Deutschlands witzigster Medienkritiker Oliver Kalkofe beobachtet die Medienlandschaft noch immer äußerst genau. In seinem neuen Buch wendet er sich gegen den „Sieg der Blödigkeit“.

Radiomoderator, Zeitungskolumnist, Autor des ARD-Podcasts „Kalk & Welk“ (mit Oliver Welke), Drehbuchschreiber und seit 30 Jahren Produzent und Hauptdarsteller von „Kalkofes Mattscheibe“, in der er TV-Pleiten aufs Korn nimmt: Oliver Kalkofe ist Deutschlands wohl witzigster Medienkritiker. Kein Fernseh-Desaster, das ihm entgeht – von Jens Riewas Tagesschau-Versprechern über Achim Mentzels Moderationsversuche bis hin zu Schlagern von den „Amigos“. Kalkofes Parodien sind legendär und wurden unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Insbesondere in „Kalkofes Mattscheibe“ (Premiere, Tele 5, heute KalkTV) zeigt der Wahl-Berliner den Qualitätsverfall im deutschen Fernsehen und parodiert dessen Protagonisten.
In seinem neuen Buch „Sieg der Blödigkeit – Ist die Vernunft noch zu retten?“ fasst er das Thema allgemeiner und bezieht den Niveauverfall nicht nur aufs Fernsehen. Kernaussage: „Ein Hirn zu haben und es auch zu benutzen, ist keine Schande und schadet nicht einmal dem Klima.“ Gleichzeitig fragt sich der Zehlendorfer: „Wieso ist unser schönes Gehirn so eine verdammt faule Sau geworden?“ Und warum werden „belanglos bumsbanale Reality-TV-Formate“ überhaupt ausgestrahlt?
Ein paar Antworten gibt es im Interview: „Fernsehen sucht zu oft den einfachsten gemeinsamen Nenner und richtet sich nach dem Dümmsten aus, was dann zu allgemeiner fortschreitender Blödigkeit führt“, moniert Kalkofe. Gefakte Dokus, also das gespielte Echte, würden nicht nur schlichte Gemüter für bare Münze nehmen. Das Ergebnis: Viele TV-Konsumenten benehmen sich dann auch im wirklichen Leben wie vermeintliche Fernseh-Vorbilder. „Die Veränderung von sozialem Verhalten ist die Folge“, so die Beobachtung des gebürtigen Niedersachsen.
In Sachen Medienbildung würde der Komiker bereits in der Schule ansetzen: „Ein Schulfach Medienkunde ist so überfällig wie zwingend notwendig. Sich durch TV-Programme, aber auch durch Social Media, zu navigieren und das Echte vom Fake zu unterscheiden, wird immer schwieriger.“

Ob ARD, ZDF oder das Privatfernsehen: Viele sahen Oliver Kalkofe anfangs als „Nestbeschmutzer“, der die gesamte TV-Branche durch den Kakao zieht. Da steht der 59-Jährige längst drüber. Denn seine „Mattscheibe“ genießt mittlerweile Kultstatus und läuft auf Youtube (KalkTV). „Ich kann heute immer noch alles sagen, ohne Rücksicht zu nehmen auf irgendwelche Befindlichkeiten.“
Nicht alle, die er aufs Korn nahm, verstanden den Spaß, darunter Schlager-Duos wie Judith & Mel und Die Amigos. „Zuletzt waren Die Amigos richtig sauer. Sie meinen es mit ihren Songs und Texten ja grundehrlich, verstehen aber nicht, dass man ihre Auftritte auch merkwürdig finden kann. Dazu fehlt ihnen leider die Selbstironie.“ Auch Mel Jersey von Judith & Mel (bürgerlich: Eberhard Karl Alfons Jupe) habe sich bei Programmchefs mehrfach über Oliver Kalkofes Schelte beschwert. Der kritisiert wiederum, dass Lachen in Deutschland verpönt sei. Viele würden Spott auch zu persönlich nehmen. „Lachen bedeutet ja nicht zwangsläufig Auslachen“, so Kalkofe.
„Dazu fehlt ihnen leider die Selbstironie“

Einen, den er anfangs auch verschaukelte, war Brandenburgs Volksmusikant Achim Mentzel (1946 – 2016). Der präsentierte im MDR „Achims Hitparade“. Haken an der Sache: Moderieren konnte der Spreewälder eigentlich nicht, als Sänger Stimmung machen aber durchaus. Für Oliver Kalkofe war das ein gefundenes Fressen. Doch Mentzel nahm die Kritik in „Kalkofes Mattscheibe“ locker und sich selbst nicht so wichtig. In den Kulissen seiner volkstümlichen „Hitparade“ tauchten plötzlich Schultafeln mit Sätzen wie „Kalki ist doof“ auf. Die Frotzeleien gingen dann in den Sendungen beider eine Weile hin und her.
„Am Ende rief ich ihn einfach an und es entwickelte sich eine echte Freundschaft. Achim wurde für mich zum Vorbild. Er nahm sein Publikum ernst, auch wenn er wohl nicht immer von dem überzeugt war, was er tat. Ursprünglich war Achim ja Rockmusiker. Für mich war er einer der coolsten Typen, die ich kennenlernen durfte. Später hat er mir den Osten nähergebracht“, erinnert sich Kalkofe, der Mentzel auch in dessen Cottbuser Haus besuchte. „Auf unserer Ost-West-Tournee zeigte mir Achim seine Heimat und ich ihm umgekehrt meine.“

Stimmungskanone Achim Mentzel galt zu Lebzeiten als echtes Unikum, wie sich Oliver Kalkofe im Gespräch erinnert. 1973 flüchtete er nach einem Auftritt in West-Berlin in die Bundesrepublik und wohnte im Saarland in der Nähe seiner Cousine. Mentzel war der Sohn einer Saarländerin und eines französischen Besatzungssoldaten. Doch nach nur wenigen Monaten kehrte er freiwillig in die DDR zurück. Recht schnell hatte der Sänger offenbar erkannt, dass im damaligen Kulturbetrieb-West mit viel härteren Bandagen gekämpft wurde. Neben seiner Musik musste sich Mentzel im Saarland unter anderem mit einem Job als Schweißer über Wasser halten. Seine Gefängnisstrafe wegen Republikflucht wurde in der DDR zur Bewährung ausgesetzt.

Heute kennt sich Oliver Kalkofe im Osten Deutschlands vor allem rund um Potsdam aus. „Das liegt auf der Hand, da es bei uns in Berlin-Zehlendorf gleich um die Ecke liegt. Schlosspark Babelsberg, Glienicker Brücke und natürlich Potsdam selbst, die brandenburgische Landeshauptstadt, schätzen meine Frau und ich sehr. Bleibt Zeit, starten wir im Boot zu einer Sieben-Seen-Tour in und um Potsdam“, so der Comedian, der auch mal einige Jahre am Berliner Ku’damm wohnte.
Der frühere Osten sei ihm aus seiner Jugend auch übers Fernsehen vertraut. Denn in Peine, wo er aufwuchs, empfing man beide DDR-Sender: „Wir sahen ‚Willi Schwabes Rumpelkammer‘ mit den schönen alten UFA-Schinken, den ‚Schwarzen Kanal‘, ‚Kessel Buntes‘ und durchaus gute Filme.“ Auffällig für den satirischen TV-Beobachter: Die Ost-Synchronisation internationaler Streifen sei oft die bessere gewesen. Die Stimmen der ostdeutschen Sprecher hätten oft näher an ihren Originalen gelegen, erwähnt die Ulknudel.

Am Ende der lockeren Plauderei geht es noch um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und GEZ-Gebühren, mit denen er von Zuschauern finanziert wird: „Natürlich muss das erhalten bleiben, denn die Öffentlich-Rechtlichen sind wichtig. Aber sie sind stark renovierungsbedürftig. Gelder werden schlecht ausgegeben, die Struktur ist überbürokratisiert“, moniert der Drehbuchautor und Mime der Edgar-Wallace-Parodien „Der Wixxer“ und „Neues vom Wixxer“.
„Die Sender sollten in Programme investieren und mehr wagen. Es bleibt vieles immer gleich, weil es gut funktioniert“, so der gelernte Fremdsprachenkorrespondent. Man schaue zu sehr auf Quote, statt auf Qualität. Oliver Kalkofe bezweifelt außerdem Notwendigkeit und Sinn gleich mehrerer Infokanäle, darunter tageschau 24, Phönix und ARD alpha.
„Marktschreier der Moderne“

Ganz zum Schluss läuft er noch mal zu Hochform auf, als er sich über Influencer echauffiert. Bei den „Pseudo-Stars der Nichtigkeit“ handele es sich um „mental minderbemittelte Marktschreier der Moderne, die trotz vorgetäuschter Bedeutsamkeit nichts anderes als ganz normale Durchschnitts-Nulpen von nebenan“ seien. Sie könnten zwar nichts, sind „wegen der hohen Userzahlen aber derart tief von der eigenen Beliebtheit ergriffen, dass sie sich für die Einblicke in die Ödnis ihrer Existenz frenetisch feiern und fürstlich bezahlen lassen.“
Im Buch „Sieg der Blödigkeit – Ist die Vernunft noch zu heißt es zum Thema Influencer außerdem: „Sie ziehen ihren treudoofen Fans und Followern, die ihnen wie liebestolle Lemminge freiwillig beim hirnlosen Hechtsprung in den intellektuellen Abgrund folgen, einfach die Knete aus der Hüfte.“
1965 in Engelbostel bei Hannover geboren, wuchs Oliver Kalkofe in Peine auf. „Peine war gegen Engelbostel wie New York“, erinnert sich der Barde schmunzelnd. Seine erste Mikrofon-Erfahrung habe er im Möbelhaus des Vaters gemacht: mit der Ansage, dass das Café des Einrichtungshauses geöffnet habe. Ein paar Jahre später verdient er gleich mit seinem ersten zehnminütigen Radiobeitrag 700 Mark, weshalb er sich bald voll auf diese Arbeit konzentriert. Aufs Radio folgt das Fernsehen. Oliver Kalkofe scheint noch heute darüber zu staunen: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zum Fernsehen komme.“
Seinen Durchbruch schafft er später mit „Kalkofes Mattscheibe“ beim damaligen Bezahlsender Premiere. Hier parodiert er den täglichen TV-Wahnsinn, entlarvt Dilettanten und kritisiert Programme. Dies alles lernte er als Autodidakt, wie er verrät. Kalkofe: „Zuvor hatte ich nie parodiert.“