Die Verhandlungen zur neuen Bundesregierung sind auf der Zielgeraden. Die Stimmungslage bei den wohl zukünftigen Regierungspartnern ist derzeit aber sehr unterschiedlich. Dabei beteuern alle, dass sie sich zusammenraufen wollen.
SPD-Co-Chef Lars Klingbeil gibt sich momentan geradezu tiefenentspannt, von Verhandlungsstress bei den Koalitionsgesprächen ist dem beinahe Zwei-Meter-Mann kaum etwas nach außen anzumerken. Freundlich wie immer, aber in den inhaltlichen Aussagen zum Stand der Gespräche mit CDU/CSU mehr als zurückhaltend, begrüßte er die Unions-Gesprächspartner in der SPD-Zentrale zur so genannten Steuerungsrunde, der 19-köpfigen Spitzenrunde, die den Koalitionsvertrag abschließend aushandelt.
Dabei ist für die Reporter zu hören, dass „der Lars“ mittlerweile mit CDU-Chef Friedrich Merz auf Du und Du ist. „Wir haben nun schon so viele Stunden miteinander verhandelt, da hat sich viel Vertrauen aufgebaut, auch wenn wir uns noch im Wahlkampf recht hart in der Sache angegangen sind“, berichtet Klingbeil später auf Nachfrage. Und als Zeichen, mit wieviel Respekt und Anstand die Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD bislang über die Bühne gehen, berichtet „der Lars“, dass es Friedrich Merz war, der ihm das Du angeboten hat. Klingbeil weiß, was sich gehört: Der Ältere bietet dem Jungen das Du an, alte Schule eben.
Dabei kann die SPD bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Verlauf der Gespräche auch recht zufrieden sein. Trotz des schlechtesten Wahlergebnisses seit Kaiserzeiten haben die Sozialdemokraten bislang der Union einiges abringen können. Vor allem das Infrastruktur-Sondervermögen von 500 Milliarden Euro und die Teil-Aufhebung der Schuldenbremse waren bis zum Wahlabend am 23. Februar für CDU/CSU eigentlich nicht verhandelbar. Zehn Tage später dann schon der Durchbruch bei den Sondierungen.
Inzwischen duzen sich die Parteichefs
Aus Sicht von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist damit die Unionsseite reichlich in Vorleistung gegangen, nun müssten sich auch die Sozialdemokraten bewegen. Da wäre aus Sicht der Christsozialen zum Beispiel noch die Ausweitung der Mütterrente oder die Beibehaltung der Agrardiesel-Subventionen für die Landwirte. Ansonsten scheint man auch bei der CSU in Sachen Koalitionsverhandlungen guter Dinge zu sein.
Etwas anders die Gemengelage dagegen bei der großen Schwesterpartei in ihrer Zentrale, dem Adenauerhaus in Berlin. In der CDU rumort es, was vielleicht auch daran liegt, dass vor allem ihr Chef Friedrich Merz im Kreuzfeuer der Kritik steht. Ihm und seiner CDU wird Wahlbetrug vorgeworfen, nicht etwa der CSU. Merz hatte als Kanzlerkandidat immer die Schuldenbremse hochgehalten und im Bundeshaushalt Sparen und Streichen angekündigt, um so die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Nun also eine nie dagewesene Rekordverschuldung der Bundesrepublik auf einen Schlag für Infrastruktur und Verteidigung.

Gerade die drei CDU-Ost-Ministerpräsidenten machen sich Sorgen um ihre Länder. Reiner Haseloff, Michael Kretschmer und Mario Voigt sehen ihre Glaubwürdigkeit als CDU erheblich beschädigt und damit Wasser auf die Wahlmühlen ihrer direkten Konkurrenz in ihren Ländern. Bereits in Sachsen und Thüringen ist die AfD bei den Landtagswahlen im September vergangenen Jahres zur stärksten Kraft geworden. Im kommenden Jahr ist unter anderem Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Auch hier könnte die AfD zur stärksten Kraft gekürt werden. Wobei nicht nur diese drei CDU-Ministerpräsidenten das Sondervermögen für die Infrastruktur ausdrücklich begrüßen und auch die Teilreform der Schuldenbremse richtig finden.
Doch der Ton macht bekanntlich die Musik, und das gilt gerade in der Politik. Aus Sicht nicht nur der drei genannten CDU-Ministerpräsidenten aus dem Osten hat ihr Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat da im Wahlkampf die falsche Tonlage angeschlagen. Merz wollte die CDU unbedingt als die Ordnungspartei gerade in Fragen der soliden Finanz- und Steuerpolitik darstellen. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, nebenbei Chef des mitgliederstärksten CDU-Landesverband, hatte schon im Wahlkampf leise Zweifel an Merz angemeldet, ob das Mantra „Die Schuldenbremse bleibt“ der richtige Weg ist. Sein CDU-Freund, und Amtskollege Daniel Günther aus Schleswig-Holstein meldete dagegen recht öffentlich Kritik an, dass man mit Sparen und Streichen kaum die aufgestauten Aufgaben gerade bei der Zukunftsfähigkeit Deutschlands finanzieren kann. Ganz abgesehen davon, dass die Länder gerade bei den dringend notwendigen Infrastrukturmaßnahmen finanziell genauso gefordert sind, wie der Bund. Nicht zuletzt Berlins Regierender Bürgermeister und CDU-Chef Kai Wegner stellte sich bereits im Wahlkampf offen gegen Friedrich Merz.
Reaktion vom CDU-Bundesvorsitzenden damals: Er ging mit den kritisierenden West-Landeschefs der CDU eher sparsam um. Frei nach dem Motto: Das ist mein Wahlkampf. Typisch Merz, sagen auch heute viele Christdemokraten, und das ziemlich offen.
Vor allem bei der CDU grummelt es hörbar
An der konservativen Basis der Christdemokraten ist die Enttäuschung nicht minder groß. Viele hatten gehofft, mit Friedrich Merz jetzt endlich auch die Merkel-Jahre, wenn schon nicht politisch aufzuarbeiten, wie es die Kurzzeit-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland vorhatte, dann diese Jahre doch wenigstens mal hinter sich zu lassen. Vielen christlich geprägten CDU-Parteimitgliedern steckt dabei immer noch in den Knochen, dass nicht nur die AfD im Schatten der CDU gerade nach dem Flüchtlingssommer 2015 massiv an Boden gewonnen hat, sondern dass es auch noch die kleine Abspaltung der „Werte-Union“ von CDU/CSU gab.
Nun scheint die letzte Entwicklung nur eine Episode in der Parteigeschichte zu sein. Von der Werte-Union spricht heute kein Mensch mehr, aber es hat der CDU noch mal zugesetzt. Offener Widerspruch gegen Merz ist weder von der eigenen Partei, noch von der kleinen Schwester in München in absehbarer Zeit zu erwarten. Bei den derzeitigen Koalitionsgesprächen mit den Sozialdemokraten geht es einfach um viel zu viel. Die Regierungsfähigkeit Deutschlands muss die Union nun unter Beweis stellen, auch wenn sie der SPD in vielen Punkten mehr als entgegenkommen muss. Das empfinden gerade viele Konservative aus den Süd-West-Landesverbänden zwar beinahe schon als Zumutung, aber hier gilt die Parole: Augen zu und durch.
Ganz anders sieht man das bei den Ost-Landesverbänden der CDU, gerade in Sachsen und Thüringen. Das Modell der Minderheitenregierung auch auf Bundesebene wird hier diskutiert. Sowohl in den Landeshauptstädten Dresden als auch Erfurt weiß man, wovon man spricht. Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer fehlen satte zehn Stimmen zur Mehrheit, und in Thüringen leitet CDU-Ministerpräsident Voigt in einer Pattregierung die Geschicke des Landes. Er braucht immer mindestens eine Stimme ausgerechnet von der Linken, um seine Gesetze durchzubringen. Ähnliches könnte Reiner Haseloff in einem Jahr in Sachsen-Anhalt drohen. Damit stellt sich für die Ost-CDU nicht nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Brandmauer gegen die Linke, sondern unterschwellig auch gegen die AfD.
Auf kommunaler Ebene hat sich diese Frage für die CDU längst von allein beantwortet, sonst wären eine Reihe von Kreistagen im Osten längst unregierbar. Ohne AfD- Zustimmung kein Kita-Neubau, kein neues Feuerwehrauto. Doch die Debatte um die Brandmauer lässt CDU-Chef Friedrich Merz wohlwissend gar nicht erst zu. Er ist ein gebranntes Kind, nachdem er in der letzten regulären Bundestagssitzungswoche vor der vorgezogenen Neuwahl auch mit den Stimmen der AfD operierte. Der folgende politische Shitstorm hat sich ihm eingeprägt und war vermutlich nicht ganz unschuldig an dem nicht gerade brillanten 28,6 Prozent Ergebnis der Union am Wahlabend. Letztlich aber sind alle drei, CDU, CSU und SPD jetzt zum Erfolg verdammt.