Eigentlich wollte Alba Berlin keinen Trainerwechsel in der Saison vornehmen. Doch dann kamen die Verantwortlichen zu der Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss. Der neue Cheftrainer startete stark, kassierte aber auch Rückschläge.

Alba Berlin sieht sich gern als etwas anderer Club im Profi-Basketball. Das fängt bei der Spielphilosophie an, geht bei der Talentförderung weiter und hört auch bei der Trainerfrage nicht auf. Eigentlich. „Das ist meine oberste Priorität. Wir glauben an ihn und seine Arbeit“ – mit diesen Worten hatte Sportdirektor Himar Ojeda vor wenigen Wochen versucht, dem angezählten Trainer Israel González demonstrativ den Rücken zu stärken. Dass die Alba-Bosse die Position des Spaniers selbst geschwächt hatten, weil sie inmitten der Krise den ambitionierten Pedro Calles als Co-Trainer verpflichteten, stand auf einem anderen Blatt. Genau wie der Fakt, dass eine Verlängerung des am Saisonende auslaufenden Vertrags mit González nicht mehr im Raum stand. Dennoch wollte Ojeda zumindest den Eindruck erwecken, dass Alba Berlin nicht den branchenüblichen Mechanismen verfällt und den Trainer abserviert. „Ja, wir machen es etwas anders als andere Clubs. Und es ist sicher nicht der einfachere Weg“, hatte er gesagt. Wenig später verließ der Bundesligist den eingeschlagenen Weg aber und begab sich auf einen anderen, bereits vorgezeichneten Weg mit Calles.
„Diese Entscheidung ist uns schwergefallen“, sagte der Sportdirektor zur Freistellung von Israel González, der mit Alba zuerst als Co-Trainer der Ikone Aíto García Reneses und dann als Chefcoach zahlreiche Titel mit dem Hauptstadt-Club feierte. „Er ist auch schon seit vielen Jahren in unserem Club, hat die Alba-DNA verinnerlicht und hatte entscheidenden Anteil an den großen Erfolgen der letzten Jahre“, bekräftigte Ojeda. Doch der sportliche Misserfolg in dieser Spielzeit habe zu dem Entschluss geführt, „dass wir in dieser Konstellation nicht das Beste aus unseren Möglichkeiten machen und wir neue Impulse setzen müssen, um unsere ambitionierten Ziele erreichen zu können“. Und dieser neue Impuls hat einen Namen: Pedro Calles.
Vom Assistenten zum Cheftrainer
Der 41-Jährige stieg nach nur wenigen Wochen vom Assistenten zum Cheftrainer auf, was Experten zumindest für den Sommer erwartet hatten. Ojeda nannte den neuen Chef an der Seitenlinie „einen ausgewiesenen Experten, der sich in den letzten Monaten schon bei uns einleben konnte“. Der Spanier solle dafür sorgen, dass sich Alba „eine bestmögliche Platzierung zum Ende der BBL-Hauptrunde“ erkämpfen kann. Und der Start war schon mal vielversprechend. Bei Calles’ Premiere im Euroleague-Heimspiel gegen Baskonia Vitoria-Gasteiz überraschte Berlin mit einem 97:90-Erfolg, es war erst der fünfte Sieg im 29. Saisonspiel des wichtigsten europäischen Club-Wettbewerbs. „Ich bin sehr froh für die Jungs“, sagte Calles: „Nach so vielen Niederlagen haben wir wieder eine positive Energie. Das ist gut für uns.“ Vor allem für das Selbstvertrauen, denn nur wenige Tage später gelang auch in der Bundesliga ein Befreiungsschlag: Bei den Löwen Braunschweig, bis dahin immerhin Tabellendritter, feierte Alba einen fulminanten 108:73-Auswärtssieg.
Doch so glatt ging es nicht weiter. Auf die erwartbare Euroleague-Niederlage beim griechischen Topclub Panathinaikos (81:91) kassierte Alba auch in der Liga den ersten Rückschlag unter Calles. Das 80:84 gegen die Würzburg Baskets war ein denkbar ungünstiger Start in den Hauptrunden-Endspurt um die Play-off-Plätze. „Anstatt alles klarzumachen, haben wir ihnen Hoffnung gegeben“, sagte Kapitän Martin Hermannsson. Albas Hoffnung heißt trotz des Rückschlags Pedro Calles. Für Ojeda hat sich der Trainerwechsel zumindest kurzfristig gelohnt. „Die Mannschaft hat diesen Impuls angenommen und einen neuen Start gemacht“, sagte der Spanier: „Wir haben eine frische Mentalität. Und das macht sich dann in vielen Dingen bemerkbar.“
Von ungefähr kommt dies nicht, Calles lässt keine Schludrigkeiten zu. Weder körperliche noch mentale. „Er verlangt als Coach immer viel Intensität. Und das muss jetzt jeder Spieler zeigen“, verriet Ojeda. Hinzu kommt, dass so ein Trainerwechsel immer auch die Spieler in die Pflicht nimmt, zudem will und muss jeder Profi wieder um seinen Platz kämpfen. „Jeder muss sich neu empfehlen und die Rollen werden austariert“, sagte Nationalspieler Malte Delow: „Und wenn man noch so einen Mann an der Seitenlinie hat, dann motiviert das natürlich.“ Delow sprach damit das aktive Coaching von Calles an, das sich von González’ Art doch deutlich unterscheidet. Sein Vorgänger verfolgte das Geschehen meist ruhig, wurde auch in engen Spielsituationen nie hektisch. Calles tigert viel öfter an der Seitenlinie, gestikuliert mit den Armen und schreit Anweisungen herein.
Es ist vielleicht auch dieser emotionale Impuls von außen, den die Berliner nach einer bislang missratenen Saison gebraucht haben. Calles lebt die Energie, die es im Spitzenbasketball für Siege braucht, vor. Er sei sehr stolz, einen „großen Club mit einer großen Tradition“ trainieren zu dürfen, sagte der frühere Coach der EWE Baskets Oldenburg. Auch die extreme Doppelbelastung, die intern neben dem Verletzungspech als ein Hauptgrund für den Absturz ausgemacht wird, geht Calles mit einer positiven Grundeinstellung an: „Diesen Club in der Euroleague und der BBL als Headcoach zu leiten ist eine neue Herausforderung, auf die ich mich sehr freue.“ Er wisse auch genau, wo er bei Alba ansetzen will: „Wir müssen als Team jetzt schnell besser werden, Selbstvertrauen und Stabilität erlangen, erfolgreicheren Basketball spielen und möglichst viele Siege einfahren.“ Die Mannschaft müsse „konzentriert und fokussiert an einem Strang ziehen“, dann werde sich die durchaus vorhandene Qualität im Kader auch durchsetzen.
„Ich war auch nicht nervös vor dem Spiel“

Eines seiner ersten Amtshandlungen war es, die Spieler in Einzelgesprächen und auch öffentlich mental zu stärken. „Wir haben eine großartige Mannschaft, auch in der Kabine“, sagte er zum Beispiel. Vor seiner Premiere gegen Baskonia konnte er mit dem Team nur einmal trainieren, umso mehr lag der Fokus auf dem Psychologischen. „Ich habe ihnen nur versucht, Mut und Zuversicht zu geben“, sagte Calles. Und all das habe er ihnen auch vorleben wollen: „Ich war auch nicht nervös vor dem Spiel.“ Dieses Selbstverständnis übertrug sich auf seine Spieler, die anders als in vielen Partien zuvor auch im Schlussviertel die Nerven behielten. „Wir haben es diesmal am Ende nicht verkackt“, sagte Kapitän Martin Hermannsson. Calles’ selbstbewusstes Auftreten hat teamintern Eindruck hinterlassen. „Man muss die Rolle annehmen, die man hat“, sagte der Coach dazu: „Jetzt bin ich plötzlich in einer Führungsrolle. Und die muss ich mit Führungsverhalten ausfüllen. Mehr nicht.“
Die Nachricht, dass er seinen Landsmann González nach nur wenigen Wochen der Zusammenarbeit als Cheftrainer ablöst, habe er mit „gemischten Gefühlen“ aufgenommen, berichtete Calles: „Das war natürlich nicht der Weg, den ich wollte.“ Aber es war der Weg, den der Club geschaffen hatte für den Fall, dass es mit González nicht weitergehen kann. Das richtige Timing gebe es bei einer solchen Entscheidung zwar nie, meinte Sportdirektor Ojeda, „aber jetzt war dieses Gefühl, es tun zu müssen, da“. Der Zeitpunkt des Trainerwechsels überraschte aber auch die Spieler. „Das war total aus dem Nichts für uns alle“, sagte Delow: „Das ist schon hart, ich habe gebraucht, das zu verarbeiten.“ Kapitän Hermannsson verriet, dass der Abschied von González „sehr emotional“ gewesen sei.