Schlussspurt bei den Koalitionsverhandlungen. Jetzt geht es auch um die Zuständigkeitsbereiche der Bundesministerien. Wirtschaft oder Forschung fordern ein reines Digitalministerium. Ob es kommt, ist offen.
Als Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim Mitte 2023 den Auftrag von der Beratungsfirma Agora Digitale Transformation erhält, schwante dem 60-Jährigen: „Die Aufgabe wird nicht ganz einfach“. Der Wirtschaftsprofessor soll rausbekommen, wie viel Geld die Bundesregierung durchschnittlich in einem Jahr für Digitalisierungsmaßnahmen ausgibt.
Diese Zahlen werden bis zum heutigen Tag nicht explizit ausgewiesen. Das heißt, beinahe 21.400 Haushaltstitel mussten Professor Heinemann und sein Team durchforsten, um herauszubekommen, was sich Deutschland die Digitalisierung kosten lässt. Ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wäre das für die Leibniz-Forscher aus Mannheim rein personell vielleicht in zehn Jahren zu realisieren gewesen. „Wir mussten ein KI-Modell trainieren, das wir mit 1.000 Haushaltstiteln gefüttert haben. Alle haben wir selber vorher genau angeschaut, sind händisch Position für Position durchgegangen, um sie dann digital zu klassifizieren“.
1.000 Haushaltstitel, 19 Milliarden Euro
Doch selbst die klügste KI scheitert an den Ausgaben-Beschreibungen der Ministerien, weil sie „wenig aussagefähig sind“, bringt es Heinemann vom Leibniz-Zentrum auf den Punkt. Nach einem Jahr intensiver Forschung stand dann tatsächlich trotzdem mal eine Summe fest: Der Bund gibt für Digitalisierungsmaßnamen derzeit um die 19 Milliarden Euro aus.
Allein der Vorgang zur Ermittlung der aktuellen Ausgaben für die Digitalisierung des Bundes spricht Bände. „Hier wäre ein Bundes-Digitalministerium hilfreich“, sagt der Wirtschaftsprofessor.
Auch Digitalexpertin Julia Jäkel schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Sie gehört zur Expertenkommission der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ und fordert ebenfalls ein Digitalministerium, das zukünftig zumindest auf Bundesebene eine zentrale Steuerung übernehmen könnte. Die ehemalige Topmanagerin des Bertelsmann-Medienkonzerns spricht sich für ein einheitliches Vorgehen aus. „Es kann doch nicht sein, dass wir keine einheitliche Linie bei der Digitalisierung haben, wenn schon der Bund in seinem Einflussbereich überhaupt nicht abgestimmt arbeitet“.
Julia Jäkel sieht in so einem Digitalministerium auch Vorteile für die Länder. „Es gibt viele Dinge, die automatisiert werden könnten, wenn die Kommunen überfordert sind. Die Daten sind alle vorhanden, die müssen nur gebündelt und zentral gesteuert werden. Das muss nicht jedes Bundesland für sich machen“.
Keine einheitliche Linie erkennbar
Digitalexpertin Jäkel sieht hier zwei wichtige Handlungspunkte: Der Datenschutz darf nicht über alles gehen, und die Länder müssen in diesem Punkt auch auf den Bund zugehen. „Föderation ist ein hohes Gut, aber wir müssen jetzt auch mal die Zeichen der Zeit verstehen, wenn Bund und Länder Aufgaben bündeln könnten, um so wieder eine funktionierende Verwaltung zu schaffen“.
Digitalisierung war bislang eher Anhängsel des Verkehrsministeriums, obwohl es zuerst im Namen genannt wurde. Sollte es zu einem wirklich wirkungsvollen Ministerium ausgebaut werden, hätte dieses innerhalb einer Bundesregierung eine gewisse Schlagkraft, wenn dann zukünftig die Gelder für Digitalisierungsmaßnahmen zentral gesteuert und auch bewilligt werden sollten. Immerhin geht es, wie errechnet, um fast 20 Milliarden Euro allein im Bund, Tendenz eher steigend. Sollen dann zukünftig die Verwaltungen von Bund und Ländern auch noch digital synchronisiert werden, käme einem Digitalminister ein Einfluss zu, der vergleichbar mit dem des Bundesfinanzministers wäre.
Friederich Merz hatte Sympathien für ein solches eigenes Ministerium immer wieder erkennen lassen. Aber zuletzt war es im Zuge der Koalitionsverhandlungen zumindest nach außen ziemlich ruhig darum geworden. Es bleibt also offen, ob ein solcher, von Expertinnen und Experten geforderter großer Wurf, gelingen kann.