In der Algenforschung passiert gerade sehr viel. Zum Beispiel an der Universität Duisburg-Essen, wo weltweit die größte Algensammlung zu Hause ist. Ein Teil dieser Kollektion wird in den USA auf seine chemische Zusammensetzung untersucht.
Algen gelten als wahre Multitalente der Natur: Sie betreiben Photosynthese, binden Kohlenstoff und wandeln ihn um in Biomasse. Womöglich steckt in den Pflanzen noch viel mehr, als wir bisher ahnten. „Wir wissen natürlich noch lange nicht alles über Algen“, sagt die Biologin Dr. Olga Matantseva von der Universität Duisburg-Essen (UDE). An der dortigen Fakultät für Biologie gibt es eine Besonderheit: Mehr als 7.000 Algenstämme umfasst die Sammlung, damit ist die „Central Collection of Algal Cultures“ die größte weltweit. Übrigens besteht diese Sammlung nahezu ausschließlich aus Mikroalgen. Heißt konkret: Auf der ganzen Welt arbeiten Forschende mit Algenstämmen aus der Sammlung an der UDE. Die weltweit anerkannte Universität legt einen besonderen Fokus auf Wasserforschung. „Die Algensammlung, die seit fünf Jahren an der UDE beheimatet ist, schafft in diesem Kontext einen neuen Zugang. Alle Forschungsaktivitäten in dieser Richtung starten jetzt gerade“, sagt Prof. Dr. Bank Beszteri, der seit Mitte 2019 an der UDE einen Lehrstuhl für Phykologie, sprich Algenkunde, innehat.
Mehr als 7.000 Algenstämme
Olga Matantseva arbeitet als Kuratorin der Algensammlung, genauer gesagt arbeitet sie zusammen mit drei technischen Assistentinnen. „Mein Job ist es, die internen Prozesse so zu organisieren, dass meine Mitarbeiterinnen die Algenstämme reibungslos umimpfen können, um sie in der Sammlung zu erhalten“, sagt die Biologin. Warum müssen die Algen transferiert werden? Die Mikroalgen bewahren die Wissenschaftlerinnen in einer flüssigen Lösung auf. „Für den Transfer nehmen meine Mitarbeiterinnen einen kleinen Teil der alten Kultur und setzen ihn in das frische Medium, damit die Alge wachsen kann“, beschreibt Olga Matantseva den Mikroalgen-Transfer. Letztlich hören Algen nie auf, zu wachsen, es sei denn, in ihrer Umgebung sind keine Nährstoffe mehr vorhanden. „Das Wachstum von Mikroalgen kann man sich so vorstellen: Eine Zelle teilt sich in zwei, diese wiederum in vier und so weiter. Das bedeutet, das Wachstum der Algen ist exponentiell“, sagt Bank Beszteri. So können sich Laien vor Augen führen, dass die Dünger-Lösung, in der die Mikroalgen schwimmen, schnell mit Zellen besiedelt und die aufgelösten Nährstoffe dementsprechend rasch aufgebraucht sind. Wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist, passiert Folgendes: „Dann müssen einige wenige Zellen, im Prinzip ist das ein kleiner Tropfen, in ein frisches Medium übertragen werden. Theoretisch kann man dies unendlich oft wiederholen“, erläutert der Algenforscher abschließend.
Wenn wir Algen als in der Natur vorkommende Multitalente bezeichnen, ist damit vor allem ihre biochemische Vielfalt gemeint. „Algen können unterschiedlichste Stoffe produzieren, unter denen es welche gibt, die für uns Menschen nützlich sein können“, erklärt Bank Beszteri. Beispiele dafür sind etwa Nahrungsergänzungsmittel, in denen Algen verarbeitet wurden, Algen-Vitamine und Omega-3-Algenöl. „Im Prinzip ist der Lebensstil jeder Alge gleich, doch sie produzieren verschiedene Biomoleküle“, erläutert die Algenforscherin Olga Matantseva. Sogar in einer Algenart können mitunter verschiedene Stämme unterschiedliche Mengen an Chemikalien erzeugen. Heißt: Die Forscher interessieren sich für eben jene Stämme, in denen besonders viele Vitamine oder Antioxidantien produziert werden.

Zwar forschen die Algenexpertinnen und -experten derzeit selbst nicht daran, welche Biomoleküle die mikroskopisch winzigen Pflanzen produzieren. Doch die UDE lässt derzeit Algenproben am Lawrence Berkeley National Laboratory (LBL) der University of California in Berkeley per Infrarotspektroskopie messen. Über den interdisziplinär arbeitenden Forscher Dr. Alexander Probst, der als Professor an der Fakultät für Chemie der UDE lehrt, kam die Verbindung zur University of California und dem Lawrence Berkeley National Laboratory zustande. „Ein Ziel unseres Projektes ist es, unser Wissen über Algen zu vertiefen und für zukünftige Anwendungen zu nutzen“, sagt Olga Matantseva. Besonders essenziell sei dabei, im Zuge der Forschungsarbeit die genetischen Informationen der Stämme zu entschlüsseln, um so das mögliche Potenzial der Algen zu heben. Das Algenforscher-Team der UDE hatte bereits im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit dem renommierten Joint Genome Institute des LBL begonnen, das Erbgut von mehr als 100 Stämmen der Algensammlung zu entschlüsseln. „Wir sind in dem Projekt aktuell dabei, die benötigte Algen-Biomasse zu kultivieren, aus der dann DNA für die Genomsequenzierung extrahiert wird“, führt Bank Beszteri weiter aus. Jetzt eröffnen sich neue Möglichkeiten, indem die Genom-Analysen mit der hochauflösenden Infrarotspektroskopie am Teilchenbeschleuniger zusammengeführt werden.
Detaillierte Einblicke in Algenzellen
Wie genau funktioniert das physikalische Verfahren? Zunächst einmal wird dadurch eine Interaktion zwischen elektromagnetischer Strahlung und chemischen Stoffen in Gang gesetzt. „Wir können mit der Infrarotspektroskopie ganz genau die chemische Komposition der Algen untersuchen“, sagt Olga Matantseva. Infrarotlicht kann mit Molekülen interagieren und chemische Bindungen gewissermaßen sichtbar machen. Wenn eine Mischung aus chemischen Verbindungen bestrahlt wird, erzeugen verschiedene Bindungen je nach ihrer Energie unterschiedliche Schwingungsmuster oder -abdrücke. „Darüber erhalten wir Informationen über die biochemische Zusammensetzung einer Zelle“, erläutert Bank Beszteri.
Ein Beispiel: Stellt man bestimmte Signale nur in einzelnen Algenstämmen fest, ist davon auszugehen, dass es Stoffe sind, die nur ebenjene produzieren können. „Ob man diese Stoffe mit einer Formel beschreiben kann, ist allerdings eine andere Frage“, sagt Bank Beszteri. Darüber hinaus ermöglicht die Analysemethode viel detailliertere Einblicke in die Algenzellen. „Wir können verschiedene Molekülgruppen bestimmten Zellteilen und -strukturen zuordnen“, erklärt die Kuratorin der CCAC-Algensammlung. Um diese neuen Erkenntnisse klarzumachen: In einem ersten Schritt können wir uns das Ganze wie einen biochemischen Fingerabdruck der Zelle vorstellen. Danach fördert der Vergleich der Zellen miteinander zutage, in welcher Alge einzigartige Stoffe vorkommen. „Mit weiteren Analysen können wir verfolgen, welche Stoffe das im Einzelnen sind“, sagt der Algenexperte Bank Beszteri. „Am Ende ergeben die Daten ein chemisches Bild von unseren Algenstämmen“, erklärt Olga Matentseva. Zum Beispiel könne durch Infrarotspektroskopie sichtbar gemacht werden, ob sich in einer Membran mehr gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren befinden.
Natürlich ist und bleibt die praktische Anwendung von Algen wie etwa der von Chlorella ein Fernziel. Zuvor gilt es jedoch, Grundlagenforschung zu betreiben, damit später die Algenwissenschaft darauf aufbauen kann. „Uns geht es in diesem Projekt im Grunde darum, eine Art explorative Studie zu machen“, sagt Bank Beszteri. Die erste Auswertung der Daten werden die kalifornischen Forscher in Berkeley vornehmen. Dabei sollen die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Datenbank der Algensammlung an der UDE einfließen. „Externe Nutzer können so ihr Wissen über Algenstämme erweitern.“ Daneben sollen auch wissenschaftliche Publikationen zu dem Projekt entstehen. Das Team der Algenforscher weiß: Algen weisen in jedweder Hinsicht eine große Vielfalt auf – in puncto Anzahl der Arten, ihrer Evolutionsgeschichte, Zellbiologie und Biochemie. „Um diese biochemische Vielfalt noch besser zu charakterisieren, hoffen wir, in Zukunft bestimmte weitere Stoffe mit Anwendungspotenzial identifizieren zu können“, sagt er. So liegt der Gedanke nahe, Algen auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft einzusetzen. Zwar ist das noch Zukunftsmusik, doch wird die Algennutzung für die Aufbereitung von Abwasser sowie die Anwendung ihrer Biomasse für unterschiedliche Zwecke aktuell weltweit aktiv erforscht. Die Algenforscher der UDE erhoffen sich, dass es irgendwann möglich sein wird, beide Anwendungsgebiete in praktikablen und wirtschaftlich tragfähigen Lösungen miteinander zu verbinden.