500 Milliarden Euro sollen in den kommenden zehn Jahren in die deutsche Infrastruktur fließen. Schulen, Kitas, Bahn oder Straßen sollen so wieder in einen verträglich nutzbaren Zustand versetzt werden. Doch das Geld wird es schwer haben anzukommen, wie aktuell die A 100 in Berlin zeigt.
Im Bundestag ist Dienstagmittag alles klar. Der 18. März 2025 ist ein Datum mit großer Reichweite. Mit den Grünen zusammen hat die sehr wahrscheinlich nächste Bundesregierung aus Union und SPD das Sondervermögen per Grundgesetzänderung für die Infrastruktur freigemacht. So sollen zum Beispiel auch Straßen und Brücken in Deutschland wieder flottgemacht werden für die Zukunft.
Gleicher Zeitpunkt, keine fünf Kilometer vom Bundestag entfernt: letzte Ortsbegehung von Vertretern der Autobahngesellschaft mit Bauingenieuren im grauen Autobahnkörper der Ringbahnbrücke am Berliner Funkturm. Hier kommt das Sondervermögen des Bundes mit mindestens zehn Jahren Verspätung. Bis vor zwei Wochen wussten selbst Urberliner nicht den Namen der Brücke, obwohl der Ort prominent ist: Das Bauwerk gehört zum Ensemble des Autobahnteilstücks mit der größten Verkehrsdichte Deutschlands: A 100 – Kreuz Funkturm.
Brückensperrung fast schon Alltag
Während sich die Parlamentarier von CDU/CSU, SPD und Grünen gegenseitig für die gelungene Abstimmung im Parlament zum zukünftigen 500 Milliarden-Euro-Paket für die Infrastruktur auf die Schulter klopfen, fällt im Betonkörper der A 100-Brücke am Funkturm eine folgenschwere Entscheidung. „Irgendwann ist so ein Baukörper einfach mal tot“, bringt es einer der Prüfingenieure gegenüber FORUM mehr als nüchtern auf den Punkt. Eine der Hauptschlagadern des Berliner Innenstadt-Verkehrs muss voll gesperrt werden. Reparatur nicht möglich, Sanierung finanziell nicht darstellbar, es bleiben nur Abriss und Neubau. Offenbar mangels Ansprechpartner – Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) ist zum Zeitpunkt der Entscheidung der Autobahn GmbH im wohlverdienten Urlaub – wird alles per Fax um 18 Uhr mitgeteilt.
Wegen der Dringlichkeit rücken zum gleichen Zeitpunkt die Mitarbeiter der Bundesautobahngesellschaft aus. Zwei Stunden später ist die Berliner Stadtautobahn am Funkturm Richtung Nord einfach mal dicht. Seit zwei Wochen war ohnehin nur noch eine Fahrspur frei, jetzt ist ganz gesperrt. Ohne Umleitungsempfehlung oder sonstige „Verkehrslenkungsmaßnahmen“, wie es so schön im Amtsdeutsch heißt. „Die ingenieurstechnischen Untersuchungen zeigen, dass die Ringbahnbrücke sofort aus dem Verkehr genommen werden muss“, so Ronald Normann, Niederlassungsleiter Nord-Ost der Autobahn GmbH.
Die Sperrung des 62 Jahre alten Brückenbauwerks sorgte am nächsten Morgen für beispielloses Verkehrschaos im westlichen Teil der Hauptstadt. Kein Wunder, wenn ein Autobahnteilstück mit einer Spitzen-Frequenz von 15.000 Autos pro Stunde einfach mal gesperrt wird. Verkehrssenatorin Bonde von der CDU schickte aus ihrem Urlaubsdomizil wohlmeinend den guten Tipp: Einfach mal auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Für Bus- und Lkw-Fahrer oder Handwerker ein völlig sinnbefreiter Hinweis, aber auch für Pkw-Berufspendler nicht wirklich hilfreich.

Am Tag der Vollsperrung der Stadtautobahn streiken obendrein die Mitarbeiter der BVG. Weder Busse noch Straßen- oder U-Bahn fahren, umsteigen auf die S-Bahn an so einem Tag ist nicht zu empfehlen, weil die ohnehin schon hoffnungslos überfüllt ist. In der Berliner Verkehrsverwaltung hält sich seitdem hartnäckig das Gerücht, die Autobahn GmbH, eine Körperschaft des Bundes, habe die Totalsperrung absichtlich ausgerechnet am Tag des BVG-Streiks durchgezogen, um die Berliner mal richtig zu ärgern – die Ringbahnbrücke hätte man ja auch einen Tag später sperren können. Die Gescholtenen verweisen auf „Gefahr in Verzug“, was die Maßnahme umgehend nötig gemacht habe.
Allerdings wird bei Gesprächen unter vier Augen mit Autobahn-Mitarbeitern deutlich, hier wollte man einfach auch mal ein Zeichen setzen: Bis hierher und nicht weiter. Seit zehn Jahren hat die Autobahn GmbH gewarnt, die insgesamt 25 Brücken am Kreuz Funkturm seien mehr als marode und müssten dringend saniert beziehungsweise ein Teil von ihnen besser gleich abgerissen und neu gebaut werden. Entsprechende Gelder des Bundes dafür standen bereit, auch ganz ohne Sondervermögen. Doch das Land Berlin kam nicht aus dem Knick, sondern plante den großen stadtplanerischen Wurf. Das ganze Autobahnkreuz Funkturm, der dichtbefahrenste Fernstraßen-Teilabschnitt Deutschlands, soll in einem großen Rutsch komplett neu gebaut werden. Geplanter Baubeginn: voraussichtlich Ende kommenden Jahres. Oder ein Jahr darauf. Wenn dann eben auch genügend Geld von Berliner Seite da ist.
Umsetzung mangelhaft
Vor drei Jahren gab es eine erneute dringliche Warnung der obersten Autobahnwarte. Die jetzt gesperrte Brücke weise erhebliche Risse auf und müsse dringend saniert werden. Seitdem überwachte die Autobahngesellschaft den Hauptriss und all die anderen in verkürzten Intervallen, mit immer wiederkehrenden Warnungen an die Senatsverkehrsverwaltung.
Berlin verwies auf den großen stadtplanerischen Gesamtentwurf für das Kreuz Funkturm und auch darauf, dass die bereitgestellten Bundesmittel allein dafür derzeit nicht ausreichen würden. Anfang März zog dann die Autobahn GmbH die Notbremse, der Hauptriss im Inneren des Autobahnhohlkörpers hatte sich in seiner Länge fast verdoppelt, die vierspurige Autobahn war fortan nur noch einspurig, doch das hielt Verkehrssenatorin Bonde keineswegs von ihrem Urlaub ab.
Der zuständige arbeitende Teil der Verkehrsverwaltung fuhr nach dem Prinzip Hoffnung in seinem Tun fort. Darum machte sich niemand auch nur im Ansatz Gedanken um das Worst-Case-Szenario einer gesperrten A 100 Richtung Nord. Was auch der Autobahn GmbH nicht verborgen blieb. Beim letzten Ortstermin wurde noch mal nachgefragt, wie man im Falle des Falles denn von Berliner Seite aus gedenke, den Verkehr ohne Ringbahnbrücke umzuleiten. Berlin blieb zunächst dem Bund und nach der Sperrung des Autobahntragwerks dann auch den gut 200.000 Kraftfahrzeugführern, die täglich über diese Brücke müssen, eine Antwort schuldig. Selbst zwei Tage nach dem Kollabieren des West-Berliner Innenstadtverkehrs zeigte sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im FORUM-Gespräch mehr als zugeknöpft auf die Frage hin, wie die Sofortmaßnahmen für das Kreuz Funkturm denn konkret aussehen sollen. „Ich erwarte von allen Beteiligten, von der Autobahngesellschaft und der Senatsverwaltung für Verkehr, dass sie alle Möglichkeiten prüfen, um neue Wege für den Verkehr festzulegen, und dabei auch alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, so Wegner.
Die Verkehrsteilnehmer im Bereich der Stadtautobahn, Kreuz Funkturm, werden in den kommenden mindestens zwei Jahren noch viel Zeit haben, über die Worte ihres Regierenden nachzudenken, wenn sie im Dauerstau stehen.
Das aktuelle Beispiel macht deutlich: Es reicht allein nicht aus, dass der Bund den Ländern Geld für Infrastruktur-Maßnahmen zur Verfügung stellt. Wenn diese es nicht abrufen, da sie die Eigenbeteiligung nicht aufbringen können oder die eigenen Planungen nicht vorantreiben, hilft auch das größte Sondervermögen in der Geschichte der Bundesrepublik nicht weiter.