Wegen akuten Verletzungssorgen korrigieren die Turner der TG Saar ihr Saisonziel nach unten. Erstmals seit vielen Jahren geht es nicht um einen Platz in den Top Vier der Bundesliga, sondern um den Ligaverbleib.

Vor fünf Jahren wurden die Kunstturner von Bundesligist TG Saar Deutscher Mannschaftsmeister. Zwischen 2015 und 2019 wurden sie viermal Vizemeister und in den vergangenen vier Jahren dreimal Dritter. Seit 2013 verpassten sie nur einmal den Einzug in das große (Titelkampf) oder das kleine Finale (um Platz drei). Doch in der kommenden Saison müssen die erfolgsverwöhnten Turner kleinere Brötchen backen: „An unserem Kader hat sich nichts geändert, allerdings werden uns einige Athleten in der ersten Saisonhälfte nicht zur Verfügung stehen, sodass unser Saisonziel der Klassenverbleib ist“, verkündet Thorsten Michels. Der TG-Vorsitzende und Trainer Eugen Spiridonov müssen auf die Toptalente und Nationalturner Daniel Mousichidis (vor Ellenbogen-Operation), Maxim Kovalenko (erneute Fußverletzung) und Moritz Steinmetz (nach Schulter-Operation) verzichten. Gabriel Eichhorn (Handgelenks-Verletzung) ist zudem angeschlagen.
Drei Top-Athleten fallen erstmal aus
Vor allem der Fall – oder besser: die Fälle – Maxim Kovalenkos haben es in sich. Vor allem Schrauben: Im Januar 2024 hatte sich der 20-Jährige – allerdings zunächst unbemerkt – einen Knochen im rechten Fuß gebrochen, der in der Folge von selbst wieder zusammengewachsen ist. Am 10. September des gleichen Jahres knickte er bei einem lockeren Waldlauf mit dem linken Fuß um und brach sich den Mittelfußknochen. Der musste operativ mit einer Schraube fixiert werden. Im Januar 2025 wurde diese Schraube wieder entfernt und die Gelegenheit genutzt, am rechten Fuß Knochenstücke zu entfernen, die ihm nach der unwissentlich „konservativen Behandlung“ Probleme bereitet hatten. Dabei stellte sich zudem heraus, dass auch der Nerv etwas abbekommen hatte und „sich um die Kapsel herum ziemlich viel Flüssigkeit befand. Aber zum Glück war alles gut verlaufen, und danach war alles top“, berichtet Kovalenko. Aber leider nicht lange: Am 9. März knickte der Pechvogel schon wieder bei einer Laufeinheit um, und der linke Mittelfuß brach erneut. Wieder wurde er operiert, und die Schraube ist zurück.
Ob es wirklich großes Pech oder eher zu große Sorglosigkeit ist, die Maxim Kovalenkos Füßen immer wieder zum Verhängnis werden, lässt sich nicht abschließend festhalten. Wohl aber, dass es die Saisonplanung der TG in nicht unerheblichem Maße beeinflusst: „Die Saison ist ja ohnehin schon etwas zerrüttet“, weiß Michels und verweist auf den proppenvollen Terminkalender insbesondere der Nationalkader-Athleten. Dem geschuldet erstrecken sich die sieben Bundesliga-Wettkampftage von April über Juni bis in den Herbst. Am 12. April geht es für die Saarländer um 18 Uhr in der Dillinger Kreissporthalle mit einem Heimkampf gegen Vizemeister TV Wetzgau los. Der folgende Wettkampf beim TuS Vinnhorst soll am 3. Mai stattfinden, der nächste am 7. Juni in Dillingen gegen Aufsteiger MTV Ludwigsburg. Dann ist Sommerpause. Weiter geht es am 6. September beim Siegerländer KV, ehe im November die drei restlichen Wettkampftage stattfinden.
„Wen wir wann einsetzen können, hängt natürlich stark vom Genesungsprozess und dem Wiedereinstieg in das Training ab“, sagt Thorsten Michels. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass immer im Jahr nach Olympischen Spielen, die ja 2024 in Paris ausgetragen wurden, neue Wertungsvorschriften gelten. Alle vier Jahre, immer zu Beginn einer neuen Olympiade, wird nämlich der neue „Code de Pointage“ festgelegt. Das hat zur Folge, dass manche Element-Gruppen dabei aufgewertet, andere abgewertet werden. Beispielsweise wurde der Fokus im laufenden Jahr auf den Abgang gelegt. Das wiederum führt zu neuen Übungen und neuen Schwerpunkten innerhalb der Übungen, die erst einmal mühselig einstudiert werden müssen, um dabei annähernd die Routine der Vorjahre zu erreichen. Verletzungen und damit verbundene Trainingseinschränkungen erschweren diesen Prozess zusätzlich.
Wer die Ausfälle ersetzen kann? „Das ist ja unser Problem. Eigentlich niemand“, gibt Thorsten Michels zu und lächelt gequält. Neben der Expertise an den jeweiligen Spezialgeräten „könnten uns bis zu drei potenzielle Mehrkämpfer auf einmal wegfallen. Die anderen müssen solange in die Bresche springen.“ Leichter gesagt als getan, schließlich war Daniel Mousichidis 2024 einer der besten Punktesammler ligaweit. Die anderen, das sind vor allem Felix Remuta und Kapitän Luca Ehrmanntraut, die beide öfter ranmüssten als noch in der vergangenen Saison. Bleibt zu hoffen, dass die Leistungsträger der Vorjahre, zu denen auch der nach einer schweren Knieverletzung wiedergenesene Routinier Waldemar Eichorn und Florian Lindner gehören, unverletzt und verfügbar bleiben. Denn bei Remuta wie auch bei seinem Polizei-Kollegen Alexander Maier könnte es wieder zu beruflich bedingten Ausfällen kommen. Umso wichtiger, dass der unumstrittene Star des Teams, der ukrainische Mehrkämpfer Oleg Verniaiev, so zuverlässig abliefert wie 2024. Der Weltmeister von 2014 und Olympiasieger von 2016 (je am Barren) und begnadete Mehrkämpfer schloss die vergangene Saison mit 84 Punkten als Topscorer der Bundesliga ab. Darüber hinaus ist die TG mit dem armenischen Ringe-Spezialist Artur Avetisyan und dem italienischen Reck- und Barren-Experten Matteo Levantesi auf der Ausländer-Position gut aufgestellt. Hinzu kommt der Brite Joe Fraser.
Auf der Ausländer-Position top aufgestellt

„Natürlich spielt auch die Überlegung eine Rolle, jemanden aus der Zweiten Mannschaft, die ja in der 2. Bundesliga turnt, hochzuholen“, überlegt TG-Chef Thorsten Michels, und wägt ab: „Allerdings rechnen wir damit, dass im Herbst wieder alle fit sind. Und da man das Team nach einem Einsatz während der Saison nicht wieder wechseln darf, will das wohlüberlegt sein.“ Das gilt auch für das Taktieren im Allgemeinen. Während der Auftaktgegner aus Wetzgau aktuell nicht die Kragenweite der Saarländer hat, sind die Wettkämpfe gegen die direkten Konkurrenten im Kampf um den Ligaverbleib umso wichtiger. Aller Voraussicht nach handelt es sich dabei um den Aufsteiger aus Ludwigsburg und den Siegerländer KV. „Einen dieser beiden Wettkämpfe sollten wir auf jeden Fall gewinnen“, fordert Michels.
Klarer Favorit auf den Titelgewinn ist Titelverteidiger KTV Straubenhardt. Thorsten Michels sieht den SC Cottbus als ärgsten Konkurrenten im Kampf um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. „Ich denke, die beiden treffen sich im großen Finale wieder“, sagt er und nennt den TV Wetzgau, Eintracht Frankfurt und den TuS Vinnhorst als Anwärter für die Ligaplätze drei und vier, die zur Teilnahme am kleinen Finale berechtigen. Die Platzierungswettkämpfe finden im Rahmen des DTL-Finales am 29. November im Heidelberger „SNP dome“ statt. „Dass wir am Ende vielleicht doch im kleinen Finale dabei sind, ist nicht unmöglich“, gibt Thorsten Michels dann doch noch zu und schiebt nach einer kurzen Denkpause nach: „Dafür muss aber alles zusammenpassen.“