Der britische Schauspieler Sam Riley spricht mit uns über seine Rolle im Mystery-Thriller „Islands“, was das Geheimnis einer guten Performance ist, warum er seine Karriere als Rockmusiker an den Nagel gehängt hat und wie er zu seinem Spitznamen „One-Take-Riley“ kam.

Mister Riley, Sie haben das Drehbuch zu „Islands“ in einem Rutsch durchgelesen. Was hat Sie so fasziniert, dass Sie nicht aufhören konnten?
Das kann ich gar nicht so genau beschreiben. Es ist einfach so passiert. Schon beim Lesen stellte ich mir vor, wie ich die Rolle spielen würde. Da fühlte ich plötzlich diese Mischung aus Angst und Begeisterung in mir aufsteigen – und hoffte inständig, dass diese Rolle nicht schon an jemand anderes vergeben wurde. Mir hat natürlich auch die Geschichte gefallen. Und ich war von Tom hellauf begeistert. Das ist eine Hauptrolle, wie ich sie mir schon lange gewünscht hatte.
Ihre erste Rolle war ja auch gleich eine Hauptrolle. In dem Film „Control“ spielten sie Ian Curtis, den Sänger der Band Joy Divison, der Selbstmord beging.
Das war freilich ein super Einstieg, der mich für den Rest meiner Karriere ein bisschen verdorben hat (lacht). Denn damals war ich jeden Tag am Set und war fast in jedem Bild zu sehen. In meinem Trailer saß ich nur kurz, um Mittag zu essen, und musste nicht drei Stunden auf meinen Einsatz warten, was ich wirklich hasse. Ich liebe es, an einem Film-Set zu sein und am ganzen Geschehen teilzunehmen. Dann hat mich an „Islands“ auch noch begeistert, dass es ein altmodischer Film ist, also einer, wie man sie heutzutage leider viel zu selten macht. Es ist eher wie ein Film wie aus den 70er- oder 60er-Jahren, ein Film für Erwachsene.

Man sieht Ihrem Spiel an, dass Sie den Charakter von Tom sehr gut kennen und verinnerlicht haben. Welcher Charakteraspekt kommt Ihnen denn persönlich am nächsten? Und wo ticken Sie ganz anders als Tom?
Ich persönlich weiß – wie Tom – auch nicht so genau, wohin ich gehe. Aber ich fühle mich dabei nicht verloren. Im Gegensatz zu Tom. Ich kann Toms Verlorenheit allerdings sehr gut nachem-pfinden, das Gefühl, sein Potenzial nicht richtig ausgeschöpft zu haben. Und alles gegen die Wand zu fahren.
Sie waren auch schon in so einer Situation? Können Sie ein Beispiel geben?
Das war die Zeit, bevor ich Schauspieler wurde, als ich noch Musiker in der Rockband 10.000 Things war. Wir hatten Anfang des Millenniums wirklich gute Erfolgschancen und sogar einen Plattenvertrag. Wir haben damals auch eine immer größere Fangemeinde in Leeds um uns geschart und spielten in immer größeren Hallen. Und dann habe ich es irgendwie in den Sand gesetzt.

Zu viel Sex and Drugs – und zu wenig Rock’n’Roll?
Nun, ich würde es nicht so krass formulieren, aber ich habe mich damals leider nicht genügend um die Musik gekümmert. Da kam mir wohl mein Lifestyle dazwischen. Wir waren wirklich gut, haben aber nie das Potenzial erfüllt, das in uns steckte. Ich habe dann in einer Bar in Leeds gearbeitet, wo mich die Leute erkannten und fragten: „Bist du nicht der Typ, der in der Band war?“
Stellen Sie sich manchmal vor, wie das wäre – ein Rockstar mit 45?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe aber Freunde und Bekannte in meinem Alter, die sich ernsthaft fragen, ob sie etwas im Leben verpasst haben. Ob sie die richtigen Entscheidungen im Leben getroffen haben. Ob es nicht besser gewesen wäre, bei dieser oder jener Freundin zu bleiben, statt sich zu trennen. Und war es richtig, Kinder haben zu wollen? Oder war es falsch, keine haben zu wollen?

Ihr Regisseur Jan-Ole Gerster denkt oft darüber nach, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er eine andere Wegabzweigung eingeschlagen hätte. Machen Sie sich über so etwas auch Gedanken?
Diese Weggabelungen gab und gibt es bei mir natürlich auch. Aber ich zerbreche mir nicht oft den Kopf darüber. Das soll jetzt nicht eingebildet klingen, aber ich bin sehr dankbar für das, was ich habe. Eigentlich habe ich auch immer die Dinge gemacht, die ich wirklich tun wollte. Das hat mich, bis heute, geistig gesund gehalten.
Stimmt es eigentlich, dass Sie am Set den Spitznamen „One-Take-Riley“ haben? Das ist wohl ein Kompliment. Aber ist es eventuell manchmal auch ein Fluch? Vielleicht wären Sie beim dritten oder zwölften Take ja besser?
(lacht) Den Spitznamen habe ich mir selbst gegeben. Und es ist natürlich ein Witz. Abgesehen davon: Wenn ich zwölf Takes brauchen würde, wäre das definitiv mein Fehler. Außer vielleicht bei David Fincher oder Stanley Kubrick.

Sie haben ein großartiges Timing und setzen Ihre Mimik und Gestik sehr effizient ein. Wie haben Sie sich das selbst beigebracht?
Schon als kleiner Junge habe ich es sehr genossen, Filme anzuschauen. Und ich habe schon damals sehr genau hingesehen. Mit der Zeit habe ich mir wohl so etwas wie mentale Notizen gemacht. Und unterbewusst Dinge, die ich liebte, förmlich aufgesogen. Sicher habe ich mir auch bei Schauspielern, die ich bewunderte, das ein oder andere abgeschaut. Da ich nie auf einer Schauspielschule war, musste ich mir meine schauspielerische Fähigkeit bei der Arbeit aneignen. Das Geheimnis einer guten Performance ist ja, dass es so aussieht, als würde man überhaupt nicht schauspielern. Es sollte immer leicht wirken – auch wenn dahinter sehr viel Arbeit steckt. Ich spiele instinktiv. Und ich beherzige das, was der große britische Schauspieler Alan Rickman einmal sagte: „Schauspielern ist fast ausschließlich Zuhören. Und dann darauf reagieren. Das ist das Wichtigste. Und nicht das, was du selbst als Schauspieler sagst.“ Wenn die Person, mit der man spielt, dann auch noch glaubwürdig ist, hebt das natürlich sofort das Niveau.
Das zentrale Thema von „Islands“ lautet, dass die Kirschen in Nachbars Garten immer besser zu schmecken scheinen als die eigenen. Das Sehnen nach dem Leben des anderen – kennen Sie das auch? Und auf welche Weise widerstehen Sie den Versuchungen?
Natürlich kennen wir alle die Sehnsucht nach dem Leben eines anderen Menschen. Vor allem, wenn wir unzufrieden oder frustriert sind. Oder vor Selbstmitleid zerfließen. Ich versuche, dieses Sehnen bis zu einem gewissen Grad auch zu akzeptieren. Aber ehrlich gesagt, habe ich diese Sehnsüchte nicht in meinem Leben. Ich begegne den Dingen des Lebens mit großer Dankbarkeit. Und ich versuche auch immer öfter im Hier und Jetzt zu sein. Ich weiß, das klingt jetzt sehr hippiemäßig. Aber ich bin ganz sicher nicht (mehr) so fixiert darauf, diesen oder jenen Job zu bekommen, oder dieses Auto kaufen zu können. Nur um dann ein Glücksgefühl zu haben. Statt dankbar zu sein für das, was man hat. Das ist für mich der Schlüssel zu einem guten Leben, das ich dann auch genießen kann. Und dazu gehört doch auch immer sehr viel Glück.

Gibt es viele Menschen, mit denen Sie sich tief verbunden fühlen? Und die nicht nur ein „Inseldasein“ haben, wie die Personen im Film?
Nein, nicht viele, aber es gibt sie. Ich war schon seit sehr jungen Jahren eher ein Mensch, der sich isoliert fühlte. Das hing teilweise damit zusammen, dass man mich mit sieben Jahren auf ein Internat schickte. Ich musste also auf die harte Tour lernen, mit Trennungen umzugehen; von meinen Eltern und anderen Menschen, die mir wichtig waren. Das machte mich wohl lange Zeit ziemlich oberflächlich. Ich habe mich – als eine Art Schutzmechanismus – eher vor Menschen abgeschottet als mich ihnen geöffnet. Genau wie viele andere Schauspieler finde ich es auch oft viel leichter, aufrichtig zu sein, wenn ich jemand anderer bin.
Wer oder was hat Sie denn in Ihrer Pubertät am meisten beeinflusst?
Mein Bruder und ich waren regelrecht besessen von den Beatles. Meine Eltern hatten alle ihre Platten. Mein Bruder lernte Gitarre, und ich habe mir selbst eingeredet, ich wäre John Lennon. Ich habe mir sogar so eine Brille, wie er sie hatte, zugelegt. Mein Bruder ist auch heute noch Musiker. Und auch ich mache zu Hause fast jeden Tag Musik. Ich spiele Gitarre und Klavier.

Warum haben Sie sich eigentlich entschieden, in Berlin zu leben, statt zum Beispiel in London, New York oder Los Angeles?
Das hatte natürlich zunächst damit zu tun, dass Alexandra, die schon in Berlin lebte, und ich geheiratet haben. Wir hatten mal kurz darüber nachgedacht, vielleicht nach London zu ziehen. Aber ich bin ein Yorkshire-Mann. Und ich ertrage London einfach nicht.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass in der letzten Zeit Ihre Karriere wieder mehr Fahrt aufgenommen hat?
Eigentlich nicht. Ich mache ja nur das, was ich schon immer gemacht habe. Es stimmt allerdings, dass es in letzter Zeit viel besser läuft als früher. Innerhalb von nur einem Jahr habe ich zwei fantastische Hauptrollen bekommen. Und das in Filmen, die ich wirklich sehr schätze – wie „Islands“ und „Cranko“.
Ihre Frau ist ja im selben Beruf tätig wie Sie. Beraten Sie sich da gegenseitig? Lesen Sie Drehbücher zusammen? Helfen Sie sich bei der Rollenwahl?
Ja, wir helfen uns auf jeden Fall. Und es war Alexandra, die mir geraten hat, den Film „Cranko“ unbedingt zu machen. Ich hatte nämlich eine Menge Vorbehalte. Doch sie sagte einfach: „Nein, das machst du jetzt!“
Und was würden Sie unbedingt auf eine einsame Insel mitnehmen?
Eine Gitarre, ein Radio … Alexandra und meinen Sohn …