Serienkiller-Storys und Gewaltorgien mag der mehrfache Krimipreisträger Johannes Groschupf nicht. Er erzählt Geschichten aus seiner Stadt und von den Menschen, die hier leben. Jetzt hat er sein neues Werk aus der „Berlin Noir“-Reihe veröffentlicht: „Skin City“.
Manchmal, wenn er in der U-Bahn sitzt, sagt Johannes Groschupf, dann beobachtet er die Leute. Einen Typ mit Siegelring, Goldkette und Tätowierungen auf den Händen zum Beispiel. Dann fragt er sich: Brodelt es in ihm? Oder ist er ausgebrannt? Ist der Typ harmlos und nur etwas extrovertiert? Oder ist er wirklich einer von den ganz harten Jungs? Egal wie Johannes Groschupf diese Frage für sich beantwortet – sein Gegenüber hat in beiden Fällen gute Chancen, in eine von Groschupfs Geschichten zu geraten.
Johannes Groschupf schreibt Thriller – ausgezeichnete Geschichten. Unter anderem wurde er zweimal mit dem Deutschen Krimipreis geehrt. Wobei er mit diesen Serienmörder-Storys und übermäßiger Gewalt nichts anfangen kann. „Mir geht es um die realistische Stadt“, sagt er. Und diese Stadt ist Berlin. Den „Seismograf von Berlin“ nennt ihn sein Verlag. Ein großes Wort, findet Johannes Groschupf. Er formuliert es lieber so: „Ich nehme die Stadt sehr wahr. Ich gehe offener durch die Stadt als die meisten Leute.“
Zurzeit spürt er dabei „eine Zunahme von Ruppigkeit. Man merkt, wie angespannt viele Menschen sind.“ Es sind aber nicht nur Zufallsbegegnungen, die ihn inspirieren. „Die Ideen kommen mir an besonderen Orten, in Gebäuden.“ Jetzt sitzt Johannes Groschupf in der „Joseph-Roth-Diele“, einer nach dem österreichisch-ungarischen Schriftsteller, der zwischen den Weltkriegen nach Berlin kam, benannten Gaststätte in der Potsdamer Straße.
Nur ein paar Meter weiter ist die „Victoria Bar“ – ein Ort, an dem Johannes Groschupf viel Inspirationen für seinen neuen Roman gefunden hat. „In der Bar kann man viel über das Künstlermilieu lernen“, erklärt er. Bei „Grisebach“ in der Fasanenstraße hat er sich Auktionen angesehen. „Das hat Spaß gemacht“, sagt er – und es hat ihm viel „Material gebracht, mit dem ich spielen kann“. Herausgekommen ist „Skin City“, der vierte Thriller in der „Berlin Noir“-Reihe des Suhrkamp-Verlags.
Wie in vielen seiner Romane verwebt Johannes Groschupf auch in seinem neuesten sehr unterschiedliche Schicksale miteinander. In „Skin City“ ist da die Kriminalpolizistin Romina Winter. Der Dienst im Außenbezirk sollte Ruhe in ihr Leben bringen. Aber georgische Einbrecher nehmen sich in täglichen Touren die Stadtvillen in Dahlem und Lichterfelde vor. Die Bewohner sind verängstigt. Dann verschwindet Rominas kleine Schwester, und sie muss auch noch in eigener Sache ermitteln.
Und da ist Jacques Lippold. Er wird aus dem Tegeler Gefängnis entlassen. Zwei Jahre hat er wegen Betrugs gesessen. Jetzt will er sich als Finanzberater in der Kunstszene etablieren. Sein Charme und seine Überredungskunst, die er anbringt auf Vernissagen, Auktionen und Gallery Dinners sind unwiderstehlich. Und Lippold hat noch eine alte Rechnung zu begleichen.
Koba hat mit seinen Jungs aus Tiflis gut zu tun in der Berliner Peripherie. Jeden Tag steigen sie mindestens in eine Wohnung, in eine Stadtvilla ein und nehmen mit, was sie kriegen können. Eigentlich träumt er von Kanada. Doch dann läuft etwas schief.
Ob Polizistin, Einbrecher oder Ex-Knacki: Es geht Johannes Groschupf immer „um die Geschichte dahinter. Dass man sich über andere erhebt und sich für etwas Besseres hält, ist eine Dummheit“, findet er und erklärt: „Ich interessiere mich für die Schattenseiten Berlins, für die Subkulturen, die Milieus, die Armen und die Reichen – das macht die Stadt aus, aber irgendwie ist alles miteinander verbunden.“
Eine Stadt voller Widersprüche
In die Abgründe Berlins schaut der Autor nicht nur, wenn er in der Stadt unterwegs ist. „Ich war 13 Jahre lang Schöffe am Berliner Kriminalgericht. Da reichte das Spektrum von einem Kunden, der Einkaufswagen nicht zurückbringt und die Kassiererin beleidigt, bis zu einer Einbrecherbande oder einer Giftmischerin, die ihren Mann vergiftet, damit er nichts mit anderen Frauen hat und sie ihn pflegen und ganz für sich haben kann“, erzählt Groschupf.
Geboren wurde er 1963 in Braunschweig, wuchs in Lüneburg auf. Als er zur Bundeswehr sollte, zog er nach Berlin. Dort konnten junge Männer damals nicht eingezogen werden. Johannes Groschupf studierte Germanistik, Amerikanistik und Publizistik an der Freien Universität. Danach war er als freier Reisejournalist für „Die Zeit“, die „Frankfurter Rundschau“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unterwegs.
Als er 1994 für die „FAZ“ in Afrika recherchierte, ist der Hubschrauber, der ihn von einer Oase zurück in die Stadt bringen sollte, in der Sahara abgestürzt. Johannes Groschupf überlebte den Absturz als einziger. Eben noch hatte er die „wunderbaren Nächte mit einem Sternenhimmel, wie man ihn in Berlin nicht kennt“ genossen – und plötzlich stand er auf der Schwelle vom Leben zum Tod. Ein Jahr lang lag er in Stuttgart im Krankenhaus. Dann konnte er nach Berlin zurückkehren. „Die Ärzte sagten: ,Sie haben das Leben noch einmal geschenkt bekommen‘“, erinnert sich Johannes Groschupf. Für ihn lautete die Frage: „Was fange ich damit an?“
Die Antwort: „Jetzt kannst du ausprobieren, was du immer schon mal wolltest, aber nie angegangen bist: Bücher schreiben und tanzen lernen.“ Er sei in der Disco immer einer gewesen, der an der Wand gelehnt und sich nicht auf die Tanzfläche getraut hat. Nun kann er tanzen, Bücher scheiben auch. Und er habe durch sein eigenes Unglück „ein gewisses Verständnis für Lebenskrisen und kann besser verstehen, wie so etwas Menschen verändert“.
Für ihn sei es aber auch Berlin gewesen, das ihn verändert hat, sagt Johannes Groschupf. Diese Stadt mit ihren Widersprüchen, ihren Abgründen und ihrer, wie er es nennt, „Geschichtlichkeit“. Die 20er- und 30er-Jahre, das West-Berlin der Nachkriegszeit – all das habe ihn bereits interessiert, als er mit 18 nach Berlin kam. Und Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ von 1929 ist sein „Lieblingsroman bis heute“. Auf die Idee, historische Krimis zu schreiben, sei er dennoch nie wirklich gekommen. „Im Berliner Kosmos gefangen“, sagt er, „aber im gegenwärtigen“.
Autoren-Kollegen wie Volker Kutscher, der die Gereon-Rath-Krimis geschrieben hat, machen das gut, findet Groschupf. Aber das Problem seien nicht nur die Recherchen zu den historischen Details, sondern die Antwort auf die Frage: „Wie haben die Leute damals geredet?“ Er selbst setze sich immer mal wieder in Kneipen, um zuzuhören wie und worüber geredet wird in Berlin. Der ein oder andere Satz, der da fällt, hat vermutlich gute Chancen, in eine von Groschupfs Geschichten zu geraten.