Fleisch, gezüchtet im Labor statt gewonnen durch Massentierhaltung mit anschließender Schlachtung, ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Erste Produkte sind in Teilen Asiens und den USA bereits zugelassen. Europa soll folgen. Ein Interview mit Mark Post und Eva Mall von Mosa Meat und Qorium.
Herr Post, Frau Mall, was genau versteht man unter „Cultivated Meat“ beziehungsweise Laborfleisch?
„Cultivated Meat“ ist dasselbe wie konventionelles Fleisch, aber anstatt ein Tier aufzuziehen und dann zu schlachten, nehmen wir nur die relevanten Zellen aus denen Fleisch besteht und vermehren diese. Daher wird es auch als „Cell-based Meat“, also zellbasiertes Fleisch, bezeichnet.
Es ist daher echtes Fleisch und unter dem Mikroskop nicht zu unterscheiden von konventionellem Fleisch, welches von Kühen, Schweinen oder Hühnern gewonnen wird.
Wie wird kultiviertes Fleisch technisch hergestellt – was passiert dabei im Labor?
Die relevanten Vorläuferzellen werden durch eine Biopsie gewonnen: Dabei wird dem Tier etwa ein pfefferkorngroßes Stück Gewebe entnommen, ein Prozess, der für das Tier etwa so unangenehm ist wie eine Spritze zu bekommen. Aus diesem Gewebe isolieren wir die Muskel- und Fettzellen, die wir dann weiter vermehren können.
Die Vermehrung findet in sogenannten Bioreaktoren statt: Dabei schwimmen die Zellen in einer Nährflüssigkeit, die Zucker, Proteine, Vitamine und andere Nährstoffe enthält, die den Zellen ermöglichen, sich zu vermehren. Dabei können wir die Masse exponentiell vermehren und in kürzester Zeit aus einem Gramm von der Biopsie mehrere Tonnen Fleisch produzieren. Nach der Vermehrung werden die Zellen differenziert: Dabei nutzen wir dieselben Faktoren, die im Körper vorkommen, um die Zellen dazu zu bringen, Muskeln oder Fettgewebe herzustellen.
Der Prozess hat Ähnlichkeit mit Bierbrauen: Während beim Bierbrauen Hefezellen dazu gebracht werden, aus Zucker Alkohol zu machen, werden bei kultiviertem Fleisch zum Beispiel Rinderzellen dazu gebracht, aus Zucker Fett herzustellen.
Mit angepassten Techniken aus der medizinischen Forschung, dem sogenannten „Tissue-Engineering“, kann man aus den Zellen dann auch komplexere Strukturen herstellen, wie zum Beispiel ein Steak.
Welche Rohstoffe und Ausgangszellen werden für die Produktion benötigt?
Als Ausgangszellen werden Vorläuferzellen von Muskel- und Fettgewebe gewonnen, die in der Lage sind, sich weiter zu vermehren. Die Zellen werden von der jeweiligen Tierart, zum Beispiel Rindern, Schweinen oder Hühnern, gewonnen. Für die Vermehrung gibt es verschiedene Strategien: Vorläuferzellen haben eine natürliche Fähigkeit, sich zu vermehren, welche man für die Produktion ausreizen kann und bei der man ohne genetische Manipulation auskommt. Auf diese Methode hat sich Mosa Meat spezialisiert.
Die Nährstoffe, welche für das Wachstum nötig sind, sind dieselben wie auch in Tierfutter – Zucker, Proteine, Vitamine und weitere Mikronährstoffe –, die in Wasser verdünnt werden. Zusätzlich werden für die finale Reifung der Zellen teilweise biologische „Scaffolds“ oder Gele als Gerüst verwendet, die den Zellen eine physiologische Umgebung schaffen. Auch hier werden Materialien verwendet, die in der Lebensmittelindustrie schon Verwendung finden.
Welche Vorteile gegenüber herkömmlichem Fleisch aus Tierhaltung werden dem Laborfleisch zugeschrieben?
Für die Herstellung von kultiviertem Fleisch werden keine Antibiotika verwendet, da der gesamte Prozess in steriler Umgebung stattfindet.
Zusätzlich ermöglicht der Prozess im Labor, dass wir sicherstellen können, dass unser Produkt zu keinem Zeitpunkt mit anderen, potenziell schädlichen Substanzen oder Organismen in Berührung kommt wie zum Beispiel Pestiziden oder Krankheitserregern.
Kann „Cultivated Meat“ tatsächlich helfen, Umweltprobleme wie Klimawandel oder Artensterben zu verringern?
Etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Landfläche werden für die konventionelle Fleischproduktion genutzt und sie ist für etwa 15 Prozent der Treibhausgasemissionen und 80 Prozent der Waldrodungen verantwortlich.
Die Produktion von kultiviertem Fleisch benötigt deutlich weniger Fläche und produziert weniger Treibhausgase, insbesondere weniger Methan, das 20- bis 30-mal schädlicher ist als Kohlendioxid. Schon wenn kultiviertes Fleisch einen Teil der konventionellen Fleischproduktion ersetzt, kann es helfen, die Folgen des Klimawandels zu verhindern.
Welche ethischen Argumente sprechen für die Entwicklung von Laborfleisch?
Das naheliegende ethische Argument liegt sicher in der Chance, Massentierhaltung zu verringern. Fleischproduktion im industriellen Stil entspricht in vielen Fällen nicht dem Idealbild, welches wir für Tierwohl haben, und der Druck, immer günstiger produzieren zu müssen, um Supermarktpreise zu ermöglichen, geht in diesem Fall zulasten der Landwirte und der Nutztiere. Hier bietet kultiviertes Fleisch eine Option, Fleisch günstig und auf geringer Fläche zu produzieren, ohne dass Tier oder Mensch darunter leiden.
Dazu kommt, dass die Erdpopulation und damit der Fleischbedarf steigt. Eine Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der Food and Agriculture Organization FAO, geht davon aus, dass der Fleischverbrauch bis 2050 um 70 Prozent ansteigen wird. Mit herkömmlichen Methoden ist dies nicht machbar und effizientere Methoden werden benötigt, um einer Nahrungsmittelkrise zuvorzukommen.
Auch der schon erwähnte Einfluss, den die landwirtschaftliche Tierhaltung auf den Klimawandel hat, hat ethische Auswirkungen. Wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, unseren Planeten langfristig bewohnbar zu halten. Dabei muss aber auch sichergestellt werden, dass diese Ziele auch tatsächlich verfolgt werden. Darüber hinaus muss man aber auch die potenziellen ethischen Nachteile bedenken: Kultiviertes Fleisch zielt darauf ab, Landwirtschaft nachhaltig zu verändern. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf Landwirte und die dazugehörigen Industrien wie zum Beispiel Schlachthöfe und Futtermittellieferanten. Diese strukturellen Herausforderungen müssen mitbedacht werden, und alle beteiligten Parteien müssen im Gespräch bleiben, um potenzielle Nachteile abzufangen und alternative Arbeitsplätze zu schaffen.
Gibt es gesundheitliche Risiken oder Unsicherheiten im Zusammenhang mit kultiviertem Fleisch?
Kultiviertes Fleisch gilt als neuartiges Lebensmittel, „Novel Food“, welches strengen Regularien unterliegt bezüglich der Verträglichkeit und Sicherheit. Entsprechend müssen sich alle Hersteller diesem Zulassungsverfahren unterziehen, indem jeder Aspekt der Produktion und das Endprodukt auf ihre Sicherheit überprüft werden. Für Deutschland wird dieses Verfahren von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durchgeführt.
In erster Linie soll kultiviertes Fleisch genau das konventionelle Produkt widerspiegeln, auch in seiner Zusammensetzung. Dies bedeutet auch, dass Verzehr in großen Mengen ähnlich problematisch ist wie der Verzehr von konventionellem Fleisch. Durch die regulierte Produktion besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass das Fleisch gesünder gemacht werden kann, zum Beispiel durch einen höheren Anteil an gesunden Fettsäuren oder einen optimierten Proteingehalt.
Wie hoch ist aktuell der Energie- und Ressourcenaufwand für die Herstellung – ist Laborfleisch wirklich nachhaltiger?
Es wurden Nachhaltigkeitsstudien durchgeführt, die davon ausgehen, dass im finalen Prozess über 90 Prozent Einsparungen der Ressourcen (Land, Wasser, CO2-Ausstoß) möglich sind. Dies beinhaltet eine nahezu optimale Umgebung, inklusive kurzer Transportwege zwischen Produktion und Verbraucher. Nutzung von ausschließlich erneuerbarer Energie und geringer Wasserverbrauch in der Produktion.
Während wir natürlich alles daran setzen diese Ziele zu erreichen, bleiben diese Zahlen Vorhersagen. Ob die Produktion tatsächlich so optimiert werden kann, dass sie nachhaltiger ist als zum Beispiel eine rein vegane Ernährung, muss noch bewiesen werden. Nachhaltiger als konventionelle Landwirtschaft, insbesondere in Bezug auf Landnutzung und CO2-Ausstoß, wird jedoch als Minimalvoraussetzung für den Erfolg von kultiviertem Fleisch angesehen.
Warum sind die Produktionskosten bisher noch so hoch, und wann könnte sich das ändern?
Kultiviertes Fleisch befindet sich noch immer in der Forschungs- und Entwicklungsphase und es wird viel in einem kleinen Maßstab gearbeitet.
Viele Methoden und Materialien, die bei der initialen Entwicklung verwendet werden, kommen ursprünglich aus der medizinischen Forschung, bei der der Preis eine untergeordnete Rolle spielt. Es gibt bisher auch noch wenige Firmen, die die benötigten Rohmaterialien kostengünstig und in Lebensmittelqualität herstellen.
Wir sehen jetzt schon große Fortschritte, insbesondere durch intensive Forschung, um den Prozess effizienter und günstiger zu gestalten. Je mehr die Industrie wächst, desto schneller werden die Preise auch weiter sinken.
Zur Markteinführung werden die meisten Produkte sicher noch im oberen Preissegment angesiedelt sein, die Industrie erwartet jedoch, innerhalb weniger Jahre konkurrenzfähige Preise zu konventionellem Fleisch zu erreichen.
Wann könnten Produkte aus kultiviertem Fleisch in Deutschland erhältlich sein – und welche Hürden gibt es noch?
Um kultiviertes Fleisch in Deutschland verkaufen zu dürfen, muss ein Antragsverfahren für neuartige Lebensmittel „Novel Food“ der Europäischen Union durchlaufen werden. Dieses stellt sicher, dass ein Lebensmittel wie kultiviertes Fleisch tatsächlich ohne Bedenken verzehrt werden kann. Parallel arbeiten wir an der Skalierung unseres Prozesses und der weiteren Senkung der Produktionskosten und gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren die ersten Produkte in den Supermarkt kommen.
Wie stehen Verbraucher in Deutschland heute zu Laborfleisch – gibt es Umfragen oder erste Trends?
Es wurden verschiedene Studien innerhalb Europas durchgeführt, bei denen zwischen 20 und bis zu 90 Prozent der Teilnehmer bereit waren, kultiviertes Fleisch zu testen. Es sind keine speziellen Daten zu Deutschland verfügbar, aber es scheint ein großes Interesse an der Thematik zu bestehen, und wir sind überzeugt, dass ein Produkt hoher Qualität zu einem kompetitiven Preis viele Menschen ansprechen wird.
Wie unterscheidet sich Cultivated Meat von pflanzlichen Fleischalternativen, die es bereits im Supermarkt gibt?
Im Gegensatz zu den pflanzlichen Fleischalternativen ist kultiviertes Fleisch echtes Fleisch, nicht nur ein Imitat. Geschmack und Zusammensetzung sind entsprechend identisch mit konventionellem Fleisch.
Und während sich pflanzliche Alternativen in den letzten Jahren unglaublich verbessert haben und die Nachfrage danach sicher steigend ist, ist nicht jeder bereit, sich komplett vegetarisch oder vegan zu ernähren. Entsprechend bietet kultiviertes Fleisch hier eine Alternative: echtes Fleisch ohne die Nachteile der Massentierhaltung.
In welchen Ländern gibt es bereits zugelassene Produkte – und was können wir daraus lernen?
Bisher wurden Produkte, die kultiviertes Fleisch enthalten, in Singapur und den USA für den menschlichen Verzehr zugelassen. In Großbritannien wurde ein Produkt als Tierfutter für Hunde und Katzen zugelassen.
Dies zeigt, dass die Produktionsmethode von den zuständigen Behörden grundsätzlich als sicher angesehen wird. Außerdem wurde über die bisher zugelassenen Produkte tendenziell sehr positiv berichtet, und sie werden auch gut angenommen, obwohl sie noch in einem oberen Preissegment angesiedelt sind. Dies sind natürlich sehr positive Aussichten und es zeigt, dass der Markt nicht nur theoretisch besteht.
Wird kultiviertes Fleisch in Zukunft eine echte Alternative für die breite Masse – oder bleibt es ein Nischenprodukt?
Es ist davon auszugehen, dass sich ein qualitativ hochwertiges und preislich bezahlbares Produkt ausreichend durchsetzen wird und damit zu einer echten Alternative wird. Dies hat sich auch mit veganen Alternativprodukten bewahrheitet, die anfangs auch ein reines Nischenprodukt waren und inzwischen für die breite Masse verfügbar sind. Es ist zu hoffen, dass in wenigen Jahren ausreichend Optionen für jeden Geschmack verfügbar sind – kultiviertes Fleisch, vegane Ersatzprodukte, andere alternative Proteinquellen – dass wir als Gesellschaft unseren Proteinbedarf decken können, ohne Raubbau an der Natur und anderen Lebewesen zu betreiben. Wenn wir zurückkommen zu einem gemäßigten Fleischverbrauch, bei dem im Schnitt nicht mehr als einmal pro Woche konventionelles Fleisch gegessen wird, dann kann dieses auch wieder auf humane Weise gewonnen werden.