Mit einem Prestige-Erfolg beim SC Magdeburg setzen sich die Füchse Berlin an die Tabellenspitze der Handball-Bundesliga. Nicht nur für den SCM-Trainer ist der Hauptstadt-Club nun der Favorit auf den Titel.

Die Füchse Berlin dürften sich darüber freuen. Die Handball-Bundesliga (HBL) hat nach einer Präsidiumssitzung beschlossen, zur neuen Saison die Torlinientechnik einzuführen. Die Technologie ist zurzeit nicht Teil des bereits bestehenden Videobeweises, weil weder im Tor noch auf Höhe der Torlinie bislang Kameras angebracht sind. Das soll sich zur Spielzeit 2025/26 ändern – auch, um Fehlentscheidungen oder Diskussionen wie beim Spiel der Füchse gegen Magdeburg im vergangenen Dezember zu vermeiden. Damals hatte ein Tor von Berlins Rückraumstar Lasse Andersson nicht gezählt, das Spiel war 31:31 ausgegangen. Der Hauptstadtclub hatte daraufhin Einspruch gegen die Wertung eingelegt, diesen aber wegen geringer Aussichten auf Erfolg wieder zurückgezogen. Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning war dennoch ungehalten und hatte gewettert: „Ein völlig reguläres Tor, von den Schiedsrichtern irregulär nicht gegeben.“
Einspruch gegen die Wertung eingelegt
Im Rückspiel gab es keinen Regel-Ärger – dafür aber grenzenlosen Jubel bei den Berlinern. Das 33:30 beim Titelverteidiger in der Vorwoche war ein Statement-Sieg, der sogar mit dem Sprung an die Tabellenspitze belohnt wurde. Während der bisherige Spitzenreiter MT Melsungen in Hamburg patzte, zeigten sich die Füchse im hitzigen Ost-Derby in absoluter Titelform. „Wir sind mega happy, diese mega Hürde genommen zu haben in Magdeburg“, sagte Trainer Jaron Siewert: „Am Ende waren es Kleinigkeiten in den letzten zehn Minuten, die das Spiel entschieden haben – diesmal zum Glück zugunsten unserer Seite.“ Von einer möglichen Vorentscheidung im sehr engen Titelkampf der Bundesliga wollte er aber nichts wissen: „Ja, wir sind jetzt Tabellenführer, aber das sagt gar nichts aus. Es sind noch so viele Spiele.“ An diesem Sonntag geht es zu Hause gegen den HSV Hamburg, am 5. April wartet das Auswärtsspiel in Erlangen. Dann folgen die beiden Spitzenspiele bei THW Kiel und gegen Hannover-Burgdorf. Danach dürfte es im Meisterrennen ein klareres Bild geben. „Wir haben noch schwere, schwere Brocken zu spielen“, sagte Siewert.
Für Magdeburgs Coach Bennet Wiegert sind die Berliner nun aber der Titelfavorit, weil sie als Erster nicht mehr auf Ausrutscher der Konkurrenten angewiesen sind. „Dass das ein Vorteil für Berlin ist, ist keine Frage. Der Vorteil – und das ist für mich immer, wenn man alles in den eigenen Händen hat – liegt eindeutig bei Berlin“, sagte Wiegert: „Das hätten wir uns natürlich gewünscht.“ Der SCM-Trainer machte beim Hauptstadt-Club eine extreme Gier nach dem Sieg und dem Titel als Hauptgrund für den Triumph aus. „Der Glaube kann Berge versetzen. Und dass Berlin jetzt mehr dran glaubt als wir, ist dann einfach so“, sagte der 43-Jährige: „Die Tabelle sieht für sie fantastisch aus, während der Blick auf die Tabelle für uns mit den Nachholterminen gefühlt die ganze Zeit frustrierend ist.“
Bei einem Sieg hätten die Magdeburger – gemessen an den Minuspunkten – die Berliner überflügelt. Dass es nicht dazu kam, lag vor allem an Torhüter Dejan Milosavljev. Der Serbe zeigte insgesamt 16 Paraden, von denen vor allem der gehaltene Siebenmeter von Magdeburgs Kapitän Matthias Musche in der Schlussminute enorm wichtig war. Auch gegen die von Verletzungen zurückgekommenen SCM-Stars Gisli Kristjansson und Omar Ingi Magnusson zeigte der 29-Jährige seine ganze Klasse. Die „Bild“-Zeitung taufte Milosavljev danach „Titan Dejan“. Der erste Berliner Sieg in Magdeburg seit fünf Jahren sei aber eine Gesamtleistung des Teams gewesen, betonte der Matchwinner hinterher: „Wir sind älter als in den letzten Jahren. Und wir haben mehr Erfahrung.“ Zu seiner eigenen Weltklasse-Leistung äußerte sich der Keeper nur zurückhaltend: „Natürlich braucht man auch ein bisschen Glück.“
Neben Milosavljev konnte im Prestige-Duell mit Magdeburg auch Jung-Nationalspieler Tim Freihöfer überzeugen, der Linksaußen traf gleich achtmal ins gegnerische Tor. Doch noch entscheidender war, dass die Berliner in der aufgeladenen Stimmung die Nerven bewahrt hatten. „Die Atmosphäre war gewohnt hitzig, die Mannschaften haben ihr Nötiges dazu beigetragen“, sagte Trainer Siewert: „Das Spiel hat gehalten, was es versprochen hat. Es war ein Topspiel mit Mannschaften, die sich in Angriff und Abwehr nichts geschenkt haben.“ Er sei „sehr stolz“, dass sich sein Team für die „starke Leistung belohnt“ habe. Auch Geschäftsführer Bob Hanning freute sich über den abgeklärten und vor allem aus mentaler Sicht beeindruckenden Sieg. „Ein total faires Spiel trotz Reibereien, es ist aber nicht over the line“, meinte Hanning.
Für Stefan Kretzschmar war das Spiel in Magdeburg besonders emotional. Der Sportvorstand der Füchse war als Spieler einst höchst erfolgreich für den SCM unterwegs, als späterer Manager etwas weniger. Nervös hat ihn vor dem Spiel aber nicht nur die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte gemacht, sondern der packende Titelkampf in der Bundesliga. „Ich schlafe zurzeit etwas unruhiger, weil der Kampf vorn um die Meisterschaft so spannend ist“, gab der frühere Weltklasse-Linksaußen zu: „Die Liga ist so unglaublich spannend und unberechenbar.“ Deswegen habe er nicht nur vor Topspielen wie gegen Magdeburg schlaflose Nächte, „sondern auch vor Spielen wie gegen Wetzlar“. Denn: „In der Liga weiß man nie, was kommt.“ Deswegen rate er auch allen davon ab, bei Sportwettenanbietern Geld im Titelkampf zu setzen. „Das ist ja irrsinnig“, sagte er: „Alles ist noch offen irgendwie und nichts ist entschieden.“
„Die Mannschaft ist fokussiert, bereit“

Dass seine Füchse weiter ganz oben mitmischen und gute Chancen auf den ersten Meistertitel der Clubgeschichte haben, macht Kretzschmar stolz. Es sei bislang „eine tolle Saison, weil wir ganz oben mit dran sind und uns weiterentwickelt haben“, lobte der Sportvorstand. „Die Mannschaft ist fokussiert, bereit.“ So wie gegen Magdeburg. Der große Rivale im Osten leckte nach der verdienten Heimniederlage seine Wunden. „Ich werde das Wochenende schon mit mir zu kämpfen haben, um dann auch wieder die nötige Energie zu geben, die es jetzt einfach für die kommenden Aufgaben braucht“, sagte Trainer Wiegert. Aufgeben will er im spannenden Titelkampf der Bundesliga aber keineswegs: „Hier steigt keiner aus.“
In Sachen Torlinientechnik, die beim Final Four des DHB-Pokals und auch bei internationalen Turnieren bereits eingesetzt wird, haben die Berliner und die Magdeburger ebenfalls das gleiche Ziel. „Alles, was zu mehr Gerechtigkeit und Klarheit führt, kann uns nur helfen“, sagte SCM-Trainer Wiegert. Er gab aber auch die Kostenfrage zu bedenken. Medienberichten zufolge soll die ligaweite Einführung eine halbe Million Euro verschlingen. Dafür können die Schiedsrichter aber auf ein weiteres technisches Hilfsmittel zurückgreifen – beim Duell Magdeburg gegen Berlin im Dezember hätten die Unparteiischen dies sicher gern getan. „Wenn sich der Schiedsrichter in dem Moment nicht zu 100 Prozent sicher ist, kann er nicht auf Gefühl pfeifen. Insofern tun mir die beiden jetzt schon fast etwas leid“, hatte Wiegert damals sogar Mitleid gezeigt. Die Berliner Revanche in Magdeburg tat dafür nur den Magdeburgern weh.