Hollywoodstar Milla Jovovich über ihre Hexen-Rolle, ihre Vorliebe für Mythen und Märchen, ihren langen Weg zur Selbstfindung und darüber, welcher ihrer größten Wünsche noch nicht in Erfüllung ging.
Mrs. Jovovich, vor sieben Jahren hatte Ihr Mann Paul die Idee, die Kurzgeschichte „In the Lost Lands“ von George R. R. Martin zu verfilmen. Warum hat es so lange gedauert, bis der Film in die Kinos kam?

Ich bin ein großer Fan von George R. R. Martin und habe alles von ihm gelesen, nicht nur seine „Game of Thrones“-Romane. Mir hat „In the Lost Lands“ auf Anhieb sehr gefallen. Allerdings gab es Probleme mit den ersten Drehbuchfassungen. Also haben Paul und ich uns viel Zeit genommen, an einer eigenen Fassung gearbeitet und die Geschichte weiterentwickelt. Wichtig war uns vor allem, einen stilisierten, intensiven Look für diese postapokalyptische Welt zu erschaffen. Und eine Atmosphäre, die der düsteren Vorlage gerecht wird.
„In the Lost Lands“ ist ein großartiges Fantasy-Abenteuer, aber im Kern doch eher ein Märchen, oder?
Ja, und genau das war es, was mich für das Projekt begeistert hat. Ich hatte schon immer ein Faible für Mythologien und Märchen. Als Kind habe ich tagsüber sehr oft im Fernsehen Cartoons gesehen und abends Märchen gelesen. Ich habe sie regelrecht verschlungen. Und sie waren unheimlich und gruselig. Aber das hat mir damals überhaupt nichts ausgemacht, da ich ja wusste, dass es immer ein Happy End geben würde. Deshalb war ich auch sehr überrascht, dass meine zehnjährige Tochter Dash sich davor fürchtet Märchen zu lesen. Diese Geschichten sind ja oft mit religiöser und mythischer Ikonographie aufgeladen, auf die Kinder heutzutage viel sensibler reagieren. Mich hat das als kleines Mädchen eher fasziniert. Seit ich Schauspielerin bin, habe ich mir gewünscht, in einem Märchen mitzuspielen und einmal eine mythische Figur darzustellen. So wie jetzt die Hexe Gray Alys.

Sie sehen als Hexe sehr anziehend aus. Und Sie haben, wie man hört, viele der spektakulären Stunts tatsächlich selbst gemacht. Wie halten Sie sich denn so fit?
Vielen Dank für das Kompliment. Gray Alys sollte absolut fantastisch aussehen. Sie ist eine so einzigartige, total unkonventionelle Figur, wie man Vergleichbares noch nie auf der Leinwand gesehen hat. Und was die Stunts betrifft: Für die Stunts, die in der Totalen gedreht wurden, hatte ich ein wunderbares, 23-jähriges Stunt-Double. Ich konzentrierte mich also diesmal mehr auf die Nahaufnahmen und habe mich vor allem um die Choreographie der Stunts gekümmert. Im Laufe meiner Karriere habe ich schon so viele Stunts selbst gemacht, dass ich in meinem Alter – und als Mutter von drei Kindern – niemandem mehr etwas beweisen muss. Außerdem habe ich mir im Laufe der Zeit wirklich genügend Verletzungen eingehandelt. Was ich bei diesem Projekt vor allem mit einbringen konnte, war meine Vision: wie meine Figur aussieht, wie sie agiert und was sie ausstrahlt. In vielen Action-Filmen sind die Stunt-Einlagen ziemlich willkürlich und passen oft nicht zum Charakter der jeweiligen Figur. Bei diesem Film habe ich alle Action-Sequenzen maßgeschneidert an die Figuren und die Story angepasst.

Der Film zeigt auch, wie gefährlich es sein kann, sich etwas zu wünschen. Verraten Sie uns doch Ihren größten Wunsch, der in Erfüllung ging – und den, der sich nicht erfüllt hat.
Das ist eine sehr tiefgründige Frage. Ich glaube, dass sich jede Mutter wünscht, dass es ihren Kindern, ihrer Familie gut geht. Soweit ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich habe nämlich wirklich eine sehr glückliche und enge Bindung an meine Familie. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Und ein Wunsch, der bisher noch nicht wahr wurde … Ich habe noch keine magische Tür im Wald gefunden, durch die ich in eine andere Welt eintreten kann. Lachen Sie nicht! Ich bin total davon überzeugt, dass es sie gibt und ich sie bis heute nur noch nicht entdeckt habe.

Im Laufe Ihres Lebens haben Sie als Künstlerin viele Metamorphosen erlebt: Vom Top-Model zur Singer-Songwriterin, zur Fashion-Designerin, zur Schauspielerin. Was war da die treibende Kraft? Hat allein das Wünschen geholfen? Oder war es Zufall? Glück?
Auch das ist eine interessante Frage, über die ich mir selber viele Gedanken mache. Was treibt mich an im Leben? Anfangs war es wohl der Wunsch, etwas zu haben, das meins ist. Meine Mutter, müssen Sie wissen, war eine hervorragende Schauspielerin in der früheren Sowjetunion. Deshalb war ich oft sehr unsicher, was mein Talent als Schauspielerin betraf, wenn ich mich mit ihr verglich. Also habe ich mich intensiv der Musik zugewandt. Ich liebe es, zu singen, Gitarre zu spielen und meine eigenen Songs zu schreiben. Mit meiner Musik konnte ich mich künstlerisch sehr gut entfalten. Ich konnte damit meine Gefühle viel direkter ausdrücken und sie meinem Publikum unmittelbar mitteilen. Das war etwas, das meine Mutter nicht konnte. Musik ist auch heute noch meine große Leidenschaft. Denn in meinen Songs offenbare ich meine Gedanken, meine Träume, meine Sorgen – so, wie ich bin.#

Warum haben Sie dann Ihre Musik-Karriere – nach zwei CDs und einer Handvoll Singles – aufgegeben?
Weil ich nicht kommerziell genug war. Ich war ja auch mit meinen 19 Jahren noch sehr jung. Als ich dann wieder die Möglichkeit bekam, als Schauspielerin zu arbeiten, habe ich die Chance sehr gerne angenommen. Damals habe ich auch gelernt, mir selbst zu vertrauen und an mich zu glauben.
Dann spielten Sie in Luc Bessons Film „Das fünfte Element“ die Hauptrolle Leeloo …
… und das hat meinen Entwicklungsverlauf extrem verändert. Durch diese Rolle habe ich definitiv zu mir selbst gefunden. Damals war ich ja noch mit Luc verheiratet. Und er gab mir einen sehr guten Rat. Er sagte: „Milla, deine Mutter macht die besten Tische der Welt. Niemand kann das so gut wie sie. Aber du, du machst die besten Stühle!“

Haben Sie sich trotzdem viel von Ihrer Mutter abgeschaut?
Oh ja, meine Mutter war immer ein großes Vorbild für mich und ist es eigentlich heute noch. Und sie ist eine ganz fantastische Oma für meine drei Töchter. Nach der Scheidung meiner Eltern – da war ich gerade einmal fünf – war sie lange Zeit die wichtigste Bezugsperson in meinem Leben. Sie war ein liebevoller Tyrann mit einem großen, russischen Herzen! Und wenn das Geld mal wieder hinten und vorne nicht gereicht hat, ist sie einfach Putzen gegangen. Dafür war sie sich nie zu schade. Und sie schickte mich – obwohl wir knapp bei Kasse waren – zum Tanz- und Schauspielunterricht. Das werde ich ihr nie vergessen.
Ein weiteres Herzstück Ihrer Karriere sind die sechs „Resident Evil“-Filme. Da haben Sie als Zombie-Jägerin Alice einen neuen Typus von Heldin kreiert …
… worauf ich ziemlich stolz bin. Ich liebe Alice. Sie ist so cool und unabhängig. Manchmal erinnert sie mich ein bisschen an meine Lieblingskinoheldin Ripley aus den „Alien“-Filmen, die Sigourney Weaver so toll darstellt.

Welche ist denn die beste Rolle, die Sie jemals gespielt haben?
Ich hoffe sehr, dass ich meine beste Rolle noch spielen werde. Ich verändere mich doch ständig. Und ich würde mir wünschen, dass ich das auch in meinen Rollen sichtbar machen kann. Im Leben gibt es doch immer wieder Perioden, in denen man sich fantastisch fühlt, und dann ist man wieder am Boden zerstört. Ich schaue mir meine eigenen Filme eigentlich sehr selten an. Und wenn, dann denke ich oft: „Das hättest du besser machen können.“ Ich bin da durchaus sehr selbstkritisch. Meist gefallen mir eher einzelne Szenen. Zum Beispiel die, wie Leeloo in „Das fünfte Element“ aufwacht – das kann ich mir immer wieder anschauen.
Selbstkritik ist doch für jeden Künstler essenziell, wenn er kreativ bleiben will.
Absolut. Und ich bin auch oft wahnsinnig unsicher. Vor jedem neuen Film bin ich vor Angst wie versteinert. Ich habe auch festgestellt, dass ich mich unbewusst schon Monate vor Drehbeginn verändere. Ich fange zum Beispiel an, mich anders zu kleiden. Weil die alten Klamotten nicht mehr zu mir passen. Oder gehe zum Frisör und lasse mir die Haare schneiden. Wenn ich dann zurückschaue, weiß ich plötzlich, warum ich das gemacht habe. Ich habe mich so auf die neue Rolle vorbereitet. Ist das nicht verrückt?
Empfinden Sie als Schauspielerin eigentlich den mittlerweile fast normalen Einsatz von Künstlicher Intelligenz als Bedrohung? Und was würden Sie tun, wenn Ihnen in naher Zukunft ein Milla-Jovovich-Avatar begegnete?
Den Einsatz von KI kann man wohl nicht mehr aufhalten. Da sind wir alle machtlos. Leute wollen damit Geld machen – und sie tun alles, damit das auch funktioniert. Ich glaube aber, dass das, was wir Menschen in die Schauspielerei einfließen lassen, nie kopiert werden kann. Vor allem nicht die Spontaneität. Das ist der unbekannte Faktor. Man kann alle Filme, die ich je gemacht habe, hernehmen und daraus einen Milla-Avatar machen. Aber sie können mich nie wirklich erreichen. Denn in meinem nächsten Film mache ich wieder etwas ganz anders. Und überrasche mich auch selbst damit. Das ist auf jeden Fall mein Anspruch. Wir verändern uns doch nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Das Wesen der Schauspielerei ist doch, wie ich auf mein Gegenüber reagiere. In diesem einzigartigen Augenblick. Und der ist unkopierbar.
Beschreiben Sie sich bitte noch – ohne lange nachzudenken – mit vier Worten.
Neugierig, empathisch, loyal … Ahh, das letzte Wort ist das schwierigste … Ständig in Bewegung!