad der Gefühle. Denn als Amani lossprintet, erwischt sie zwar die Impala-Antilope, die sich zu weit entfernt hat von den anderen Tieren der Herde. Doch ein Dieb hat die Hetzjagd beobachtet und stiehlt die Beute: Gegen die Knochenbrecherzähne einer Hyäne kommt man als federleichte Gepardin nicht an, da kann man noch so fauchen. Minuten später folgt der dritte Akt: Eine grollende Löwin springt aus dem Busch, versetzt der Hyäne einen Schlag mit der Pranke und krallt sich den Kadaver.
Das alles spielt sich vor den Augen von nur einer Handvoll Homo sapiens touristicus ab. Denn die Olare Motorogi Conservancy ist ein privates Schutzgebiet, das direkt an das staatliche Maasai Mara National Reserve grenzt. Die Tiere können hin- und herwandern, doch menschliche Tagesbesucher haben keinen Zutritt. Die Camps von fünf Safariunternehmen liegen versteckt in den Galeriewäldern entlang der Flüsse oder thronen über einer Schlucht, das Revier einer fotogenen Leopardin. Es sind keine Hotels, sondern kleine Unterkünfte mit maximal zwölf Zelten. Pro Gästebett stehen mindestens 141 Fußballfelder Land zur Verfügung, diese Regel haben sich die Betreiber selbst gegeben. Selbst wenn etwas Besonderes passiert, muss man seine Sichtung also nur mit wenigen Fahrzeugen teilen.
Korridor für Elefanten

Hätte Amani dagegen im staatlichen Maasai Mara National Reserve ihr Glück versucht, würden jetzt nicht nur Dutzende von Weißrückengeier einfliegen. Es käme wohl auch ein Schwarm anderer „weißer Geier“ angedüst. So nennt Joseph Sengeny jene Minibusse, an deren Steuer keine ausgebildeten Safari-Guides sitzen wie er einer ist, sondern unqualifizierte Taxifahrer. „Also Leute aus Nairobi, die in der Hoffnung auf ein paar Extra-Dollar Trinkgeld gerne mal den Motor aufheulen lassen, damit ein ruhender Löwe seine Augen öffnet.“
Joseph Sengeny ist ein Mann vom Volk der Maasai. Er will nicht akzeptieren, dass die Parkverwaltung die Zerstörung seiner Heimat toleriert. Dass Autos abseits der Pisten fahren, obwohl das nicht erlaubt ist. Und dass die Fahrer ihre Gäste sogar aussteigen lassen, wenn die Gnus bei der „Great Migration“ den Mara River queren. Auch das ist illegal, doch was soll’s? Wenn Touristen in bis zu 300 Fahrzeugen darauf warten, gibt es sonst eben keine gute Foto-Position.
Joseph Sengeny arbeitet als Guide für die Naturschutzorganisation Great Plains Conservation. Die Idee der Gründer Beverly und Dereck Joubert, zwei National-Geographic-Filmemacher: Staatliche Schutzgebiete brauchen Pufferzonen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. In Kenia betreiben sie am Amboseli-Nationalpark die Lodge Ol Donyo: Es ist die einzige Unterkunft auf dem Gelände der Mbirikani Group Ranch, einem wichtigen Korridor für wandernde Elefanten. Auch das Mara Plains Camp in der Olare Motorogi Conservancy ist ein entscheidender Baustein zum Schutz des länderübergreifenden Ökosystems von Maasai Mara und Serengeti. Auf kenianischer Seite gibt es inzwischen mehr als ein Dutzend Conservancies, ähnlich groß wie das staatliche Schutzgebiet.

Joseph Sengeny ist übrigens nicht nur Guide, sondern auch Landeigentümer. Und damit in gewisser Weise einer der Chefs der Safari-Unternehmen, die ihn als Guide anstellen. Ihm gehören nämlich 60 Hektar Land, auf das er ein Haus bauen könnte. „Mache ich aber nicht“, sagt er schmunzelnd. „Wie viele andere Maasai habe ich freiwillig die Zäune abgebaut und mir eine neue Bleibe gesucht, außerhalb des Geländes der neu gegründeten Conservancy.“ Knapp 3.000 Dollar erhält Joseph Sengeny inzwischen als jährliche Pacht. Er hat vor Ort einen Job, der noch viel mehr einbringt und der es ihm ermöglicht, seine Kinder zur Schule zu schicken. Außerdem besitzt er 80 Rinder – für die Maasai ein Statussymbol. Einen Teil der Tiere darf er zum Weiden auf das Gelände der Conservancy schicken.
Pionier des Conservancy-Modells in der Maasai Mara ist Jake Grieves-Cook: Vor Jahrzehnten überzeugte der Chef der Porini Safari Camps die Chiefs der Maasai, etwas gegen die drohende Aufteilung der Savanne zu unternehmen. Hunderte von Eigentümern machten mit und formten die Ol Kinyei Conservancy. Das Modell machte Schule: Heute gibt es in der Maasai Mara mehr als ein Dutzend Conservancies, 100.000 Menschen profitieren von der Zusammenarbeit.
Fokus auf Nachhaltigkeit

Trotzdem ist nicht gesichert, ob die Maasai Mara mit dem Conservancy-Konzept erhalten werden kann. Es liegt viel Arbeit vor Männern wie Daniel ole Muli. Er ist Koordinator der Maasai Mara Wildlife Conservancies Association. „In ein paar Jahren laufen viele Pachtverträge aus. Sie werden bald neu verhandelt“, erzählt er. Es gilt als ausgemachte Sache, dass die Landeigentümer künftig mehr Geld von den Campbetreibern fordern. Doch was passiert, wenn die Besucher ausbleiben, wie vor ein paar Jahren, als das Corona-Virus wütete?
„Wir brauchen bei unseren Tourismuspartnern mehr Offenheit, was die Zahlen angeht. Und bei uns Maasai die Bereitschaft, das Risiko zu teilen“, meint Daniel ole Muli. Bei einer durchschnittlichen Auslastung von 30 Prozent seien die Camps in der Lage, die Pachtgebühren zu bezahlen. In Zukunft könnte in guten Jahren ein Bonus an die Landeigentümer ausbezahlt werden – oder, noch besser, ein Teil des Geldes würde als Rücklage gebunkert für schwierige Zeiten.
Maasai brauchen Wandel

Doch wird das ausreichen, um alle Maasai zu überzeugen? „Wenn ich auf meinem Stück Land jetzt Weizen anbauen würde, hätte ich sofort den doppelten Ertrag. Aber eben nur für kurze Zeit – dann wäre der Boden ausgelaugt“, sinniert Daniel ole Muli. Arbeitsplätze im Tourismus, Spendengelder für Kliniken und Schulen, dazu Weideland für zumindest einige der den Maasai so heiligen Kühe: All das gebe es nur, wenn das Land offen bleibe, wenn alle an einem Strang zögen. „Conservancies bringen dem Einzelnen Vorteile, aber auch der Gemeinschaft.“ Die Natur der Mara kann nur erhalten werden, wenn parallel in die nachhaltige Entwicklung der Region investiert wird: Das ist das Credo der Wissenschaftlerin Crystal Mogensen. Sie hat in ihren Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten den Ökotourismus in der Region erforscht. Heute ist sie Chefin des Maa Trust und wirbt Spendengelder ein, um die Region voranzubringen. Weil in den Safari-Camps und den Conservancies fast nur Männer einen Job finden, ob als Guide, Koch oder Wildhüter, liegt ein Fokus auf der Förderung von Frauen. Mit Erfolg: Über 100 Maasai wurden zu Imkerinnen ausgebildet. Weitere 600 besticken Gürtel, Taschen und Schlüsselanhänger. Die Glasperlenarbeiten sind beliebte Souvenirs, doch auch internationale Designer lassen hier fertigen.

Wer in einem der Camps der Olare Motorogi Conservancy übernachtet, finanziert die laufenden Kosten des Maa Trust durch eine obligatorische Abgabe von fünf Dollar pro Person und Nacht. Mit zusätzlichen Spenden baut die NGO Schulen und Zisternen zum Auffangen von Regenwasser, organisiert Stipendien für Kinder, bildet Jugendliche zu Handwerkern aus und bietet Mikro-Kredite für Solarzellen. In der Gesundheitsstation von Aitong gibt es zudem Hilfe bei der Familienplanung. Das klingt vielleicht nicht sexy, ist aber das wichtigste Projekt. Crystal Mogensen scheut sich nicht, ein Tabu-Thema anzusprechen, das gerade die örtlichen Politiker beim Kampf um Wählerstimmen gerne ignorieren. Der sprichwörtliche Elefant im Raum ist das Thema Bevölkerungswachstum. Weil es vom Staat keine verlässlichen Daten gibt, hat der Maa Trust sie in Studien selbst erhoben: In den Dörfern der Mara wächst die Bevölkerung um sagenhafte 10,5 Prozent pro Jahr. „Nur drei Prozent der Leute sind über 65 Jahre alt. Aber 66 Prozent sind unter 16“, sagt Crystal Mogensen: „Es ist eine echte Krise.“ Diese bringt jetzt immerhin einen Bewusstseinswandel: Mehr und mehr Maasai erkennen, dass sie nur mit ihren Rindern nicht überleben können. Ihr Land zu verkaufen, an zugewanderte Bauern, bringt nur kurzfristig Geld, aber keine Perspektiven. So ist das Conservancy-Modell das beste aller Kompromisse. Der Pionier von einst, Jake Grieves-Cook, gibt sich trotz der Herausforderungen deswegen optimistisch. „Es gibt keine funktionierende Alternative: Wir müssen jetzt alles daran setzen, den Maasai-Gemeinden ein gutes Angebot zu machen. Wenn alle mithelfen, können wir die Mara für die nächsten Jahrzehnte sichern.“