Wie als Spieler wurde Miroslav Klose auch zum Start seiner Trainer-Karriere von vielen unterschätzt. Doch wieder scheint er alle Kritiker eindrucksvoll zu widerlegen. Beim 1. FC Nürnberg läuft es gut.

Unterschätzt zu werden, das kennt Miroslav Klose. Wer ihn mit 20 beim FC Homburg sah, wird wenig Geld auf eine große Karriere des Stürmers gesetzt haben. Klose rückte in einem Alter, in dem Florian Wirtz oder Jamal Musiala schon internationale Superstars waren, durch großen personellen Aderlass beim Regionalliga-Team aus der 2. Mannschaft hoch. Und schoss bei 18 Einsätzen ein einziges Tor. Dennoch ging er zum 1. FC Kaiserslautern, wo er aber zunächst auch nur in der 2. Mannschaft eingesetzt wurde.
Angeblich, weil er Cheftrainer Otto Rehhagel um eine Chance bat, durfte er mal bei den Profis ran, und dann begann ein nahezu unglaublicher Aufstieg. Bundesliga-Debüt im April 2000, erstes Länderspiel im März 2001. Im Sommer 2002 war er bei der WM in Japan und Südkorea dabei, sicherte sich mit fünf Treffern den Silbernen Schuh als zweitbester Torschütze, wurde Vize-Weltmeister und stand im Finale in der Startelf. Seine Karriere führte ihn dann über Werder Bremen und Bayern München zu Lazio Rom. 2006 wurde Klose WM-Torschützenkönig, 2014 Weltmeister und sogar WM-Rekordtorschütze. Mit dem FC Bayern holte er zweimal das Double, er wurde einmal Bundesliga-Torschützenkönig und einmal Fußballer des Jahres. Wer diesen Aufstieg verfolgte und dabei immer den schüchternen und etwas ungelenken Stürmer aus Homburger Zeiten im Sinn hatte, traute seinen Augen kaum.
Wie konnte das gehen? Nun, Klose hatte ganz sicher nicht das Talent wie andere. Doch er verfügte über elementare Grundpfeiler wie Disziplin, Ehrgeiz, Wille, Fleiß, Bescheidenheit und Mannschaftsdienlichkeit. Er verbesserte seine Technik, seine Schnelligkeit und seine Kopfballstärke durch unbremsbaren Eifer, Wissbegier und Selbstkritik in einer Lernkurve, die atemberaubend war. So schaffte er sich nach und nach ein sehr gutes Rüstzeug an. Und wurde dann zum Liebling der Trainer und Mitspieler, weil er abseits des Platzes ein so netter und bescheidener Mensch war und auf dem Platz der personifizierte Teamplayer. Die Trainer setzten auf ihn, die Spieler banden ihn ein. Als sie merkten, dass er auch viele Tore schoss, suchten sie ihn irgendwann regelrecht. Wodurch das Selbstvertrauen und die Selbstverständlichkeit im Spiel Kloses wuchsen. Und so stand am Ende eine absolute Weltkarriere. Der schüchterne, ungelenke Stürmer aus Homburg war fast allen fußballbegeisterten Kindern selbst in Afrika, Asien oder Amerika ein Begriff.
Ein selbstloser Star

Als Klose dann entschied, Trainer zu werden, schlug ihm trotzdem wieder Skepsis entgegen. Ja, er hatte eine große Karriere, er hatte viel erlebt, er würde allein durch seinen Namen schon eine gewisse Aura haben. Aber wie wollte dieser so stille und zurückhaltende Mensch, dieser „selbstloseste Star“, den es je gab („FAZ“), eine Mannschaft führen?
Als Klose sich entschied, Trainer werden zu wollen, war ihm klar, dass er diesen Beruf von der Pike auf lernen muss und lernen will. „Wenn ich nach oben wollen würde, dann müsste ich – Entschuldigung, wenn das blöd klingt – nur mit dem Finger schnippen. Aber das fände ich lächerlich, das geht ja nicht“, sagte er 2020 der „Sport Bild“: „Nur weil du Profi warst, bist du nicht gleich auch Profi-Trainer. Das ist wie ein neuer Job, eine ganz andere Perspektive. Ich würde nie behaupten, dass ich der Superstar bin, der alles kann.“
Nach dem Ende seiner Karriere habe er sogar kurz überlegt, wieder eine Firma als Zimmermann aufzumachen, erzählte er „11 Freunde“: „Aber der Beruf war schon sehr weit weg“. Matthias Sammer machte ihm klar, dass er seine zweite Lebenshälfte trotzdem „sinnvoll füllen“ müsse. „Da ist mir ein Licht aufgegangen“, sagte Klose: „Seitdem habe ich mich damit beschäftigt.“ Und eigentlich war es doch auch klar. Er liebte den Fußball so sehr, dass es für ihn alternativlos war, in diesem Geschäft zu bleiben.
„Ich bin als Spieler morgens fast immer ohne Wecker aufgestanden, weil ich mich aufs Training gefreut habe“, sagte er 2022: „Mittlerweile ist es auch als Trainer so.“
Fast zehn Jahre dauert seine Trainer-Karriere nun schon an. Doch das ist nur wenigen aufgefallen, weil er eben ganz klein begann, um alle Basics zu lernen. 2016 nahm ihn Bundestrainer Joachim Löw als „Stürmer-Trainer“ in seinen Stab auf, auch bei ausgewählten Maßnahmen im U-Bereich war er dabei. 2018 kehrte er als U17-Trainer zum FC Bayern zurück. Einer seiner Schützlinge war ein gewisser Jamal Musiala. „Ich werde nicht lügen, es war manchmal nervig“, erklärte dieser lachend in einem Artikel in „The Players’ Tribune“. Klose sah das unglaubliche Talent in diesem Offensivspieler, über das er selbst nie verfügt hatte. Und es machte ihn schier wahnsinnig, dass Musiala auch über einen gewissen Schlendrian verfügte. „Ich habe ihm gesagt, du presst immer nur mit den Augen. Du musst schon auch den Körper dazunehmen“, sagte Klose lachend. Musiala drückte es drastischer aus. „Das Verteidigen habe ich damals einfach nicht hinbekommen. In diesem Sinne war ich unreif. Ich wollte einfach nur angreifen und dribbeln, und Miroslav Klose hat mir jeden Tag eingetrichtert, dass ich verteidigen muss“, erzählte er: „Es ist lustig, weil man sich an Klose ja wegen seiner Tore erinnert. Aber er hat mir immer gesagt, dass er mich umbringen würde, wenn ich nicht beim Verteidigen helfe.“ Er habe einfach „keine Gnade“ gezeigt. Am Ende habe er ihn aber „zu einem kompletteren Spieler gemacht. Ohne ihn hätte ich den Sprung in die Erste Mannschaft nicht so schnell geschafft.“

2020 rückte Klose als Assistent von Hansi Flick zu den Bayern-Profis auf. 2022 übernahm er seinen ersten Cheftrainer-Posten im Profi-Fußball beim SCR Altach in der österreichischen Bundesliga. Doch das funktionierte nicht. Nachdem das Team aus Vorarlberg die Hauptrunde als Letzter abschloss, musste er im März 2023 schon wieder gehen.
Bis zum nächsten Engagement vergingen dann 16 Monate. Ehe wie schon Löw oder Flick ihm wieder ein alter Vertrauter aus DFB-Zeiten eine Chance gab. Joti Chatzialexiou, zuvor 20 Jahre beim Verband und dort zuletzt Sportlicher Leiter der Nationalmannschaften, wurde Sportvorstand beim 1. FC Nürnberg. Und verpflichtete Klose als Cheftrainer. Das sorgte einerseits für Euphorie im Frankenland durch den Weltmeister-Glanz, den Klose verbreitete. Doch andererseits kam wieder die Skepsis, nicht zuletzt auch wegen der Zeit in Altach.
Und es dauerte nicht einmal drei Monate, bis manche Medien erstmals über eine Beurlaubung Kloses spekulierten. Vier Niederlagen und sieben Punkte aus sieben Spielen lautete die Bilanz, hinzu kamen verheerende Statistiken. Letzter bei den Torschüssen, Letzter bei der Laufdistanz. Als Nürnberg am 20. Oktober zum Derby bei Greuther Fürth antrat, waren sich die meisten Beobachter einig, dass dies ein Endspiel für Klose sei. Der Club gewann 4:0 und ließ ein furioses 8:3 gegen Jahn Regensburg folgen. Das war aber noch nicht der Durchbruch. Nach dem 16. Spieltag Mitte Dezember war Nürnberg auf Rang 13.
Spieler werden besser gemacht

Doch dann bekamen Klose und der Club die Kurve. In der Rückrunde hat nur der Hamburger SV mehr Punkte geholt – und Nürnberg ist plötzlich ein Geheimfavorit auf den Aufstieg. „Das ist das Ergebnis unserer täglichen Arbeit. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir in der Lage sind, die Spieler besser zu machen“, sagte Klose, bei dem sogar selbstbewusste Aussagen irgendwie bescheiden klingen. Auf das bisher Erreichte angesprochen, sagte er: „Unser Ziel vor der Saison war, eine ruhige Saison zu spielen. Und die ist jetzt mehr als ruhig.“ Dahinter stecke viel Arbeit. Zwar falle er „jeden Abend tot ins Bett“, doch er könne „gar nicht beschreiben, wie viel Spaß es macht“.
Doch Beobachter loben nicht nur oberflächlich die sportliche Bilanz. Sie erkennen das gesamte Wirken Kloses. „Trotz großer Startschwierigkeiten hat der 47-Jährige den 1. FC Nürnberg einmal auf links gedreht“, schrieb der Bayerische Rundfunk. Und er schuf dabei für einen Zweitligisten überragende Transferwerte. Der 19-jährige Stefanos Tzimas hat seinen Marktwert laut „transfermarkt.de“ seit dem Saisonstart auf 22 Millionen Euro verdoppelt, Brighton aus der englischen Premier League wird gar 25 Millionen für ihn zahlen. Borussia Mönchengladbach wird 4,5 Millionen für Jens Castrop hinlegen, der 18-jährige Finn Jeltsch ging schon im Winter für acht Millionen zum VfB Stuttgart.
Klose scheint wieder all seinen Kritikern zu trotzen. Und hat natürlich auch hohe Ziele. „Klar würde ich irgendwann mal einen Champions-League-Verein trainieren. Ich würde lügen, wenn es nicht ein Ziel wäre“, sagte er der dpa, bleibt aber geduldig: „Aber ob das in drei, fünf oder zehn Jahren der Fall sein wird? Ich weiß, dass ich meinen Weg gehen werde.“ Das glauben inzwischen fast alle.