Die „Vault Bar“ nahe des Hackeschen Marktes ist eine Hommage an die Goldenen Zwanziger und überrascht mit betörendem Ambiente sowie ungewöhnlichen Drinks.

Je geheimnisvoller etwas erscheint, desto größer ist manchmal sein Reiz. In Dan Browns verfilmtem Thriller „Sakrileg“ taucht ein sogenanntes Kryptex auf, das angeblich von Leonardo da Vinci erfunden worden sein soll. Das kleine mysteriöse Gerät, in dem geheime Nachrichten oder Gegenstände aufbewahrt werden können, gibt seinen Inhalt nur preis, wenn man das entsprechende Passwort kennt. Selbstverständlich setzt Dan Browns Protagonist Robert Langdon, Symbolforscher und Professor an der Harvard University, alles daran, den geheimen Code zu knacken.

Auch in Berlin-Mitte gibt es einen geheimen Raum, zu dem man sich nur mit einem vierstelligen Zahlencode Zugang verschaffen kann. Dort gibt es zwar kein Kryptex, denn das ist die Erfindung von Dan Brown und kommt nur in seinem Thriller vor. Geheimnisumwoben wirkt die Chambre séparée dennoch. Zugehörig zur „Vault Bar“ in der Oranienburger Straße, entdeckt man den kleinen Raum nur, wenn seine Tür ausnahmsweise geöffnet ist. Doch das, so sagt der Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der „Vault Bar“, Andrei Borisik, passiere nur, wenn alle anderen 65 Sitzplätze der „Speakeasy-Bar“ besetzt sind. Ob alle Gäste ahnen, dass der große gerahmte Kunstdruck der Art-déco-Malerin Tamara de Lempicka in Wirklichkeit eine Schiebetür ist und sich dahinter ein Séparée befindet? Vielleicht haben sie sich bislang zu sehr von dem Porträt der Femme fatale mit dem kühlen Blick und dem fließenden, weißen Abendkleid blenden lassen.

So Nostalgisch wie exklusiv
An diesem Abend jedoch gibt Andrei Borisik die geheime Zahlenkombination ein. Der Sesam öffnet sich und hinter dem Bildmotiv, das Tamara de Lempicka 1930 malte, zeigt sich der Secret Room und lädt zum Bestaunen ein. Bis zu 13 Gäste können dort Platz finden. Ich lasse mich auf der in scharlachrotem Samt gepolsterten, äußerst bequemen Eckbank nieder und lasse die Atmosphäre auf mich wirken. Über meinem Kopf ist ein nostalgisches Telefon in die Wand montiert. Bei dem Fernsprecher muss es sich um einen Apparat aus derselben Zeit handeln, als sich die polnische Art-déco-Malerin mit dem besagten Porträt verewigte. Wir erfahren, dass das schmucke Objekt noch voll funktionstüchtig ist. Wer den Raum bucht, kann über das Vintage-Telefon Bestellungen beim persönlichen Barkeeper aufgeben. Kurze Zeit später werden die Drinks auf einem goldenen Servierwägelchen in den VIP-Room geschoben. Ich fühle mich wie in einer Filmkulisse in den Goldenen Zwanzigern. Oder ist es schon der Übergang zwischen den späten 1920er- und den frühen 1930er-Jahren wie in der Filmserie „Babylon Berlin“?

Wie auch immer, das gesamte Ambiente der Bar wirkt ebenso nostalgisch wie exklusiv. Der Esprit der besagten Epoche zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Bar, selbst das edle Interieur der Toilettenräume liest sich wie eine Hommage an die ausgelassene Eleganz der damaligen Zeit. In den beiden „offiziellen“ Gasträumen laden mit grünblauem Samt bezogene Sessel an kleinen Couchtischen zur geschmeidigen Abendentspannung ein, während hinter der schmucken Bar Andrei Borisik und sein Team Cocktails zaubern.
Bühne für DJs am Wochenende

Der aus Belarus stammende Wahl-Berliner bringt mehr als 18 Jahre Erfahrung als Barkeeper und Flairbartender mit. Bei meinem ersten Besuch in Andrei Borisiks Bar bin ich bereits in den Genuss seiner spektakulären Show gekommen. Dabei balancierte er eine gefüllte Ginflasche auf der Stirn, während er gleichzeitig drei Sektflaschen durch die Luft wirbelte und behände wieder auffing, ohne dass dabei auch nur irgendetwas zu Bruch ging. Auf die gekonnte Jonglage folgte noch eine nicht weniger beeindruckende Feuershow. Vom Fieber dieser besonderen Kunst gepackt, nahm er an mehreren Wettbewerben teil und errang im Jahr 2018 einen Titel als Deutscher Meister im Flairbartending.

Andrei Borisik machte seine Ausbildung als Bartender unter anderem in der Barschule des legendären „Reingold“ sowie im polnischen Warschau. Zurück in Berlin waren weitere Stationen die „Torbar“ und das „Prinzipal“. An der Mecklenburgischen Seenplatte war er im Schlosshotel „Fleesensee“ tätig. Mit seinem gastronomischen Repertoire richtete er in der ganzen Welt Messen und Events aus, so unter anderem beim Formel-1-Rennen in Monaco. Ein besonderes Erlebnis war für ihn auch ein Job im Jahr 2012 in der ghanaischen Hauptstadt Accra, als er dort die Geburtstagsfeier des damaligen Ministerpräsidenten ausrichtete.
Mehr als zehn Jahre nach der Geburtstagsfeier in Afrika verwirklichte der umtriebige Bartender und Familienvater seinen Traum von der eigenen Cocktail-bar, die Ende 2023 ihre Pforten öffnete. Seitdem verwandelt sich die Bar nahe des Hackeschen Marktes am Wochenende in eine Bühne für DJs, Live-Acts und die schon erwähnten spektakulären Barshows mit und ohne Feuer.
Das Besondere zeigt sich im Detail

Auch unter der Woche ist Andrei Borisiks Location einer der Orte, an denen man entspannt den Abend ausklingen lassen kann. Bei meinem ersten Besuch war ich schon begeistert von der ungewöhnlichen Kreation „Sesame Street“: Dabei handelt es sich um einen mit Sesam und Mandeln infundierten Mezcal, der mit Calvados, einem Schuss Riesling, Honigmelonensirup und ein paar Spritzern Limette zu einem rauchig-fruchtigen Geschmackserlebnis wird. Dabei erfahre ich, dass die Zutaten der Drinks eine „second chance“ erhalten. Das Ganze ist inspiriert von der Idee, die Ingredienzien auf kreative Weise wiederzuverwerten und Verschwendung zu minimieren. Anstatt einfach neue Rohstoffe zu verwenden, setzt das Team auf Techniken, um bestehende Zutaten neu zu interpretieren und ihnen ein zweites Leben zu schenken. Umgesetzt wird das zum Beispiel bei „Sesame Street“, bei dem die ausgekochte Honigmelone getrocknet und als Chip serviert wird. Ein Hoch auf die Kreationen und die mitgedachte Nachhaltigkeit!

Bei meinem zweiten Besuch habe ich unseren Fotografen im Schlepptau. Andrei Borisik zaubert dieses Mal einen herzhaften, kräftigen Drink mit einem Wodka, der mit Schinkenspeck infundiert wird, hinzu kommt noch Fino Sherry. Der Mixologe lässt die Cocktailkreation mit einem Flavourblaster ordentlich dampfen und legt dann einen knusprigen Bacon-Chip als überraschendes Finish on top. Nicht nur das Spektakel überzeugt, sondern auch das Geschmackserlebnis von „Savory on the Rocks“ steht dem Drink in nichts nach.

Rundum begeistert sind der begleitende Fotograf und ich von der Tiefe und Vielschichtigkeit des „Forest Whisperer“, der mit einem angesengten Tannenzapfen serviert wird. Basis des Waldflüsterers ist dunkler Rum, aufgepeppt mit Walnussbitter, Ahornsirup, Aprikosen- und Bananenlikör. „Hmm, im ersten Moment schmeckt er fruchtig und erfrischend und dann plötzlich rauchig“, formuliert mein fotografierender Begleiter überaus treffend. Ich könnte mich noch stundenlang durch weitere innovative Signature-Drinks und andere Cocktailkreationen nippen, aber das würde mir meine Leber nicht verzeihen. So trinke ich den Rest des Abends noch einen nullprozentigen, doch äußerst aromatischen wie dezent bitteren Virgingroni mit Bitter Aperitivo, Martini Vibrante und Mampe Gin.
Bevor uns Andrei Borisik ein letztes Mal an diesem Abend einen Drink zaubert, verziert er noch einmal einen der Eiswürfel mit dem pittoresken Schlüssellogo der „Vault Bar“. Dazu legt er das Eis auf eine Art Metallstempel, bis sich das Muster in die Oberfläche gräbt. In Andrei Borisiks Bar zeigt sich das Besondere tatsächlich bis ins kleinste Detail.