Im niederösterreichischen Lunz am See gräbt sich Paläontologe Alexander Lukeneder durch Millionen Jahre Erdgeschichte. Zwischen Schlamm, Stein und Fossilien sucht er nach Spuren einer uralten Klimakatastrophe – und findet dabei Hinweise, die auch für die Gegenwart von Bedeutung sind.
Es regnet an diesem Tag. Der Paläontologe Alexander Lukeneder vom Naturhistorischen Museum in Wien steht unter der schützenden Heckklappe seines Dienstwagens vom Naturhistorischen Museum Wien – auf einer Forststraße mitten im Wald nahe Lunz am See in Niederösterreich.
233 Millionen Jahre. So weit zurück liegt jene schon lange vergangene Zeit, in der sich Lukeneder derzeit forschend bewegt. Es ist das Zeitalter der Trias, während der eine zwei Millionen Jahre andauernde Klimakatastrophe die Erde heimsuchte, die sich in Fossilien im Gestein bestimmter Regionen ablesen lässt. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch Vulkanausbrüche im heutigen Nordamerika.
Hier, an diesem Aufschluss, also einer Stelle, an der das Gestein unverhüllt zutage tritt, hat der Forscher eine 30 Meter tiefe Bohrung gesetzt. Er selbst bezeichnet sich als Ammoniten-Trüffelschwein, als einen, der schon riecht, wo man im Gelände fündig werden kann. „In diesem Aufschluss sieht man die Schichten, die ich mit eigenen Kräften freigegraben habe, fünf Meter neben dem Bohrloch“, erzählt er. „Das ist jetzt verschlossen, das sieht man nicht mehr, da ist kein Bohrturm mehr, der in die Höhe ragt.“
„Ammoniten-Trüffelschwein“
In einer Woche waren die 30 Meter erbohrt. Inzwischen ist der herausgeschnittene Bohrkern aus Gestein in handliche Ein-Meter-Stücke zerteilt und zur Analyse durch Wissenschaftler rund um die Welt geschickt worden: Quecksilber, Isotope, Pollen. Die Ergebnisse sollen nächstes Jahr in einem wissenschaftlichen Werk zusammengefasst werden.
Neben dem Bohrloch stehen zwei Baumstümpfe, sie sind Lukeneders Arbeitstische sozusagen. Hier zerschlägt er die Steine wie harte Überraschungseier in kleine Teile, auf der Suche nach Spuren von Hunderten Millionen Jahren in der Vergangenheit. „Es ist sehr viel Arbeit, meist mit Hämmern verbunden“, sagt Lukeneder. „Ich bin sozusagen noch ein Hardrocker, das ist wirklich hartes Gestein. Und die meisten Schläge gehen zur Schulter zurück. Darum habe ich nicht nur Kalk vor mir, sondern auch Kalk in meiner Schulter.“ Eine Berufskrankheit, denn der Forscher hat schon Millionen von Schlägen auf Gestein ausgeführt. Mehr als 40 Jahre übt er diese Tätigkeit aus.
Die Vulkanausbrüche der so genannten karnischen Krise vor 233 Millionen Jahren hatten viel CO2- und Rußausstoß zur Folge. Ein Treibhausklima entstand, wodurch vermehrt Schlamm ins Meer gelangte und die Riffe abstarben. Auf dem Meeresboden wurde der Sauerstoff knapp. „Wenn es unten keinen Sauerstoff gibt und zum Beispiel Fische oder Fischsaurier, Muscheln, Schnecken, Ammoniten oder Borstenwürmer sterben und absinken, dann werden sie nicht zersetzt, weder durch Bakterien noch durch Pilze.“ Auch die großen Aasfresser können sie dann nicht anknabbern, zerteilen oder weiter transportieren, sodass man nur mehr hie und da eine Schuppe von einem Fisch findet. „Die liegen dann wirklich so eingebettet als Ganzes da. Und das ist das Exzellente, und das gibt es auf der ganzen Welt nur bei uns in Österreich.“ Verantwortlich sind die damals stagnierenden Bedingungen der Beckenlage. Es gab keine Strömung im Wasser. Die nach unten sinkenden Kadaver wurden von den tonigen Schichten eingeschlossen und die Skelette auf diese Weise konserviert.
Alexander Lukeneder liest in den Versteinerungen wie in einem Buch. Und manchmal schnalze man als Forscher vor Begeisterung mit der Zunge, sagt er. „Ich sitze vor meinem Haus, weil ich wieder kistenweise Probenmaterial mitgenommen habe, und das ist dann auch meine Freizeitbeschäftigung mit den Kindern.“ Sie seien ebenfalls schon geologisch, paläontologisch mit Hammer und Schutzbrille sozialisiert, sagt er. Denn auch seine Frau ist Paläontologin. „Die Kinder tun dann schon mit, die ganze Familie ist da im Einsatz. Und ich mache einen Schlag auf das 233 Millionen Jahre alte Gestein, es springt auf, und da liegt vor mir ein 10 Zentimeter langer Borstenwurm mit allen Details, mit dem Kopf dran.“
In den historischen Sammlungen seien die Borstenwürmer bisher fälschlich bei den Pflanzen eingeordnet gewesen, weil sie nie mit Kopf aufgefunden wurden und von der Struktur einem Schachtelhalm glichen. Auf dem Grund des Gewässers, wo es zur Zeit der Klimakatastrophe zwei Millionen Jahre lang keinen Sauerstoff gab und alles versteinerte, sind es diese Sedimente, die dem Forscher so glückliche Funde bescheren.
„Darüber war aber herrliches blühendes Leben“, sagt der Forscher. „Die Nährstoffe haben das Plankton ernährt, und dann sind immer größere Fische, größere Räuber, Krebse gekommen. Da war, wenn man so will, Halligalli im damaligen Leben im Reiflinger Becken.“ Das Becken, benannt nach dem Ort Groß Reifling, war einst einige hundert Meter tief.
Aber wie kann man das Alter eines Fossils, das vor so langer Zeit versteinert ist, feststellen? „Vor 200 Millionen Jahren schaut es schon etwas anders aus als vor 100 Millionen“, erläutert Lukeneder. „Denn es verändert sich in der Erdgeschichte ebenso das Erdmagnetfeld.“ Dadurch lassen sich Eingrenzungen vornehmen.
Über 1.000 Koprolithen
Lukeneder selbst stand als Jugendlicher vor der Wahl: Profifußballer oder Paläontologe. Schon früh habe er sich für die Erforschung der geologischen Vergangenheit interessiert, erzählt er. Mit der Zeit entwickle man einen Blick für Stellen im Gelände, die wissenschaftlich interessant sein könnten, wo sich in Steinen Offenbarungen verbergen.
Mitunter mutet die Forschung wie ein Krimi an. „Wir haben sicher über 1.000 Koprolithen gefunden, fossile Ausscheidungen, von allen Gruppen in jeglicher Form, in vielen Größen“, sagt Lukeneder. „Wir haben Größen gefunden von Auswürfen, ob das jetzt sozusagen vorne war oder hinten, das wissen wir noch gar nicht. Aber das ist so groß, dass wir wissen, dass da große Reptilien geschwommen sind. Auch wenn wir noch gar nicht das Fossil selbst dazu gefunden haben.“
Der Paläontologe holt aus einer Kiste einen Stein mit typischer Hell-Dunkel-Schichtung. Aber die Schichten sind nicht vergleichbar mit den Jahresringen der Bäume. „Oft ist ein Millimeter ein Tag, und oft ist ein Millimeter 100.000 Jahre. Das kann man so wirklich nicht sagen. Da muss man durchmessen, und das machen wir für die Arbeit nächstes Jahr, dass wir auch Computerprogramme drüber laufen lassen wie die KI.“
Funde durch Kohlebergbau
Vorsichtig holt der Forscher einige seiner Schätze aus einer Kiste im Kofferraum: Einen Stein mit dem Kopfabdruck eines Fisches – deutlich sind die Zackenzähne zu sehen. Einen Abdruck wie ein textiles Muster diverser Gräser: „In diesen Lunzer Sandsteinen sind nahezu vollständig Farne, Palmfarne und fossile Pflanzen eingeschlossen, wunderschön. Wir haben da quadratmetergroße Flächen gefunden, die wirklich so aussehen wie der Farn, der da neben uns steht im Wald. Alles perfekt erhalten, für Paläobotaniker eine reine Freude.“ Vieles davon lässt sich im Naturhistorischen Museum in Wien in der Ausstellung betrachten. Etwa der weltweit besterhaltene Lungenfisch-Schädel des Mesozoikums. 25 Zentimeter misst er, der ganze Fisch muss wohl einen Meter lang gewesen sein.
Doch warum ist man ausgerechnet auf das niederösterreichische Hügelland als Fundort urzeitlicher Geheimnisse gekommen? Es war der Kohlebergbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der in dieser Gegend die fossilen Funde gleichsam als Beiprodukt lieferte. Die karnische Krise der Trias war eine von vielen in der Erdgeschichte. Ob Meteoriten-Einschläge oder Vulkanausbrüche, oft wurde fast das gesamte Leben auf dem Planeten ausgelöscht. Doch irgendetwas überlebte immer. Lassen sich Vergleiche zwischen der Klimakrise von heute und jener Klimakatastrophe vor 233 Millionen Jahren ziehen?
„Für die Erde war es keine Katastrophe. Der Erde war das egal, der Erde ist auch egal, was wir heute machen“, sagt Lukeneder. „Wenn ich es aber an den Sedimenten vergleiche, haben wir dasselbe heute. Und das schaffen wir in 50 Jahren.“ Man könne schon in den Meeressedimenten messen, wie sich der Zustand verändert, wie immer mehr sauerstofffreie Zonen dazukommen. „Dass der Mensch heute Mitschuld hat an der Klimaveränderung, ist offenkundig.“