Sie werben auf Instagram, Snapchat oder TikTok mit halbnackten Körpern. Mehr zu sehen gibt es, wenn man ihren Link klickt: OnlyFans boomt und verspricht das schnelle Geld. Roxie hat die Schattenseiten des Business erlebt – und will nun insbesondere junge Frauen schützen.

Liebe Roxie, die Plattform OnlyFans (OF) boomt zurzeit. Gerne wird das als Female Empowerment, als weibliche Selbstbestimmung, vermarktet. Auch Du hast eine Zeit lang Content für OF produziert. Wie siehst Du das?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Der Aufbau der Seite gibt einem schon das Gefühl, dass man hier mit seiner persönlichen Note erfolgreich sein kann. Mit den eigenen Ideen und Impulsen. Das ist aber schon allein durch den Algorithmus gar nicht so einfach. Da muss man Glück haben und auch das technische Know-how, wie so eine Plattform überhaupt funktioniert. Bei mir war es so wie bei vielen anderen: Du fängst mit deinen eigenen Ideen an und schaust dann, wie diese angenommen werden und ob du damit weiterfahren kannst. Du bist – wie auch ein Influencer – von Likes und Interaktionen abhängig. Der Markt bestimmt, ob du erfolgreich bist, und dieser Markt ist übersättigt mit Hardcore-Pornografie, die jeder frei im Internet finden kann. Ich war selbst zwei Jahre auf OnlyFans, insgesamt vier in der Sex-Industrie tätig. Ich bin Künstlerin, ich habe es also erst mal auf dem kreativen Weg versucht. Schöne Erotik, Bodypainting. Das will aber keiner, damit können viele nichts anfangen. Das hat diesen Gedanken der Selbstbestimmung, aber auch der Selbstverwirklichung komplett zerstört.
Wie groß ist der Druck, auf einer Seite mit so viel Konkurrenz sichtbar zu bleiben?
Ich muss dazu sagen, dass ich Ende 2017 eine der ersten war, die OnlyFans genutzt hat. Die Plattform war damals neu. Dort haben insbesondere bereits bekannte Porno-Stars ihren Content angeboten. Da war damals ganz wenig los, für mich war das eine kleine Nebeneinkunft. Damals habe ich noch in London als Domina gearbeitet. Die Amateure kamen erst später dazu, so um 2020. Ich weiß noch, als 2019 die ersten OnlyFans-Agenturen gegründet wurden, die Frauen dafür angeworben haben. Das waren größtenteils etablierte Personen aus dem Porno-Bereich, die gesagt haben: Hey, ich bin ein superbekanntes Pornomodell und ich helfe dir, hier richtig Geld zu machen. Das waren größtenteils leere Versprechungen. Wenn Du bei OnlyFans erfolgreich bist, musst Du selbst erst mal wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen für Equipment und Co, Du musst Deine komplette Werbung selbst organisieren. OnlyFans stellt dir einzig eine rudimentäre Webseite, die dazu auch noch total fehlerhaft ist. Es gibt keine Werbung von OF für Dein Profil, es gibt noch nicht einmal eine Suchfunktion, bei der man in Genres filtern könnte. Dabei lebt die Porno-Industrie von klassisch rassistischen und misogynen Genres. Auf jeder Plattform kannst Du genau nach blond, große Brüste oder sonst was filtern. Nur bei OnlyFans geht das nicht. Du musst Deinen Link also überall hinklatschen. Das war für mich ein wahnsinniger Druck.
Besonders auf Instagram oder TikTok wird gerne für OnlyFans-Profile geworben. Also auf Plattformen, die auch von Minderjährigen genutzt werden …
Ja! Ich selbst habe immer nur auf Twitter oder Reddit geworben, unter anderem aus diesem Grund. Das finde ich mit am krassesten. Ende 2024 wurde das Erste BOP-House gegründet. Das ist quasi ein Haus mit ein paar ausgewählten OnlyFans-Stars, die dort ihren Alltag teilen. Auch auf Instagram. Da schreiben teilweise minderjährige Mädchen in die Kommentare, die sich gegenseitig für diesen Cast vorschlagen. Es ist so wichtig, dass junge Menschen den Umgang mit Medien lernen. Diese Entwicklung von Smartphones für Kinder und gleichzeitig die Normalisierung von sexualisiertem Content, das ist etwas, das mir Angst macht. Du merkst das ja auch in der Sprache von Teenagern, da werden teils Worte, gerade Anglizismen, benutzt, die ursprünglich mal aus der Porno-Industrie kamen …
Müsste hier stärker reguliert werden?
Plattformen wie OnlyFans profitieren halt davon, dass genau das nicht passiert. Da stecken meist einzelne CEOs dahinter, denen es um möglichst viel Geldgewinn geht. Der Rest ist denen egal. Als ich das letzte Mal geschaut habe, hatte OnlyFans beispielsweise gerade einmal 19 Moderatoren. OnlyFans selbst dürfte es gar nicht geben. Das ist eine Plattform, die auf Schlupflöchern beruht. Das ist eine Adult-Plattform, die sich aber absichtlich als freie, liberale Content-Plattform darstellt, um gewisse Restriktionen zu umgehen. Dabei kam der Gründer von OnlyFans aus der Pornoindustrie und weiß genau, dass das Internet von Pornografie übersättigt ist und dass genau nach solchen Dingen, wie dem persönlichen Kontakt zu den Frauen, gesucht wird.
Wie hast Du diesen persönlichen Kontakt zu Deinen Abonnenten erlebt?
Anfangs war das für mich ganz toll. Das war etwas Neues für mich. Ich kannte es nicht, dass mich jemand als sexy empfunden hat oder mir Komplimente macht. Ich habe auch mit vielen anderen Creatorinnen gesprochen, die genauso empfunden haben. Gerade für Menschen mit einem etwas alternativeren Style war das ein schönes Gefühl. Aber das sind einfach nur irgendwelche Menschen, die etwas von dir wollen. Mehr steckt da nicht dahinter. Das musst Du aber erst einmal verstehen. Ein großes Problem waren die, die Deine Grenzen überschritten haben. Als Domina war es für mich sehr leicht, Flirtversuche und Ähnliches abzublocken, aber wenn Du Dich bei OnlyFans mal im Ton vergreifst, dann ist das Abo halt weg. Du bist abhängig davon, dass sie bleiben. Mir wurden teilweise so schlimme Dinge erzählt, teilweise Illegales, teilweise Traumatisierendes. Du bist da teilweise so ein richtiger emotionaler Mülleimer. Ich kenne aber auch Frauen, bei denen Hacker versucht haben, ihre Klarnamen oder Adressen herauszufinden. Nicht wenige haben richtige Stalker gehabt.
Konntest Du dagegen über die Plattform etwas machen?
OnlyFans steht immer auf der Seite des Kunden. Ein Beispiel: Du schickst etwas Persönliches gegen Bezahlung an einen Kunden. Dessen Frau bekommt es mit und er zieht das Geld wieder zurück. OnlyFans hilft dir da nicht weiter. Du wirst da komplett mit alleine gelassen.
Wann war für Dich der Punkt erreicht, an dem Du gemerkt hast: Okay, ich kann das hier so nicht weitermachen?
Dafür muss ich ein wenig ausholen: In meinen vier Jahren in der Branche hatte ich mindestens einen Zusammenbruch pro Jahr. Ich habe mehrfach meinen Namen geändert, meine inhaltliche Ausrichtung überdacht. Ich konnte aber einfach nicht aufgeben, weil ich immer das Bild der finanziell gut aufgestellten Frauen vor mir hatte. Ich habe in London viele reiche Dominas und Models kennengelernt.
Dazu kam – und damit spielt OnlyFans auch ein Stück weit –, dass mein ganzes Material ja bereits online war. Mein letzter Zusammenbruch hing dann mit dem Ende meiner Beziehung zusammen. Ich war damals mit einem Loverboy zusammen, also einem Mann, der mich als Sprungbrett in die Industrie benutzt hat. Ich habe das erst sehr spät gemerkt. Durch Missbrauchserfahrungen und Traumata aus der Kindheit wusste ich überhaupt nicht, was gesund ist. Als ich verstanden habe, dass das absolut schädlich ist, habe ich angefangen, viele Dinge in meinem Leben zu analysieren. Warum ich immer wieder in diesen toxischen Zyklus gerate.
Und das war bei Männern und in der Industrie ähnlich: Erst sind sie supernett zu dir, wollen Dich unbedingt buchen und dann wird es total krass und widerlich. Dann bekommst Du Dein Geld und fühlst Dich wertgeschätzt. Ich hatte bei OnlyFans richtig gute Monate, in denen ich bis zu 10.000 Euro verdient hab. Dafür habe ich dann aber auch sehr hart gearbeitet und nicht wirklich gelebt. Diese vier Jahre Sex-Industrie waren für mich so was wie ein verzweifelter Versuch, mitzumachen.
Um auf die Frage zurückzukommen: Diese Erkenntnis war dann damals wie ein Aufwachen. Ich habe mein ganzes Leben aus einem Trauma heraus gehandelt und hatte nie gelernt, was überhaupt gesunde Sexualität ist, was Grenzen sind. Dass es eben nicht darum geht, irgendwie alles aushalten zu müssen.
Du hast es schon angesprochen: Dein Content ist im Netz – und das vergisst nicht. Wie gehst Du heute damit um?
Das alles löschen zu lassen ist sehr schwierig und kostet viel Geld. Allein mich damit auseinanderzusetzen, triggert mich schon sehr. Denn dafür müsste ich die Namen verraten, unter denen ich damals produziert habe, und so was. Deswegen ist es mir aber auch so wichtig, darüber zu sprechen.
Ich möchte mich nicht dafür schämen, was ich gemacht habe. Aber uns wird gerade verkauft, dass die Gesellschaft überhaupt kein Problem mit so was hat, und solange Du in der Branche tätig bist, will das vielleicht so sein, aber danach ist das ein ganz anderes Thema.

Mich haben teilweise ehemalige Klassenkameraden angeschrieben, die Content von mir im Internet gefunden haben. Deswegen finde ich es krass, dass mittlerweile viele Frauen auch OnlyFans unter ihrem Klarnamen nutzen. Diese ganze Normalisierung gefährdet Frauen! Ich lebe mittlerweile in einem ganz kleinen Ort, trage überhaupt kein Make-up mehr – früher war ich ja richtig zurecht gemacht – und habe bis heute Probleme damit, wenn mich jemand zu lange ansieht. Gerade in London, wo ich ja zu der Zeit gelebt hatte. Ich tu mir da bis heute schwer mit.
Warum ist es dir so wichtig, darüber zu sprechen?
Weil ich mir damals jemanden wie mich gewünscht hätte. Es muss kritische Stimmen geben. Wir sprechen von „Sexwork is work“, und darüber ist dieser Feminismus- und Antidiskriminierungs-Bogen gespannt. Du darfst das nicht kritisieren. Wenn Aussteigerinnen aus der Branche von ihren Erfahrungen berichten, gibt es hier in Deutschland Gegendemonstrationen. So was triggert mich extrem schnell, ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Deswegen war es für mich unumgänglich, dass ich heute das mache, was ich eben tue. Ich habe jetzt diese Umgebung verstanden, die es mir so leicht gemacht hat, da reinzurutschen und zu denken, dass das alles gut wäre. Heute weiß ich, dass es das nicht war.