Unwahrheiten verbreiten sich oft schneller als belegbare Fakten. Desinformation wirkt über Emotionen, Wiederholungen und gezielte Manipulation unserer Wahrnehmung. Dr. Pia Lamberty forscht über die psychologischen Konsequenzen von Desinformationen, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien.

Frau Dr. Lamberty, was versteht man psychologisch gesehen unter Desinformation, und warum ist sie so wirkungsvoll?
In der Fachwelt hat sich die Unterscheidung zwischen Falsch- und Desinformation etabliert. Falschinformationen werden unabsichtlich gestreut, es ist das Gerücht, das man hört oder auch vielleicht die falsche Übernahme von Fakten. Desinformation hat dagegen eine Schadensabsicht. Hier werden also mit voller Absicht falsche Inhalte verbreitet.
Generell ist es aber schwierig, die genaue Wirkung von Desinformation nachzuweisen. Das liegt zum einen daran, dass wir – auch aufgrund des schlechten Zugangs zu Daten der Social-Media-Anbieter – einfach nicht wissen, wie viel Desinformation es gibt und wie groß die Reichweite ist. Zudem wird ein Post alleine selten Einstellungen ändern. Wenn aber über lange Zeit immer wieder bestimmte Narrative gefördert werden, muss man schon davon ausgehen, dass es einen Effekt gibt.
Welche psychologischen Mechanismen führen dazu, dass Menschen Falschnachrichten oft für glaubwürdiger halten als Fakten?
Generell kann es uns allen passieren, dass wir falsche Dinge glauben. Das passiert schneller, wenn wir nicht die Zeit oder die Motivation haben, Informationen tiefgründiger zu verarbeiten. In solchen Momenten greifen wir eher auf psychologische Shortcuts zurück, um die Fülle an Informationen zu verarbeiten. Dann kann es beispielsweise passieren, dass wir vor allem Dinge glauben, die eh unsere Meinung bestätigen. Das nennt sich in der Psychologie dann Bestätigungsfehler.
Welche Rolle spielen Emotionen bei der Verbreitung und Annahme von Fake News?
Desinformation arbeitet auch oft mit starker Emotionalisierung. Durch die absichtliche Nutzung starker Informationen treten die Sachinformationen in den Hintergrund, es kann auch dann schneller passieren, dass wir Dinge glauben, die einfach so nicht stimmen. Gezielt genutzte Emotionalisierung kann auch eine Rolle bei Radikalisierungsprozessen spielen.
Wie beeinflussen Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) unsere Anfälligkeit für Desinformation?
Wir Menschen bewerten im Alltag Informationen nicht, wie Wissenschaftler es tun. In der Wissenschaft wird versucht, aufgestellte Hypothesen erst einmal zu widerlegen. Erst wenn es genug Evidenz gibt, geht man davon aus, dass die aufgestellte Hypothese doch zutrifft. Im Alltag suchen wir dagegen Belege für unsere Meinung. Das hilft uns enorm bei der Verarbeitung, macht uns aber auch fehleranfällig. Studien zeigen, dass der Bestätigungsfehler uns auch anfälliger macht, Falschinformationen zu glauben. Umgekehrt hilft aber eine Stärkung des Wissens über solche Fehlschlüsse, Menschen resilienter gegen Falschinformationen zu machen. Das Projekt PreCoBias setzt hier beispielsweise an, um Radikalisierung vorzubeugen.
Sind bestimmte Persönlichkeitstypen oder Altersgruppen anfälliger für Falschnachrichten?
Studien zeigen, dass die Persönlichkeitsmerkmale der sogenannten „Dunklen Triade“ – also Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus – damit zusammenhängen, dass Menschen mehr Falschinformationen teilen. Insbesondere Narzissmus und Psychopathie hängt auch mit einem größeren Glauben an Fehlinformationen zusammen. Auch wenig gewissenhafte Menschen neigen eher dazu, an Fehlinformationen zu glauben.
Politisch gesehen glauben Menschen, die sich politisch rechts positionieren, eher an Falschinformationen – beispielsweise über den Klimawandel. Allerdings kommt es auch ein bisschen auf das Thema an. Wir sehen beispielsweise, dass Russland oder pro-russische Akteure unterschiedliche politische Spektren ansprechen – immer passend zur Zielgruppe.
Welche Rolle spielt die Informationsflut und die Geschwindigkeit sozialer Medien bei der Verbreitung von Desinformation?
Social Media spielt gerade eine größere Rolle bei der Verbreitung. Durch Social Media ist es leichter, falsche Inhalte einem größeren Publikum zuzuspielen. Wie strategisch das beispielsweise von Russland genutzt wird, zeigen verschiedene journalistische Recherchen. Auch wir bei CeMAS konnten verschiedene digitale Desinformationskampagnen im Bundestagswahlkampf identifizieren. Ich finde es allerdings wichtig, die Perspektive zu weiten und zu verstehen, dass gezielte Einflussnahme über verschiedene Kanäle funktioniert. Analoge Versuche der Stimmungsmache werden aktuell zu wenig beachtet.
Warum erinnern sich Menschen oft besser an Falschinformationen als an spätere Korrekturen?
Mittlerweile gibt es Forschungsarbeiten, die zeigen, dass wir durchaus effektiv Falschinformationen korrigieren können – über das sogenannte Fakten-Sandwich (Siehe Infokasten, Anm. d. Red.). Allerdings hat das auch seine Grenzen und zwar da, wo es ideologisch wird. Wer etwas glauben will, wird sich nicht so leicht bekehren lassen.
Welche langfristigen psychologischen Effekte kann der wiederholte Konsum von Falschnachrichten auf das Vertrauen in Wissenschaft, Medien und Institutionen haben?
Akteure wie autoritäre Staaten versuchen darüber, Gesellschaften zu destabilisieren und in für sie vorteilhafte Richtungen zu lenken. Manchmal geht es auch „einfach“ darum, Unsicherheit und Verwirrung darüber zu stiften, was eigentlich wahr ist. Wenn Wahrheit keine Rolle mehr spielt, wird alles beliebig und wir können uns nicht mehr über die Welt verständigen.
Wie kann man sich psychologisch „immunisieren“, um Falschnachrichten besser zu erkennen und ihnen zu widerstehen?
Ich glaube nicht, dass wir Menschen wirklich immun gegen falsche Informationen werden können. Wir alle glauben durchaus auch absoluten Quatsch und sind auf dem völlig falschen Dampfer. Wichtig ist daher genau das Bewusstsein dafür, dass wir alle anfällig sind, wenn die Desinformation zu unseren Haltungen passt. Die Umkehr davon ist der sogenannte Third-Person-Effekt: Menschen, die glauben, besonders immun gegen Desinformation zu sein im Vergleich zum Rest der Bevölkerung, fallen nämlich schneller auf falsche Inhalte herein.
Welche Techniken der Medienkompetenz und kritischen Reflexion sind am effektivsten im Kampf gegen Desinformation?

Es gibt verschiedene psychologische Maßnahmen, um Menschen resilienter zu machen. Wenn es zur Desinformation kommt, hilft oft schon die Warnung, um Menschen sensibler zu machen. Medientrainings oder Trainings, die an der Ideologie ansetzen, können ebenfalls Effekte haben. Es gibt beispielsweise kurze Online-Spiele wie „Get Bad News“ oder „Go viral“, die daran ansetzen, die psychologische Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Welche Verantwortung tragen Plattformbetreiber und klassische Medien in Bezug auf die psychologische Wirkung von Fake News?
Plattformen haben eine enorme Verantwortung, sinnvolle Maßnahmen zur Eindämmung von gefährlicher Desinformation zu treffen. Leider kommen sie dieser nicht ansatzweise nach. Aktuell sieht es sogar so aus, als würde immer weniger getan aufgrund der aktuellen Entwicklungen hin zu mehr autoritären politischen Strömungen.
Wird es in Zukunft schwieriger oder leichter werden, sich gegen Desinformation zu wehren – etwa durch KI oder neue Bildungskonzepte?
Ich hoffe, dass die Gesellschaft resilienter wird und Informationsmanipulation besser erkennen wird. Das ist allerdings kein Selbstläufer. Die Politik ist hier gefragt, das Thema ernst zu nehmen. Gerade in Anbetracht der Krisenhaftigkeit der Welt ist das enorm wichtig.