Die EU beschließt ein massives Verteidigungskonzept („ReArm Europe/Readiness 2030“). Deutschland macht den Weg frei für Milliarden-Investitionen. Die Umsetzung wird noch ein steiniger Weg.
Dann halt ohne Orbán, haben sich 26 EU-Regierungschefinnen und -chefs gesagt.
Einmal mehr wollte der Ungar einen Beschluss zu Ukraine-Hilfen mit seinem Veto blockieren. Damit er hat sich aber nur weiter isoliert. Früher wurden noch trickreiche Auswege gesucht, um solchen Beschlüssen mit einem einstimmigen Votum Gewicht zu verleihen. Einmal musste sich Orbán offenbar dringend einen Kaffee besorgen, während die anderen 26 gerade über eine entsprechende Entschließung abstimmten. Ergebnis folglich ohne Gegenstimme. Zu der kurzen Kaffeepause soll angeblich Olaf Scholz geraten haben.
Wieder im Gespräch: Militärische Union
Für solche Spiele gibt es aber keine Zeit mehr. Spätestens nicht mehr, seitdem sich die Präsidenten Putin (Russland) und Trump (USA) dazu entschlossen haben, die Zukunft der Ukraine – und damit als Folge auch die der europäischen Architektur – unter sich auszumachen.
Seit geraumer Zeit sind die Europäer unterwegs, ihre eigenen Strategien zu entwickeln. Und weil die kaum allzu weit tragen würden, wenn sie nicht mit einem deutlichen Gewicht unterfüttert wären, arbeiten die Europäer an gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsstrategien, mit denen sie sich unabhängiger von den Launen eines US-Präsidenten in Reaktion auf die Bedrohungen aus Russland aufstellen. Dabei verändert sich Europa zusehends.
Die Engländer sind fünf Jahre nach dem Brexit wieder mit einer starken Stimme dabei, Polen zeigt sich in vielen Themen als treibende Kraft und nutzt dazu die Möglichkeiten, die die aktuelle Ratspräsidentschaft bietet. Und selbst in Kanada regen sich Stimmen, die ein näheres Heranrücken an Europa befürworten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dürfte derzeit mit gemischten Gefühlen auf die Entwicklung blicken. Sieben Jahre war sein ständiges Drängen ohne den großen Widerhall geblieben, nun läuft vieles in die Richtung, die er immer schon (weitgehend ungehört) angemahnt hat. Das könnte seinen restlichen beiden Präsidentschaftsjahren doch noch europäischen Glanz verliehen – aber Europa könnte auch längst schon viel weiter sein.
Das sehen auch im Wesentlichen die Polen so, die während ihrer Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2025 das Thema Sicherheit zur obersten Priorität erklärt haben. Außenminister Radosław Sikorski hatte bekundet, Polen werde sich „mit Nachdruck“ für „eine militärische Union“ einsetzen, „die diesen Namen auch verdient“. Jedenfalls bilden sich jetzt Allianzen von Europäern, die es ernst meinen mit der Absicht, sich militärisch mehr auf die eigenen Füße zu stellen.

Trump, so ordnen es viele Beobachter ein, hat eigentlich kein Interesse an Europa, eigentlich auch nicht an der Ukraine, Putin dagegen umso mehr.
Gemeinsam ist ihnen das offensichtliche Ziel, das bisherige Europa der 27 zu spalten und zu schwächen. Die Beschlüsse der „willigen“ Europäer hinsichtlich der Ukraine-Hilfe und der eigenen Verteidigungsfähigkeiten werden jedenfalls im Kreml ernst genommen. Dort hat man noch gejubelt, dass Trump und seine Leute seit der Amtsübernahme in vielen Bereichen praktisch wortgleich russische Narrative übernommen haben.
Nun wird Kreml-Sprecher Dimitri Peskow mit den Worten zitiert: „Wir sehen, dass die Europäische Union jetzt aktiv über die Militarisierung der EU und die Entwicklung des Verteidigungssektors diskutiert. (...) Dies könnte natürlich potenziell ein Thema sein, das uns große Sorgen bereitet.“ Peskow kritisiert außerdem eine „konfrontative Rhetorik“ und ein „konfrontatives Denken“, das „im völligen Widerspruch zu der Stimmung, die auf eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts ausgerichtet ist“, stehe.Das ist schon etwas mehr als die übliche Kreml-Rhetorik. In den USA ist es dagegen vergleichsweise still.
Eigentlich müsste sich das Trump-Team freuen, dass die Europäer (zumindest die meisten) jetzt richtig massive Anstrengungen besprechen. Das hatte Trump vollmundig immer wieder gefordert. Nur wollen die Europäer das jetzt auch in gewisser Distanz machen. Die Bestellungen von Kampfjets aus den USA werden überprüft (um sich nicht systemisch in neue Abhängigkeiten zu begeben), überhaupt soll sich die europäische Rüstungsindustrie neu aufstellen. Das wiederum dürfte den USA dann doch nicht so gefallen, wenn Bestellungen ausbleiben sollten.
Das alles ist natürlich keine Entwicklung von Monaten, sondern von Jahren – und Jahrzehnten. Und die Voraussetzungen in den europäischen Staaten sind auch höchst unterschiedlich.
Deutschland hat jetzt mit den großen Finanzpaketen ein enorm starkes Signal gesetzt – und das auch noch in einer Phase nach Neuwahlen mit lediglich einer noch vorübergehend geschäftsführenden Regierung und laufenden Verhandlungen über eine neue Konstellation.
Ernsthafte Entschlossenheit
Eigentlich hatten die meisten Beobachter erwartet, derzeit Europa in einer ziemlichen Schwächephase zu erleben. Deutschland nach der Wahl, Frankreich mit einem angeschlagenen Präsidenten, Orbán mit einer ständigen Veto-Blockade, um nur die markanten Eckpfeiler zu nennen. Dazu kommt Italien, wo die Regierung Meloni zunächst ziemlich mit Trump und Musk anbandelte, Österreich in einer monatelang ungeklärten Situation, die Niederlande mit einer noch einigermaßen unberechenbaren Regierung, hinter der der Rechtspopulist Geert Wilders die Strippen zieht. Spanien, wo Ministerpräsident Pedro Sánchez in einer Minderheitsregierung Mühe hat.
Die Entschlossenheiten der Europäer, die sich jetzt auch nicht mehr allzu lange mit Verhandlungen mit Quertreibern wie Orbán aufhalten, kommt da schon für viele überraschend. Ebenso, dass eine Diskussion über französische Atomwaffen geführt wird.
Das alles ändert kurzfristig nicht allzu viel an harten Realitäten. Die vielen Hundert Milliarden für Verteidigungsausgaben müssen erstmal umgesetzt und, womöglich noch komplexer, ein wirkliches europäisches Verteidigungsbündnis etabliert werden (parallel zur Nato).
Aber was sich bereits gravierend verändert hat, ist das, was Verteidigungsminister Pistorius mit seinem berühmten Wort von der „Kriegstüchtigkeit“ gefordert hat, was auch auf eine mentale Einstellung abzielte.
Die Debatte im Bundestag über dafür notwendige Milliardenbeträge war dafür ein ziemlich guter Gradmesser. Nachdenklichkeit und Ernsthaftigkeit sind in weiten Teilen der Bevölkerung gewachsen. Von „Kriegstreiberei, so der Vorwurf aus der Opposition, ist dabei nach allen Umfragen aber nichts zu sehen. Im Gegenteil ist die Sorge vor einem Krieg weit verbreitet.