Im Rheintal südwestlich von Karlsruhe sind Boden und Grundwasser großflächig mit „Ewigkeitschemikalien“ belastet. Ein Forschungsprojekt tüftelt an Methoden, den Unrat aus dem Untergrund zu holen – oder zumindest Zeit zu gewinnen.
In einer hangargroßen Halle auf dem Campus der Universität Stuttgart, zwischen Tanks und Rohren, Schläuchen und Warnschildern, kämpfen sie mit der Ewigkeit. Vier golden glänzende Säulen stehen hier nebeneinander aufgereiht, meterhohe Glaszylinder, mit Ackerboden befüllt, für möglichst realistische Bodenverhältnisse in Lichtschutzfolie gehüllt. Daher der Goldglanz.
„Mit diesen Säulen wollen wir besser verstehen, wie PFAS sich durch die Bodenschichten bewegen“, erklärt Hue Nguyen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Versuchseinrichtung zur Grundwasser- und Altlastensanierung (Vegas) der Universität Stuttgart. PFAS sind auch als „Ewigkeitschemikalien“ bekannt, weil sie, einmal in die Natur gelangt, kaum mehr von selbst verschwinden – und so zur Umwelt- und Gesundheitsgefahr werden.
Einige Proben sind beunruhigend
Nguyen wässert die vier Säulen, immer wieder, über Monate, simuliert verschiedene Regenmengen. In drei der Säulen ist das Erdreich mit sogenannter Aktivkohle versetzt. Sie soll die PFAS aufsaugen, wie eine Art Schwamm, damit diese nicht weiter nach unten sickern und – in der echten Welt – irgendwann im Grundwasser landen. Der Inhalt der vierten Säule enthält kohlelosen Boden, zum Vergleich. In allen Erdsäulen sind Sensoren verbaut und Saugkerzen, die Wasserproben aus verschiedenen Bodenschichten schlürfen.
Was Nguyen in manchen der Proben findet, ist beunruhigend: 10 Mikrogramm PFAS pro Liter Wasser. Beunruhigend deshalb, weil es das Hundertfache dessen ist, was ab 2026 in Deutschland für Trinkwasser als PFAS-Obergrenze gilt – und weil es kein abstrakter, wirklichkeitsferner Laborversuch ist. Der Inhalt der Säulen entstammt einem Acker in der Nähe von Rastatt, im Rheintal südwestlich von Karlsruhe gelegen.
Dass im dortigen Boden ein Problem schlummert, wurde 2012 klar – wie groß, ahnte damals keiner. Ein Rastatter Wasserwerk war in jenem Jahr bei einer Routinekontrolle in einem Tiefbrunnen auf PFAS gestoßen. Weitere Wasserwerke, hellhörig geworden, führten Tests durch. Auch hier: hohe PFAS-Werte. Ein rätselhafter Fund in einer wenig industrialisierten, landwirtschaftlichen Gegend.
Letztlich erwies sich tatsächlich die Landwirtschaft als Wurzel des PFAS-Problems – und dieses sich als einer der umfangreichsten Umweltschadensfälle Deutschlands. „Die Ursache war falsch verstandene Kreislaufwirtschaft“, sagt Reiner Söhlmann von der „PFAS-Geschäftsstelle“ des Landkreises Rastatt– 2015 eingerichtet für die Krisenkoordination und -kommunikation. „Ein Komposthändler hat unzulässigerweise PFAS-belastete Papierschlämme als Dünger an Landwirte verteilt. Mehr als 100.000 Tonnen.“ Den mit den Schlämmen gestreckten Kompost lieferte der Händler kostenlos. Bezahlen ließ er sich an anderer Stelle: von den Papierfabriken, die auf diese Weise ihren Abfall loswurden. Manche Landwirte sahen den Gratis-Kompost skeptisch. Aber viele griffen zu.
Auf diese Weise entstand, so Söhlmann, ein „riesiger Flickenteppich“ an verunreinigten Äckern. Entsprechend aufwendig ist es, den Schaden zu sondieren und zu kartieren. Erst 2022, zehn Jahre nach dem Fund im Wasserwerk, waren alle Flächen erfasst: insgesamt 1.100 Hektar. „Der Oberrheingraben ist das zweitgrößte Süßwasserreservoir Europas“ so Söhlmann, gelernter Geologe. „Wir laufen da praktisch über Wasser.“ Rund um Rastatt liegen zahlreiche Wasserschutzgebiete. „Und dann passiert dieses PFAS-Drama. Es ist wirklich der Wahnsinn.“ In internationalen Expertenkreisen spricht man inzwischen vom „Rastatt case“.
„Das ist der größte bekannte PFAS-Problemfall in Deutschland“, sagt Claus Haslauer, wissenschaftlicher Leiter der Vegas, die derzeit im Rahmen eines Forschungsprojekts namens „PFClean“ gemeinsam mit weiteren Partnern nach Lösungen und Linderungen für den „Rastatt case“ sucht. Die Immobilisierung der PFAS, also ihr Festsetzen im Erdreich mittels Aktivkohle, ist eines der Ziele des Verbundprojekts, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit drei Millionen Euro gefördert wird.
Die Erdsäulen von Hue Nguyen sind einer von zwei Orten, an denen diese Methode getestet und verfeinert wird. Der andere befindet sich auf einem zehn mal zwanzig Meter großen Testfeld nahe Rastatt. Dort wurden zunächst die obersten 25 Zentimeter Ackerboden, die für die Landwirtschaft wichtige Humusschicht, abgetragen. Anschließend weitere 25 Zentimeter. Dann noch einmal 50 Zentimeter – diese Schicht wurde mit vier Tonnen Aktivkohle vermischt. Anschließend wurden die drei Lagen Erdreich wieder ausgebracht, in der ursprünglichen Schichtung. Oben der Humus. In der Mitte die Zwischenschicht. Unten, 50 Zentimeter bis ein Meter tief, die Filterschicht mit der Kohle.
Diese relativ geringe Tiefe der Filterschicht könnte bereits ausreichen, um den Großteil der Chemikalien rund um Rastatt vom Grundwasser fernzuhalten. Denn die dortigen PFAS-Verbindungen tummeln sich, solange es nicht zu heftig regnet, gerne an den Luft-Wasser-Grenzflächen der oberen Bodenschichten, erklärt Nguyen: „Ein bisschen wie Wassersportler, die sowohl das Wasser als auch die Luft lieben.“ Auch nach mehr als zehn Jahren sind die meisten PFAS in den untersuchten Äckern nicht tiefer als einen halben Meter gesickert.
Seit Januar 2024 ist die Aktivkohle in der Erde. Erste vorläufige Ergebnisse sind aus Haslauers Sicht „ermunternd“: Innerhalb weniger Monate ging die PFAS-Konzentration unterhalb der Filterschicht um mehr als 90 Prozent zurück.
„Wir werden sicherlich nicht jedes Feld auf diese Weise behandeln können“, sagt Haslauer. Dafür ist der Flickenteppich zu groß. „Aber wenn wir den PFAS-Zustrom aus den am stärksten belasteten Flächen minimieren könnten, würde das den Wasserwerken helfen, die Grenzwerte einzuhalten.“
Haslauer sieht die Politik in der Pflicht
Haslauer ist es wichtig zu betonen, dass dieser Ansatz „keine Sanierungstechnologie ist in dem Sinne, dass wir PFAS zerstören“. Er sei eine Methode, um Zeit zu gewinnen, Gefahren für die Wasserversorgung abzuwehren – und das Problem in der Zukunft besser lösen zu können. „Meine Vermutung wäre, dass die PFAS nicht unendlich lang an der Aktivkohle haften bleiben.“ Und was dann?
Die Entwicklung von Sanierungstechnologien, um PFAS wirklich aus der Welt zu bekommen, ist ein weiterer Forschungsgegenstand des PFClean-Projekts. In der Hangarhalle, direkt neben den vier Erdsäulen, sind dafür weitere Gerätschaften aufgebaut: eine Art Stahlkochtopf mit Boden-Luft-Absaugung, verkabelt und mit Kupferrohren versehen. In ihm wird PFAS-haltiger Sand erhitzt, auf bis zu 750 Grad Celsius. „Thermische Desorption“ nennt sich das Verfahren, bei dem die Ewigkeitschemikalien durch die Hitze quasi in die Luft katapultiert werden, wodurch sie leichter ausgeschleust und behandelt werden können.
„Wir setzen verschiedene PFAS-Substanzen unterschiedlichen Temperaturen aus und schauen, welche Transformationsprodukte dabei entstehen“, erklärt Anna Burkhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Vegas, die diese Versuchsreihe betreut. Dass durch längeres Erhitzen bestimmte PFAS aus dem Boden verschwinden können, ist bereits bekannt. Allerdings: „Die Info, was genau die Luft dann enthält oder ob nun vielleicht andere problematische Stoffe im Boden sind, fehlt oft“, so Burkhardt.
Ein Einsatz dieses Verfahrens auf den kontaminierten Feldern rund um Rastatt ist für Projektleiter Claus Haslauer daher im Moment noch keine Option. „Hier ist noch viel Grundlagenforschung nötig“, sagt er. Das Problem aus dem Boden in die Luft zu verfrachten, wäre jedenfalls keine gute Lösung.
Angesichts vieler solcher ungelöster PFAS-Fragen sieht Haslauer die Politik in der Pflicht. Auf EU-Ebene läuft derzeit ein Verfahren für weitreichende PFAS-Beschränkungen, angestoßen von Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden. Doch das Verfahren zieht sich hin, und die Lobby der PFAS-Industrie ist groß. „Strengere Regularien für die Produktion und die Verwendung von Ewigkeitschemikalien wären sehr wünschenswert“, sagt Haslauer. Mit Blick auf die Umwelt. Mit Blick auf die Gesundheit der Menschen. Und, angesichts der immensen PFAS-Sanierungskosten, auch mit Blick auf die Volkswirtschaft.