Seit Ende des vergangenen Jahres bietet das „Spree Fumée“ in einem historischen Binnenschiff asiatische Dampf- und Garküche an. Bei einem Besuch an Bord testen wir ein opulentes Mahl und Cocktails, die nach Berliner Brücken benannt sind.

Renate-Angelika“ – der Name klingt ein bisschen wie aus dem vergangenen Jahrhundert. Die Tante könnte so heißen oder vielleicht doch eher die Großtante … Tatsächlich trägt ein Berliner Kahn aus dem Jahr 1910 diesen Doppelnamen. Das Schiff gehört zu jenen Wasserfahrzeugen auf Berliner Gewässern, die zwischen 1870 bis 1920 die Stadt mit Gütern wie Getreide, Ziegel und Kohle versorgten. Heute liegt „Renate-Angelika“ am Märkischen Ufer vor Anker. Vor Kurzem wurde der alten Dame neues Leben eingehaucht. Man kann den 46,42 Meter langen Kahn nicht nur als historisches Exponat besichtigen, sondern vor Ort auch opulent trinken und speisen. Mit dem neuen „Spree Fumée“ sind nicht nur ein Restaurant und eine Bar auf das Binnenschiff gezogen, sondern auch ein weiteres Kapitel der Berliner Geschichte.
Historische Fotos an den Wänden
Gelegen im Historischen Hafen Berlin, fusionieren nun das Ambiente des geschichtsträchtigen Schiffes an der Spree mit der Kulinarik aus Fernost. Welch’ passenden Rahmen das Berliner Wasserfahrzeug für die angebotenen Speisen und Getränke bildet, erschließt sich erst unter Deck und dort bei näherem Hinsehen. An den Wänden hängen nicht nur historische Fotos vom Hafen, sondern auch Bilder der sogenannten „Boat People“. Nach dem Ende des Vietnamkrieges waren unzählige Menschen auf Booten und Schiffen aus ihrem südostasiatischen Heimatland geflüchtet. Ein Teil der Bootsflüchtlinge fand Mitte der 1970er-Jahre auch in Berlin eine neue Heimat. Sie sind die Vorfahren der Crew, die jetzt – 50 Jahre später – im „Spree Fumée“ wirbeln und die Gäste mit asiatischen Köstlichkeiten beglücken. Zu diesen Menschen zählt auch der Restaurant-Manager Quang, denn auch er hat vietnamesische Wurzeln.

Der Name des Schiffrestaurants nimmt unter anderem Bezug auf die mehr als 90-jährige Kolonialgeschichte. „Spree bezieht sich auf den Fluss, an dem unser Restaurant gelegen ist, während Fumée das französische Wort für Dampf ist“, erläutert Quang. Die Namenswahl solle auch den Fokus auf „gekochte, gedämpfte und Bambuskorb-Gerichte“ unterstreichen. „Das ist eine sehr gesunde Küche“, wie der Restaurant-Manager betont. „Mit diesem Namen möchten wir sowohl unsere Lage hier im Historischen Hafen von Berlin als auch unser kulinarisches Konzept widerspiegeln.“

Doch bevor ich zu den Köstlichkeiten der Bordküche unter Deck komme, muss ich zunächst das sichere Festland verlassen und mich auf den Kahn begeben. Allein schon beim Betreten der Schiffsplanken wird mir klar, dass ich mich von nun an in einem ganz anderen, mir bis dato unbekannten Berlin befinde. Ich laufe vorbei an dreiarmigen, antiken Straßenlaternen, und die gesamte Ausstattung mutet ein bisschen an wie die Kulisse des Filmdramas „Titanic“. Es fühlt sich unwirklich an. Ich muss mich erst orientieren, bis ich die Tür zum Restaurant finde: „Welcome aboard“, steht darauf. Dann führt mich eine steile Treppe hinab in den Bauch des Schiffes, in dem es bereits angenehm duftet und dampft.

Unten angekommen, treffe ich meine heutige Begleiterin, die eine Minute vor mir an Bord gegangen sein muss. Wir lassen uns auf einer der petrolblauen, samtbezogenen Bänke nieder. Über unseren Köpfen befinden sich ein luftiges Glasdach und ein paar Deckenlüster. Neben uns lodern Holzstückchen im Brennofen. Wie behaglich! Ein Steuerrad und eine Schiffsglocke erinnern an jene Zeit, als „Renate-Angelika“ noch jung war und über die Spree schipperte. Darauf müssen wir anstoßen und werfen einen ersten Blick in die Cocktailkarte. Diese erzählt wiederum ihre eigene Geschichte: Sie kommt in Form einer Seekarte daher, auf der die bekanntesten Brücken der Spreestadt eingezeichnet sind. Jede der neun Brücken steht für einen der selbstkreierten Drinks.
Der Geschmack bleibt erhalten

Ich wähle meinen Cocktail allerdings nicht nach einer bestimmten Brücke oder Himmelsrichtung, sondern nach der Farbe. Eilte der Kellner nicht gerade mit einem Drink in leuchtendem Barbie-Rosa an uns vorbei? Stopp. So einen möchte ich auch haben! Kurze Zeit später steht er dann auch schon vor mir, der pinkfarbene Cocktail, der nach der Moltkebrücke benannt wurde. Die Basis bildet ein Tanqueray Ten, der als eine der besten Ginsorten gilt. Gepimpt ist die flüssige Versuchung mit einem Rosé-Wein, Cranberry, Himbeere, Kumquat, Bergamotte, Kirschtee, Limette und Mandel. Mein Fazit: Der Cocktail hält, was sein feminines Aussehen verspricht. Vorausgesetzt, frau mag fruchtig-süße Drinks, die durch feine Säure ausbalanciert sind. Meine Begleiterin hingegen beginnt mit einem alkoholfreien Quang Lee. Ihre Wahl basiert auf Sloe Gin, verfeinert mit Yuzu-Sake, Grüntee, Limette, Eiweiß und Sesam. Die Co-Testerin ist begeistert – vor allem von der japanischen Zitrusfrucht. „Ich habe mein Herz an Yuzu verloren“, sagt sie. „Ich liebe diese Frucht mit ihrem leicht sauren Touch, der nicht wie Zitrone und nicht wie Limette schmeckt.“

Wir nippen fröhlich an unseren Drinks, während wir auf die kulinarische Hauptattraktion warten. Dabei sind wir der Empfehlung unserer Gastgeber gefolgt und haben ein dampfendes Menü (Steam Set) für zwei Personen bestellt. Dazu nehmen wir Teigröllchen namens Banh Cuon und Klebreis mit Mungbohnen und gerösteten Zwiebeln. Wir haben dabei die fischig-fleischige Variante des Steam Sets geordert, das es auch als vegetarische Alternative mit Tofu gibt.
Bald schon steht ein opulentes Mahl mit duftend-dampfenden Leckereien auf unserem Tisch. Die in Südostasien beliebte Technik des Dampfgarens im Bambuskorb hat den Vorteil, dass Fisch, Fleisch und Gemüse schonend zubereitet werden. Dabei bleiben ihr natürlicher Geschmack und ihre Textur erhalten. Außerdem sind die Gerichte weniger fettig. Durch das Dämpfen bedarf es weitgehend keiner zusätzlichen Öle oder anderer Fette. In der Tat sind die Leckereien in unserem Gemüsekörbchen knackig und saftig. Dabei sind die Blumenkohlröschen in Lila und Gelb eine ganz besondere Augenweide. Die Farbintensität rührt von einer speziellen Züchtung des Kohls her und wird nicht – wie ich zunächst annahm – mit Farbe eingefärbt. Hinter den lilafarbenen Köpfen stecken pflanzliche Farbstoffe, die sich Anthocyane nennen und auch in Rotkohl zu finden sind. Geschmacklich macht das keinerlei Unterschied. Aber das Auge isst immer mit.
Kulinarischer Konsens

Hübsch drapiert sind auch die anderen Häppchen im Tapas-Stil. Dazu zählen zum Beispiel farbige Dumplings und die mit Rind- und Schweinefleisch gefüllten Wirsingrouladen, die in ihrem frischen Grün zum Reinbeißen geradezu auffordern. Wir werden nicht enttäuscht, alles schmeckt sehr lecker. Während meine Begleiterin zufrieden von der Barbarie-Ente mit Gojibeeren kostet, probiere ich ein Stückchen Lachs an Dill und Spargel. Dazu gibt es eine Soße aus Koriander, grünen Chilis und Limette, von der auch meine Begleiterin sehr angetan ist. „Das passt hervorragend zum Lachs“, findet sie, während sie ebenfalls etwas vom Fisch probiert. Als intensiver Gaumenkitzel entpuppt sich auch der orangefarbene Yuzu-Dip. „Sowohl frisch als auch würzig“, urteilt meine Begleiterin.
Außer den Aromen begeistern uns noch die unterschiedlichen Texturen der vielen Leckereien, die vor uns stehen und die wir verkosten. Meine Begleiterin schwärmt bald schon von den Teigröllchen namens Banh Cuon, die mit Garnelen gefüllt sind. Ihre Textur ist nicht so ganz meins. Für meinen Gusto sind sie eine Spur zu matschig. Stattdessen genieße ich den fluffigeren, mit Hähnchenfleisch gefüllten Hefekloß (Banh Bao) und die Enokipilze. Sie schmecken überaus umami und sind angenehm bissfest. Kulinarischen Konsens finden wir beide dann wieder beim Dessert: Der Himbeer-Käsekuchen schmeckt nicht nur hervorragend, sondern das dicke, rote Gelee über der Cremeschicht ergibt ein ganz besonderes Mundgefühl. Es erinnert uns ein bisschen an Gummibärchen. Nur besser.