In seiner Ausstellung „Doom Snoozers – Vorletzte Träume“ öffnet das Künstlerduo Matthias Böhler und Christian Orendt im Spreepark Art Space Tore in die Zukunft.
Die schwarze Katze ist riesig und hat Zähne wie ein Hai. Kipplaster entleeren ihre Fracht in den Schlund der Bestie. Die Laster transportieren Fischmehl, verrät mir die Stimme aus dem Kopfhörer. Die Stimme gehört Jill. Jill ist eine Siebenschläferin und mein Dream-Guide. Das ist auch der Grund, warum ich diese Geschichte in der Ich-Form erzähle: Sich von einer Siebenschläferin durch Träume führen zu lassen, ist eine ebenso surreale wie sehr persönliche Sache.
Fischmehl also, das ins Maul der Katze rieselt. Die fette schwarze Katze mit den Haifischzähnen – „das muss der sogenannte Endverbraucher sein“, sagt Jill. Es ist Sonntagvormittag. Der Regen hat gerade aufgehört. Auf dem Weg durch den Wald hierher ins Treptower Eierhäuschen tropften seine Reste noch von den Blättern. Ein paar Meter weiter fahren Partyhausboote auf der Spree. Vor einigen Minuten habe ich mir noch vorgestellt, dass einer der großen, still vor sich hingleitenden Lastkähne, die dort ebenfalls unterwegs sind, eins der lauten Boote mit seiner Bugwelle zum Schweigen bringt.
Jill ist eingeschlafen. Sie schnarcht. So lange, bis der Sensor an der Baseballmütze, die man mir am Eingang gegeben hat, ein neues Signal wahrnimmt. Wie jetzt an der im Miniaturformat nachgebauten Waldlichtung. Ich bin in einem der letzten Berliner Parks, erklärt Jill. Da stehen „Pappel-Cyborgs“, Bäume, denen „kybernetische Prothesen“ Gesicht und Stimme geben. So höre ich, dass sie uns Menschen beneiden, auch darum, dass wir unserer Konflikte mit Gewalt lösen können, während sie „zur Verwurzelung und Photosynthese verurteilt“ sind.
Jill begleitet mich durch „Doom Snooze – Vorletzte Träume“. So nennt sich eine Ausstellung von Matthias Böhler und Christian Orendt – eine „düster-komische Science-Fiction-Spekulation“ im Spreepark Art Space. Die Ausstellungsräume sind im Eierhäuschen. Das gibt es seit 1824 dort, wo in zwei Jahren der Spreepark eröffnet werden soll. Der Spreepark soll ein „grüner Freiraum“ werden, „der Kultur, Kunst und Natur mit der Historie des Areals zusammenführt“. „Freizeitpark-Relikte wie etwa das Riesenrad werden unter Nachhaltigkeitsaspekten wiederbelebt“, lautet eins der Versprechen.
Das Eierhäuschen war ein Wartehäuschen an einer Holzablage. Daraus wurde eine Schifferkneipe. „In seinem Bestreben, Ausflügler anzulocken, verkaufte der Wirt nicht nur Getränke an die Sonntagsausflügler, sondern gelegentlich auch frische, hartgekochte Eier aus eigener Hühnerhaltung“, erklärt der ehemalige Bibliothekar Georg Türke den Namen in seiner „Chronik Treptows“.
In diesem Eierhäuschen verwebt nun eine Ausstellung ältere und neue Arbeiten von Matthias Böhler und Christian Orendt „zu einem audio-visuellen Szenario begehbarer Traumwelten, in denen Zeiten und Räume, reale und fiktive Ereignisse miteinander verschmelzen“, wie es die Kuratorin Ellen Blumenstein formuliert. Sie erklärt das Konzept so: Im Mittelpunkt der Ausstellungs-Inszenierung stehen die Besucherinnen und Besucher selbst. Sie folgen als „Träumende“ einem Parcours verschiedener dystopischer Visionen. Dafür aktiviert die fiktive Technologie „DreamKeep“ – also die Baseballkappen, von denen ich eine bekommen habe – die im Eierhäuschen versammelten Kunstwerke „und fügt ihnen jeweils eine suggestive Audiospur hinzu“. Damit ist Jill gemeint, die über die Kopfhörer zum Träumen anregt.
Schwarzer Humor als Element der Kunst
Die für „Doom Snoozers“ ausgewählten und zum Teil neu entstandenen Zeichnungen, Drucke und Skulpturen aus verschiedenen Werkzusammenhängen „eint eine teils liebe- und humorvolle, teils ironisch-distanzierte Überzeichnung der politischen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des Unwesens, das wir Menschen mit unserem Planeten treiben“, heißt es in der Erklärung.
Jill hört wieder auf zu schnarchen. Ich stehe vor einem Bild mit Fotos von Diktatoren und Rechtspopulisten – oder wie es mir die Siebenschläferin ins Ohr flüstert: „Menschen mit Gemütsverfinsterung“. Über diesen unangenehmen Zeitgenossen sind besondere Spiegel, die Licht so bündeln und auf sie lenken, dass es zu einer Aufhellung ihrer Gemüter kommt. „Zu hassen wird immer unpopulärer“, sagt Jill. Stattdessen sei es doch schön, „zu lächeln, ohne einen Vorteil daraus ziehen zu wollen“ oder weil man einen Triumph auskostet.
Dann taucht aus den Überresten eines Waldes ein Baumgeist auf. Er entstamme dem „Baum der Wissbegier“, verrät mir Jill. Und es sei vorgekommen, dass er in Amtstuben aufgetaucht ist. Dort habe er Beamtinnen und Beamten Fragen gestellt, die sie mit ihren Statistiken nicht beantworten konnten. Die Folge: „Sie begannen die Werte und Ziele ihrer Regierungen zu hinterfragen, bis sie wertlos für deren Absichten wurden.“
Dann sitze ich mit Jill auf einem Baum. Sie weist mich auf das Eichhörnchen hin, das etwas versteckt auf einem Ast sitzt. Ich mag Eichhörnchen. Aber warum sagt Jill jetzt: „Du stellst dir vor, dich auf das Eichhörnchen zu stürzen, um es den anderen Tieren wegzuschnappen.“
Ich drehe mich um und stehe vor Modellen ausgemusterter Raketen. Wir sind in Florida – Kennedy Space Center. „Wir werden in Kürze zum Mars fliegen und zu anderen Planeten“, raunt Jill und verspricht: „In diesen Kolonien werden wir endlich frei sein und sicher vor den Zumutungen der Realität.“
Ich kehre zurück in die Realität, indem ich die Baseballmütze mit den Kopfhörern abgebe und Jill im Eierhäuschen zurücklasse. Draußen begegne ich auf der Terrasse Christian Orendt. Es sei „ein schwarzer Faden“, der sich durch ihr Werk zieht, sagt er über die Arbeiten, die er zusammen mit Matthias Böhler geschaffen hat. Er spricht vom schwarzen Humor, den sie beide haben. Ausgangspunkt für diese Ausstellung ist die eine Installation, mit der die beiden bereits 2020 beauftragt worden sind und die dauerhaft im Spreepark zu sehen sein wird und die im Miniaturformat in der „Doom Snoozers“-Traumwelt vorkommt: die Gruppe von Bäumen, deren Gedanken und Gespräche man hören kann.
„In diesem Spiel mit Bildern, Selbstbildern und Zuschreibungen geht es im Grunde immer darum, die Auswirkungen des menschlichen Eingreifens in die Natur zu benennen und sichtbar zu machen. Dabei lösen sie die klaren Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur auf und erschaffen eigene begehbare Welten, in denen sich alternative Erzählungen zeigen“, beschreiben die Spreepark-Leute das Projekt.
Auf der Spree gleitet ein Lastkahn stadtauswärts. Die Partyboote sind verschwunden. Ich gehe durch den Wald zurück zur Bushaltestelle Krugallee/Dammweg. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir die schwarze Katze folgt. „Das muss der sogenannte Endverbraucher sein“, höre ich Jill sagen.