Der traditionelle Sport reagiert mit großer Kritik und starker Ablehnung auf die „Enhanced Games“. Die komplette Öffnung für Doping sei transparenter und wissenschaftlicher, argumentieren dagegen die Gründer. Einflussreiche Tech-Milliardäre finanzieren das Projekt.
Kristian Gkolomeev war tief enttäuscht. Der Schwimmer hatte bei Olympia in Paris im 50-Meter-Finale als Fünfter angeschlagen und Bronze um lediglich drei Hundertstelsekunden verpasst. Ein Wimpernschlag. Statt sich endlich mit der so ersehnten Medaille bei Sommerspielen für die vielen Qualen im Training zu belohnen, gab es für den Griechen wieder nichts – außer ein paar Schulterklopfer. Kein Edelmetall, kaum Geld vom Verband und von Sponsoren, keinen Ruhm. Dafür aber wieder große Zweifel. An sich selbst, aber auch an der Sauberkeit der Konkurrenten. „Ich hatte einen Verdacht, aber man weiß ja nie, ich kann es nicht beweisen“, sagte Gkolomeev.
In diesem Gefühlszustand zwischen Desillusion und Trotz fällte der Top-Athlet eine Entscheidung, die sein Leben verändern und im Weltsport für großen Wirbel sorgen sollte: Er schloss sich dem Projekt „Enhanced Games“ –
zu Deutsch: optimierte Spiele – an. Dabei dürfen die Sportler nicht nur ihr Leistungsvermögen durch die Einnahme von Dopingmitteln steigern, sie sollen es sogar. „Ich wollte schon immer mein volles Potenzial ausschöpfen“, sagte Gkolomeev. „Ich war wirklich gespannt, was möglich ist.“
Und was möglich ist, zeigte sein Weltrekordversuch im Februar dieses Jahres im Greensboro Aquatic Centre in North Carolina. Nach eigenen Angaben hatte er zu jenem Zeitpunkt gerade mal zwei Monate lang leistungssteigernde Substanzen zu sich genommen. Welche genau, das wurde nicht bekannt. Festgehalten wurde in der Dokumentation „50 Meter bis zur Geschichte: Der erste Übermensch“ aber die Zeit, die Gkolomeev für eine klassische Bahn im Freistil benötigte: 20,89 Sekunden. Damit war der Europameister um zwei Hundertstelsekunden schneller als der Brasilianer Cesar Cielo bei seinem Weltrekord 2009 im inzwischen verbotenen Hightech-Anzug.
Auch Gkolomeev trug bei seinem Versuch einen auftriebsfördernden Anzug. Bei einem zweiten Rennen gegen die Uhr trug er eine der heute anerkannten Jammer-Badehosen – und auch damit knackte er in 21,03 Sekunden die aktuell gültige Bestmarke des US-Stars Caeleb Dressel (21,04).
Das ist zumindest die Version, die die Verantwortlichen veröffentlichten und mit den Videoaufnahmen zu beweisen versuchten. Eine offizielle Anerkennung des Rekords gibt es nicht. Der Weltschwimmverband World Aquatics erkennt das Projekt „Enhanced Games“ genauso wenig an wie andere Weltfachverbände oder das Internationale Olympische Komitee. Die Idee, den Sport für Doping komplett zu öffnen, um so die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit zu verschieben, ist höchst umstritten und wird scharf kritisiert.
„Das sind perverse Menschenversuche von Tech-Bros, die nach dem ewigen Leben streben“, kritisierte zum Beispiel Jan Pommer. Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Schwimm-Verbands sieht in den „Enhanced Games“ keinen Fortschritt, sondern lediglich eine Gefahr für den Untergang des Sports. „Die Werte eines sauberen und fairen Sports“, sagte er, „werden bei den Enhanced Games mit den Füßen getreten.“
Im Weltsport gibt es diesbezüglich eine seltene Einigkeit. Travis Tygard, der Leiter der Anti-Doping-Agentur der USA, nannte sie „eine gefährliche Clown-Show“. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sprach von einem „gefährlichen und unverantwortlichen“ Konzept. Der Deutsche Leichtathletik-Verband sieht darin einen „Widerspruch zu den Grundwerten des Sports“ und die Gefahr „sowohl körperlicher als auch psychisch schwerwiegender Schäden“ für die Athleten.
Die Verbände drohen den Athleten, sie für Wettbewerbe wie Weltmeisterschaften zu sperren, sollten sie an dem Projekt teilnehmen. „Es gibt nur eine Botschaft, und die lautet: Wenn irgendjemand schwachsinnig genug ist, um zu glauben, dass er daran teilnehmen will, und er gehört zum traditionellen, philosophischen Ende unseres Sports, dann wird er gesperrt – und zwar für lange Zeit“, sagte Präsident Sebastian Coe vom Leichtathletik-Weltverband World Athletics.
Eine solche Haltung wiederum bezeichnete Aron D’Souza als „ekelhaft“ und höchstwahrscheinlich illegal. Das IOC nannte er „heuchlerisch, korrupt und dysfunktional“, und die Dopingkontrollen verglich er mit Razzien einer Geheimpolizei. Der Australier ist Chefplaner der „Enhanced Games“. Er hält die Kritik und Vorbehalte daran für kleingeistig. „Die Enhanced Games sind nicht nur ein Wettbewerb – sie sind eine Bewegung“, sagte er. Und nur hier gebe es jenen Fortschritt, den auch der Sport in der sich immer schneller ändernden modernen Welt mitgehen müsse. „Wir leben in einer Welt, die durch die Wissenschaft verändert wurde – von Impfstoffen bis hin zu Künstlicher Intelligenz“, sagte D’Souza. „Aber der Sport ist stehengeblieben. Bis heute.“
Gesundheitliche Risiken
D’Souza und seine Mitstreiter sind gar nicht auf Kompromisse mit dem etablierten Sport aus. „Wir aktualisieren das Regelwerk nicht – wir schreiben es neu“, äußerte der Australier. „Wir nutzen das gesamte Spektrum menschlichen Potenzials, und das beginnt mit Transparenz, Wissenschaft und Wahlfreiheit. Jetzt ist es so weit.“ Und die Gefahren durch die Einnahme von Doping? Spielt der Gründer herunter. „Und wir tun dies sicher, ethisch und mutig“, sagte er lediglich. Die Athleten seiner Organisation stünden alle unter „medizinischer Aufsicht“.
Doch Wissenschaftler der University of Birmingham kamen in einer kürzlich veröffentlichten Studie zu der Erkenntnis, dass die regelmäßige Einnahme von Dopingmitteln zu „langfristigen gesundheitlichen Schäden“ führen könne. Manch experimentelle Dopingmittel seien zudem noch nicht ausreichend getestet.
Die WADA sprach auch mit Blick auf die Vergangenheit eine unmissverständliche Warnung aus: „Leistungssteigernde Mittel haben bei vielen Sportlern einen schrecklichen körperlichen und geistigen Tribut gefordert. Einige sind gestorben.“ Die Siebenkämpferin Birgit Dressel und der Radsportler Tom Simpson zum Beispiel.
Dennoch haben schon einige Top-Athleten – vor allem aus dem Schwimmen – die Seite gewechselt. Neben Gkolomeev schlossen sich auch der ukrainische Topsprinter Andrii Govorov und der mit mehreren Olympia-Medaillen dekorierte Australier James Magnussen dem Projekt an. Sie sind auch als Stars der ersten „Enhanced Games“ im kommenden Jahr in Las Vegas vorgesehen, wenn die „Doping-Spiele“ vom 21. bis zum 24. Mai auf einem Hotel- und Casinogelände ausgetragen werden. Dabei gibt es die drei Kernsportarten Schwimmen, Leichtathletik und Gewichtheben – alles Sportarten, die mit Dopingproblemen zu kämpfen haben.
Die Siegprämie ist mit 250.000 US-Dollar verlockend. Zudem loben die Veranstalter eine Prämie in Höhe von einer Million US-Dollar für den Weltrekord im Becken über 50 Meter Freistil und auf der Tartanbahn im 100-Meter-Sprint aus. Beide Disziplinen seien die ultimativen Tests der menschlichen Schnelligkeit, so die Begründung. Das Geld kommt von privaten Investoren, die laut D’Souza milliardenschwer sind. Einer davon soll Peter Thiel sein. Er ist unter anderem Mitgründer des Online-Bezahldienstes Paypal und des Überwachungssoftware-Konzerns Palantir.
Umstrittene Milliardäre
Thiel ist aber auch bekannt für seinen höchst reaktionären und libertären Gesellschaftsansatz. Auch der deutsche Milliardär Christian Angermayer soll zu den Unterstützern gehören. „Der Mensch ist darauf programmiert, den schnellsten Mann oder die schnellste Frau sehen zu wollen“, äußerte der Mitgründer eines Biopharma-Unternehmens einmal gegenüber dem US-Magazin „Forbes“. „Wir wollen nicht den schnellsten natürlichen Menschen sehen.“ Zudem dürften die Geldgeber in den „Enhanced Games“ auch eine Möglichkeit des Geldverdienens sehen. „In fünf bis zehn Jahren wird Human Enhancement eine Branche mit Billionenumsätzen sein“, prophezeite Chefplaner D’Souza – und begründete auch, warum: „Wir sind wie die Olympischen Spiele, aber plus Medikamente, plus Geld und mit einem besseren Geschäftsplan.“
Für Gkolomeev hat sich der Wechsel zumindest finanziell schon gelohnt. Für seinen geglückten Versuch, den offiziell gültigen Weltrekord über 50 Meter Freistil zu knacken, bekam er eine Million US-Dollar überwiesen. „Das ist enorm. Und ich habe jetzt eine Familie, einen dreijährigen Sohn. Und ich möchte, dass wir ein angenehmeres Leben führen können“, sagte der Grieche.
Vorher habe er in seinem Sport kaum Geld verdient, obwohl er zur Weltspitze gehörte. „Ich habe mich hingesetzt und darüber nachgedacht: In einem erfolgreichen Jahr bei den Enhanced Games kann ich wahrscheinlich so viel verdienen wie in fast zehn Karrieren“, sagte er.
Der erste Anruf nach seinem Coup galt seiner Ehefrau Lindsey, die den Schwimmer bei dessen neuen Plänen komplett unterstützt. „Ich habe gerade den Weltrekord gebrochen“, sagte Gkolomeev ins Handy. Seine Frau berichtete in der Dokumentation „50 Meter bis zur Geschichte: Der erste Übermensch“ über das emotionale Gespräch: „Ich habe geheult, er hat geheult – es war einfach wunderschön.“
Wunderschön oder einfach nur ekelhaft? Die Diskussionen darüber werden sicher zunehmen, je näher die Premiere der „Enhanced Games“ 2026 in Las Vegas rückt. Dass das höchst umstrittene Event in den USA stattfindet, ist kein Zufall. Thiel pflegt gute Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump. Dessen Sohn Donald Trump jr. gilt als einer der prominentesten Befürworter. In einer Mitteilung schwärmte er von „echtem Wettbewerb, echter Freiheit und echten Rekorden“. Und so dürften alle Beteiligten dafür sorgen, dass die „Doping-Spiele“ im Mai 2026 mit dem Memorial Day viel Aufmerksamkeit bekommen. Organisator D’Souza stellte die provokante Frage: „Wenn wir alle Weltrekorde brechen – wer schaut sich dann noch die alten, langsamen Olympischen Spiele an?“ Pikanterweise finden zwei Jahre später in den USA die regulären Sommerspiele statt.