Sie stammt aus einem Bergbaunest in Südwales und wird als weibliche Antwort auf Rod Stewart gehandelt. Mit Bonnie Tyler alias Gaynor Hopkins, die kommendes Jahr 75 wird, sprachen wir über zeitlose Songs, eine geheime Zusammenarbeit mit Superstar Lenny Kravitz und die Stärken der Frauen.

Mrs. Tyler, ist die Konzertbühne für Sie ein Ort, der Ihnen Kraft gibt?
Ja, das tut sie. Ich habe eine tolle Band mit fantastischen Musikern. Und wir sind alle gute Freunde. Die Jungs sind jetzt schon seit vielen Jahren dabei. Es ist immer toll, mit ihnen zusammen zu sein. Wir kommen in der Regel am Vorabend eines Auftritts an und essen gemeinsam zu Abend. Und dann sind wir alle bereit für die Show am nächsten Tag. Wissen Sie, ich hatte eine Operation am Knie und kann es kaum erwarten, wieder auf die Bühne zu gehen. Ich habe keine neue Kniescheibe bekommen, ich musste sie nur irgendwie auswaschen lassen. Da waren ein paar Knochensplitter drin.
Vieles von dem, was man heute in Konzerten hört, ist gar nicht mehr live. Wie ist das bei Ihnen?
Natürlich gibt es ein paar Backing Vocals, die meinen Jungs unter die Arme greifen, aber sie sind extrem gute Musiker. Auf der Bühne spielen sie live, und ich singe komplett live.
Wie haben Sie Ihre Setlist ausgewählt?
Nun, ich präsentiere meine neue Single „Yes I Can“. Es ist erst das zweite Mal, dass ich sie live aufführe. Das erste Mal war am Silvesterabend in einer großen TV-Show in Deutschland. Seitdem ist dies meine erste Tour. Es gibt ein schönes Video zu dem Song. Es sind auch ein paar Titel vom letzten Album in meiner neuen Show, aber hauptsächlich wollen die Leute die alten Hits hören.
Der Text von „Yes I Can“ stammt von Hannah McNeil. Was an diesem Song hat Sie angesprochen?

Nun, in dem Text steckt sehr viel von mir drin. Ich bin jetzt 73 Jahre alt und mache immer noch das, was ich liebe. Und das Video zeigt viele Fotos von mir, zum Beispiel, wie ich im Alter von 17 Jahren zu singen begann. Jetzt bin ich in meinen 70ern und liebe es nach wie vor, live zu singen. Es hält mich jung.
Wie stellen Sie Wärme her in einem großen Saal oder einer Halle?
Das ist einfach, weil alle kommen, um mich zu sehen. Die Leute haben für ihre Tickets bezahlt und erkennen, dass sie etwas für ihr Geld bekommen. Sie wissen, dass wir nicht nur so tun, als ob. Wir haben wirklich Spaß an dem, was wir tun. Ich sehe immer viele glückliche Gesichter da draußen. Es ist sehr schön, eine Menge treuer Fans zu haben.
In welche Richtung gehen die neuen Songs?
Nun, ich habe einige wirklich gute, brandneue Songs von Terry Britton bekommen. Er hat früher für Tina Turner und Michael Jackson geschrieben. Einer davon ist ein Weihnachtslied und der andere ein wirklich guter Song für jede Zeit des Jahres.
Sie haben mit vielen Größen aus dem Musikgeschäft zusammengearbeitet. Ist es heute schwer, gutes Songmaterial zu finden?
Nun, ich bin immer auf der Suche nach gutem Material. Ich habe eine Menge Songs, die mir von Leuten geschickt wurden, mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe. Was für ein Glück, dass diese großartigen Produzenten im Laufe der Jahre mit mir arbeiten wollten. In den 80ern wollte ich immer mit Jim Steinman gemeinsame Sache machen. Meine damalige Plattenfirma bat ihn in meinem Namen um eine Zusammenarbeit, aber normalerweise fragen die Songautoren mich, ob ich ihr Material singen möchte. Man hielt mich damals für verrückt mit meinem Wunsch. Aber das war mein halt Traum. Ich liebte „Bat Out Of Hell“ von Meat Loaf und Jim Steinmans eigenes Album „Bad For Good“ absolut. Alle waren verblüfft, als er mir 1982 tatsächlich „Total Eclipse Of The Heart“ gab. Er hatte den Song eigentlich für ein Vampir-Musical geschrieben. Mein Gott, das war ein Geschenk für mich gewesen! Unglaublich. Wenn du Träume hast, gib sie niemals auf, denn sie werden eines Tages wahr.

Ihr Album „Free Spirit“ (1995) brachte Sie wieder mit Jim Steinman zusammen, um Coverversionen seiner Songs „Two Out of Three Ain‘t Bad“ und „Making Love (Out of Nothing at All)“ aufzunehmen. Warum war die Platte nicht so erfolgreich?
Ich war damals bei einer anderen Plattenfirma. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich war wirklich enttäuscht über die Art und Weise, wie das Album beworben wurde und alles andere. Es ist ein bisschen schade, denn es ist eine gute Platte. Ich habe dafür sogar ein Duett mit Andrea Bocelli aufgenommen. Und dann sagte meine Plattenfirma zu seiner, dass sie dafür nicht so viel bezahlen wolle, wie verlangt wurde. Also nahm Bocelli das Duett mit jemand anderem auf, einer Deutschen namens Judy Weiss, und es ging direkt auf Platz 1. (Sie beginnt, den Text von „Vivo per lei“ zu singen). Ich habe es sehr bereut, diesen Titel nicht auf meinem Album zu haben.
„You’re the One“ ist eines der Stücke, die Sie für „Free Spirit“ aufgenommen haben. Es wurde von Rudolf Schenker und Klaus Meine geschrieben. Wie war es, mit den Scorpions zusammenzuarbeiten?
Es war gut, ja. Die LP verkaufte sich auch ordentlich, aber sie wurde nicht wirklich als Hit-Album angesehen. Nichtsdestotrotz ist „Free Spirit“ eines meiner Lieblingswerke von mir.
Ihre Coverversion von „Bridge over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel enthielt eine nicht näher bezeichnete Gaststimme. Sie stammte von Lenny Kravitz. Wie kam der Superstar auf Ihr Album?

Das kam zustande, weil wir zufällig im selben Aufnahmestudio auf den Bahamas waren. Mein damaliger Produzent kannte Lenny Kravitz persönlich und bat ihn um eine Gesangseinlage auf meinem Album. Und er hat es wirklich getan. Wegen vertraglicher Verpflichtungen gegenüber seiner Plattenfirma konnte Lenny Kravitz jedoch seinen Namen nicht unter den Song setzen. Es ist eine seltsame Welt, nicht wahr?
Wie viel Zeit Ihres Lebens haben Sie in Tonstudios verbracht?
Oh, eine ganze Menge, ja. Ich habe in New York City gelebt, als ich mit Jim Steinman an zwei Alben gearbeitet habe. Ich liebte es, in den 80er Jahren in New York zu sein. Ich war vor ein paar Jahren wieder dort, aber es ist nicht mehr dasselbe. Jedenfalls war es eine lange Zeit mit Jim Steinman. Die Sache mit ihm ist: Er wusste genau, was er wollte. Aber er nahm sich so viel Zeit. Alles, sogar die Küchenspüle, ging in seine Produktionen ein. Die Art und Weise, wie wir damals aufnahmen, war nicht digital, sondern analog mit Tonbändern. Er benutzte 64 Spuren. Ich arbeitete im Studio mit Musikern von Bruce Springsteens E Street Band. Ich befand mich in einer Gesangskabine, und die Jungs waren in verschiedenen Bereichen des Studios mit Mikrofonen ausgestattet. Wir haben bei jedem Song neun verschiedene Takes eingespielt – und zwar live im Studio. Und dann wählte Jim aus, was er für die beste Version hielt, und parallel dazu gab er mir eine Kassette mit den neun Takes, die ich mir im Hotel anhören sollte, um zu entscheiden, welches mir am besten gefiel. Und am nächsten Tag erzählten wir uns gegenseitig, welchen Track wir für den gelungensten hielten. Bei „Total Eclipse Of The Heart“ haben wir uns dann für die zweite Aufnahme entschieden.
Haben Sie noch die Kassetten mit allen aufgenommenen Takes darauf?
Ich muss sie irgendwo haben. Aber viele Jahre lang hat niemand Kassetten abgespielt. Ich würde so etwas aber nicht wegwerfen. Ich habe hunderte und aberhunderte von Kassetten von vor vielen, vielen Jahren in meinem Archiv. Wenn ich einmal Zeit habe, muss ich sie mir alle noch einmal anhören.
Darunter dürften sich sicher doch einige Schätze befinden.
Ich nehme an, das ist so, ja.
Viele legendäre Sängerinnen und Sänger glauben, dass Sie ihren besten Song noch nicht aufgenommen haben. Wie denken Sie darüber?

Oh, ich hatte so ein Glück, dass Jim Steinman damals zugestimmt hat, mit mir zu arbeiten. Ich könnte mir keine besseren Songs als „Total Eclipse Of The Heart“ und „Holding Out For A Hero“ wünschen. Ich meine, es gibt noch andere Stücke auf dem „Secret Dreams“-Album, die auch gut sind, aber nie diese Anerkennung bekommen haben, zum Beispiel „Ravishing“ oder „Loving You‘s a Dirty Job but Somebody‘s Gotta Do It“, bei dem ich mit Todd Rundgren gesungen habe. Ich habe mit einigen wunderbaren Leuten zusammengearbeitet.
Um stimmlich fit zu bleiben, telefonieren Sie regelmäßig mit Ihrem Gesangs-Coach. Was macht das genau mit Ihrer Stimme?
Wenn ich auf Tour bin, rufe ich ihn jeden Tag an, aber wenn ich zu Hause bin und mich vorbereite, dann nur jeden zweiten Tag. Ich absolviere mit ihm immer 15 bis 20 Minuten Gesangsübungen. Das hat meine Stimme sehr stark gemacht. Viele Leute lieben meine sehr heisere Stimme, aber ich habe festgestellt, dass sie nicht mehr so rauchig klingt wie in den 70er- und 80er-Jahren. Das ist das Ergebnis der Übungen. Meine Stimme klingt jetzt ein bisschen klarer. Ich bin immer noch heiser, wie Sie wahrscheinlich feststellen können, aber ich sehe einen Unterschied zu früher.
Ist es Ihnen wichtig, sich als Sängerin weiterzuentwickeln?
Nachdem ich 1976 an den Stimmbändern operiert wurde und „Lost In France“ aufgenommen hatte, wurde ich viel heiserer. Und anschließend nahm ich „It’s A Heartache“ auf, und es gab es eine Veränderung in meiner Stimme. Im Laufe der Jahre ist sie sauberer geworden. Das muss an den ganzen Übungen liegen, die ich mache.
Müssen Frauen stärker sein als Männer, um sich im „Haifischbecken“ der Musikindustrie durchzusetzen?
Um ehrlich zu sein: Ich denke, dass Frauen generell stärker sind als Männer. Nicht im Sinne von körperlicher Stärke, aber wir können Multitasking, und ihr Männer, ihr blufft nur (lacht). Wir können viele Dinge tun, während ein Mann nur eine Sache auf einmal kann. Frauen sind in dieser Hinsicht stärker. So ist das Leben.