Nick Woltemade ist derzeit der Spieler, auf den ganz Deutschland blickt. Der 1,98-Meter-Hüne begeistert nicht nur beim VfB Stuttgart, sondern auch in der Nationalmannschaft der U21 – bald auch schon bei Julian Nagelsmann?

Über zu wenige Spitznamen kann sich Nick Woltemade sicher nicht beschweren: „Woltemessi“, „Turm von Cannstatt“, „Goaltemade“, „Big Nick“, um nur ein paar davon zu nennen – und das ist für die Leistung eines Fußballprofis immer eine Art Ritterschlag. Im Sommer gab es noch große Augen, als der VfB den Wechsel des Talents bekanntgab, zu wenige Tore schoss er in Bremen, noch nicht wirklich geliefert hat er – und jetzt soll er dem VfB bei seiner schweren Saison mit Dreifachbelastung eine Hilfe sein? Das wurde er, auch wenn es zu Beginn nicht danach aussah. Mittlerweile wird er sogar als große Hoffnung für die Weltmeisterschaft 2026 in den USA und Mexiko gehandelt – auch weil er bei der U21 dermaßen gut performt, dass es fast schon unausweichlich scheint. Im Testspiel gegen Spanien zeigte Woltemade die gesamte Palette dessen, womit er die Herzen der Fans in Stuttgart eroberte: per Tunnler und feinem Chip über den Keeper zum ersten Streich, aus der Drehung der zweite und per Kopf der dritte. Dabei ist sein Kopfballspiel eher eine Schwäche als eine Stärke. Aber das kann ja noch kommen. „Die Entwicklung ist sehr schnell gegangen“, sagt der Angreifer, der vor der Saison ablösefrei von Werder Bremen gekommen war. „Ich habe aber auch viel dafür getan und viel Vertrauen von den VfB-Verantwortlichen bekommen. Sie haben es mir leicht gemacht.“ Dabei lief es am Anfang nicht gerade rosig in Stuttgart, weil er „nicht er selbst“ war. Das hat sich mittlerweile geändert.
Spielweise sorgt für Gesprächsstoff

In Stuttgart lieben sie ihn schon, in Deutschland beginnen derzeit viele Fan-Herzen für den 1,98-Meter-Hünen zu schlagen. Sicher auch, weil er eher unorthodox daherkommt. Ein langer Schlaks, mit Stutzen, die tief sitzen, technisch versiert und irgendwie anders. Trotz seiner enormen Größe begeistert er vor allem durch seine Dribblings und seine enge Ballführung – immer, wenn Woltemade am Ball ist, passiert etwas. Und etwas heißt in diesem Fall meistens etwas Besonderes. Spielertypen wie Woltemade gibt es in Deutschland nicht mehr so oft. Kaputtgecoacht in den Nachwuchsleistungszentren von Trainern, die nach Schablonen arbeiten, wurde er nicht. Auch deshalb kann er im Zentrum fast überall spielen, denn ein klassischer Stürmer ist er nicht und will es auch nicht sein. Er sieht sich vor allem als Unterhalter: „Das klingt jetzt vielleicht etwas selbstverliebt, aber ich schaue mich schon gerne an beim Spielen. Und ich habe auch schon oft das Feedback bekommen, dass es Spaß macht, mir zuzuschauen. Ich will auch Entertainer auf dem Platz sein. Ich finde es cool, wenn jemand Sachen probiert, mutig ist. Ich bin nicht auf dem Level eines Neymars, aber ich fand immer geil, wie der gespielt hat. Ich will die Menschen unterhalten.“ Die Position ist für die Unterhaltungsqualitäten des Schlakses zweitrangig. Egal, ob auf der Acht, der Zehn oder im Sturm – auch die nackten Zahlen stimmen: In der laufenden Spielzeit sammelte Woltemade schon zwölf Tore und zwei Assists. In den vergangenen sechs U21-Spielen steuerte er immer mindestens ein Tor oder eine Vorlage bei. Rückblickend ist es fast schon ironisch, dass er vor der Saison mit dem Ruf als wenig treffsicherer Stürmer nach Stuttgart wechselte. In Bremen erzielte er 2023/24 in 30 Spielen nur zwei Tore. Zuvor hatte er als Leihspieler im saarländischen Elversberg mit zehn Treffern und neun Assists beim Aufstieg in die 2. Bundesliga aktiv mitgeholfen. Wobei fast schon hinten runterfällt, dass er sogar zum Spieler der Saison gewählt wurde, als er die 3. Liga unsicher machte.
Durchbruch bei der SV Elversberg

Anscheinend hatten die fehlenden Tore Woltemade gefuchst, und für seinen Trainer Sebastian Hoeneß war die Ladehemmung nicht abschreckend, sondern vielmehr eine Chance. Hoeneß arbeitete mit ihm an seinen Abschlussqualitäten, und auch Woltemade schaute sich bei Harry Kane einiges ab. „Ich glaube, da kann man als Stürmer viel sehen“, sagte er. Und auch Sebastian Hoeneß meinte im Dezember des vergangenen Jahres über Woltemade, der erst nur zu Joker-Einsätzen kam und sich dann etablierte: „Nick ist ein Spieler, der sich auch gerne zurückfallen lässt. Jetzt zeigt er immer mehr die Qualitäten eines Mittelstürmers. Das war von Anfang an ein Thema.“
Doch nicht nur das: Auch die Ausstrahlung des neunfachen Bundesliga-Saisontorschützen imponiert Hoeneß. „Er ist ein aufgeräumter, cooler Typ, der mit einer natürlichen Autorität im Team ankommt und uns guttut“, so der VfB-Coach. Laut „Bild“-Zeitung sind Opa und Vater von Woltemade VfB-Fans. Die Familie von Woltemade mütterlicherseits wohnt demnach auch in Stuttgart, daher verbrachte der Offensivstar schon in seiner Kindheit viel Zeit im Schwabenland, beispielsweise in den Ferien. Wobei es fast schon untertrieben ist, seinen Vater nur als normalen Fan zu bezeichnen. Seit den Tagen des „magischen Dreiecks“ fährt Woltemades Vater auch auf Auswärtsspiele – es ging also vom Herzensverein Bremen gleich zum nächsten nach Stuttgart. Dabei dauerte es dann etwas. El Bilal Toure, Ermedin Demirovic und Deniz Undav waren in der Stürmer-Rangliste vor ihm, Woltemade wurde nicht einmal in den Kader für die Champions League berufen. Doch anstatt sich davon unterkriegen zu lassen, arbeitete er weiter. Jetzt ist er die Nummer Eins im Stuttgarter Offensivspiel.
Nachdem dann endlich der Knoten im DFB-Pokal platzte und auch in der Liga der erste Treffer gelang, spielte er sich über Herbst und Winter fast schon in eine Art Rausch. So richtig knallte es dann am 13. Spieltag gegen Union Berlin. 0:1-Rückstand zur Pause, Einwechslung Woltemade, 0:2-Rückstand – dann ein Doppelpack des Schlakses und am Ende stand ein 3:2-Heimsieg. Eine solche Entwicklung mit einhergehender Leistungsexplosion bleibt auch dem Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht verborgen. Eigentlich erwartete Fußball-Deutschland Woltemade jetzt schon im A-Kader, vor allem weil sein großes Vorbild Kai Havertz, ein ähnlicher Spielertyp wie „Big-Nick“, derzeit verletzt ausfällt. „Spieler müssen über einen längeren Zeitraum performen“, deutete der Bundestrainer an. Daran arbeitet Woltemade derzeit, um sich seinen Traum von der Weltmeisterschaft 2026 zu erfüllen.
Bemerkenswerte Lockerheit

Womöglich darf Woltemade im Sommer schon beim Final Four in der Nations League mitwirken. Bei der U21-Europameisterschaft diesen Sommer ist er fest als Leistungsträger eingeplant, auch er selbst sieht sich dabei in der Verantwortung: „Ich spiele seit zwei Jahren mit dieser Mannschaft und will auch mit ihnen etwas erreichen“, sagt er, schiebt aber hinterher: „Ich glaube, Nations League und Europameisterschaft überschneiden sich nicht. Das wäre möglich. Ich habe noch genug Power dafür“, lautete die Woltemade-Ansage. Warum nicht?
Sollte es jedoch diesen Sommer noch nicht für einen Platz im Kader reichen, so sollte, wenn Woltemades Form nicht komplett baden geht, spätestens im Herbst kein Weg an ihm vorbeiführen. Und dann könnte er auch eine Option für die WM 2026 sein – oder muss? Sollte die Entwicklung noch weitergehen, könnte Deutschland neben Florian Wirtz und Jamal Musiala einen weiteren Spieler der Extraklasse hinzugewinnen, der eine ganz eigene Spielweise hat, die nicht in eine Schablone passt, die etwas Eigenes, etwas Unbekümmertes ausstrahlt. Ein echter Zocker, den es so häufig nicht mehr gibt. Nicht nur die VfB-Fans freuen sich darüber, sondern mittlerweile auch ganz Deutschland.