Der Start-up-Verband sieht in dem Koalitionspapier von Schwarz-Rot viel Licht. Dennoch werfen vor allem die fehlenden erfolgreichen Finanzrunden für Gründer einen Schatten auf die Szene. Dabei sei Deutschland technologisch stark genug, so Carolin Ackermann und Bernd Pohl.
Frau Ackermann, die neue schwarz-rote Bundesregierung legt in ihrem Koalitionsvertrag Wert auf Start-ups mit einem Zukunftsfonds, der WIN-Initiative und der Mobilisierung von privatem Kapital. Sind Sie damit zufrieden?
Dies wurde im Start-up-Verband positiv aufgenommen. Neben den Kapital-Initiativen, die Sie erwähnt haben, soll auch ein One-Stop-Shop für Gründungen aufgesetzt werden. Dies soll Gründungen bürokratiearm beschleunigen, damit sie theoretisch innerhalb eines Tages geschehen können. Das beginnt bei notariellen Urkunden, die digital erstellt werden, geht weiter über Bankthemen und Registereintragungen, was normalerweise mehrere Wochen dauert. Gerade in Ländern wie Estland, die hochdigitalisiert sind, geschieht das innerhalb eines Tages.
Herr Pohl, der Start-up-Verband bemängelt dennoch etwas: Es gäbe kaum Kapital für spätere Finanzierungsrunden. Warum nicht?
Pohl: Ein Beispiel, das wir vor Kurzem gesehen haben: Cognigy, ein Unternehmen aus Düsseldorf, das ein Software-Baukasten-System für KI-Chatbots anbietet, ging für 955 Millionen Dollar an den US-Konzern Nice. In Deutschland gab es niemanden, der mutig genug oder kapitalstark genug war, um einzusteigen. Zum einen also fließt deutsches Ingenieurswissen durch einen Exit ab, also einen Unternehmensverkauf der Gründer. Aber auch schon vorher werden gelegentlich auch mal 100 Millionen Euro an Finanzspritzen gebraucht, damit die Firmen am Markt skalieren können. Und diese Gelder finden sich in Europa oder in Großbritannien eher selten, sondern in den USA und Asien. Somit verlieren wir Wertschöpfung und Know-how, selbst wenn das Hauptquartier in Deutschland bleibt. Späte Finanzierungsrunden bleiben also auch mit dem neuen Koalitionsvertrag selten.
Wie verhält es sich auf europäischer Ebene?
Pohl: Das ist länderspezifisch unterschiedlich. Frankreich investiert beispielsweise strategisch in KI-Technologie, das ist Chefsache im Élysée-Palast. Das Geld aber fließt hauptsächlich in französische Start-ups und wir sehen erste Erfolge im Unternehmen Mistral. Das ist für Frankreich und damit auch für ganz Europa gut, hat aber für uns hier in Deutschland jetzt keine direkte Auswirkung.
Auch der Bürokratieabbau wird vom Start-up-Verband gefordert. Frau Ackermann, Sie haben bislang eine Firma gegründet, Herr Pohl mehrere. Was war bei Ihnen die größte Hürde?
Ackermann: Vor allem im Deep-Tech-Bereich, also in der Kombination von Hardware und Software, kommen viele Start-ups aus der Forschung und müssen für den Transfer Pilotanlagen bei ersten Kunden platzieren. Hierfür gibt es unterstützende Förderprogramme, diese sind jedoch sehr verwaltungsintensiv. Zudem stoßen die Teams auf aufwändige Genehmigungsverfahren, haben hierfür aber kein extra ausgebildetes Personal.
Ich kann zwei Beispiele nennen: Die Bürokratie auf Seiten der Kunden ist das eine. Wir haben ein B2B-Geschäft, verkaufen also Anlagen an größere Geschäftskunden. Die wollen unsere Anlagen bauen, treffen dann aber auf Bürokratie seitens Baugenehmigungen oder Tierschutz und Nahrungsmittelverarbeitung. Vor allem die Baugenehmigungen dauern lange, teils über ein Jahr lang. So kommen die Projekte lange Zeit nicht vom Fleck. Sprechen wir zweitens über Fördertöpfe, gibt es bundesweit 16 verschiedene Vorgehensweisen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Ein Start-up kann es sich kaum leisten, sich in die Förderkulisse jedes Bundeslandes einzuarbeiten. In meinem Unternehmen sind wir mittlerweile Meister darin, Stellungnahmen für Behörden zu schrei-
ben, weil diese Risikominimierung betreiben und lieber nichts entscheiden als etwas Falsches. Zielführender wäre ein vom Bund geschaffener, genehmigter Raum für Pilotvorhaben, an denen sich Behörden orientieren können.
Pohl: Auf der abstrakten Ebene wäre es hilfreich, wenn es Ausnahmeregelungen gäbe. Zum Beispiel sind es das Transparenzregister, die Datenschutz-Grundverordnung, das Steuerrecht, Registereinträge, Arbeitszeitnachweise und vieles mehr, die Zeit und Personal kosten. Viele kleinteilige Dinge, die auch von einem Start-up mit vier Personen geleistet werden müssen. Diese müssen einen großen Teil mit Bürokratie und eben nicht am Aufbau ihres Produktes oder ihrer Dienstleistung verbringen. Die andere Alternative: Man schiebt die Dinge vor sich her und bewegt sich damit rechtlich schon am Rande der Legalität. Finanzielle Hilfe gibt es zwar auch beispielsweise bei SPRIN-D, der deutschen Agentur für Sprunginnovationen. Die aber kennt kaum jemand. Und dort wäre es hilfreich, wenn deren Themenbereiche und auch die Anzahl der Projekte, die gefördert werden, erweitert würden. Aktuell ist es so, dass viele Förderanträge abgelehnt werden, weil sie nicht zum SPRIN-D-Fokus gehören. Vor allem braucht es generell stärkere Unterstützung bei der Markteinführung eines Produktes.
Ackermann: Ich glaube, wir brauchen nicht noch zehn staatliche Initiativen, die auch dann eigene Verwaltungen aufbauen. Wir brauchen wenige, aber spezialisierte und großzügig mit Geld ausgestattete Instrumente. Ein Beispiel ist EXIST, ein Programm des Bundeswirtschaftsministeriums, das sehr erfolgreich seit Jahrzehnten existiert und das auch unsere Firmen gefördert hat. Das hat sich als kraftvoll bewährt, um Steuergelder als Wirtschaftsförderung sinnvoll und nachhaltig zu investieren.
Die Koalition will Zukunftstechnologie voranbringen: Quantencomputing, Raumfahrt, Kernfusion, Künstliche Intelligenz. Ist die Start-up-Landschaft dafür bereit, angesichts vielversprechender deutscher Firmen in diesen Bereichen?
Pohl: Technologisch sind wir stark genug. Das sehen wir zum Beispiel an dem Quantenlabor, das in Saarbrücken aufgebaut wird, an Raumfahrtunternehmen wie Isar Aerospace oder vielen An-Instituten in der Kernfusion. Auch die Hardware-Seite haben wir im Griff. Die Skalierung ist das Problem, wenn 200 bis 400 Millionen Euro nötig werden. Gibt es hier private Investoren, die sich dem annehmen? So wie beispielsweise SAP, die 2023 in Jonas Andrulis‘ KI-Unternehmen Aleph Alpha investiert haben. Diese Gelder in diesen Dimensionen wird es brauchen und hier wird sich zeigen, ob wir das nicht auf europäischer Ebene stemmen müssen.
Ackermann: Diese Technologien bringen jedoch keine kurzfristige Rendite, sondern hier ist in Perspektive vielleicht erst in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren mit zählbaren Erfolgen zu rechnen. Aber es lohnt sich, siehe Amazon oder Tesla, die lange und viel Geld bis zu ihrem heutigen Erfolg gebraucht haben. Trotzdem brauchen auch wir Unternehmen dieser Art, die eben auch Arbeitsplätze schaffen, während andere Industrien wie die Automobilbranche derzeit Schwierigkeiten haben und sogar Arbeitsplätze abbauen. Es zeigt sich aber, dass genau dies unsere Stärke ist: Ingenieurswissen, Hardware und Maschinenbau. Dies mit Software zu kombinieren, wird die Herausforderung der Zukunft.
Welche Standortfaktoren sprechen denn für das Saarland als Start-up-Land? Die Hotspots liegen woanders, zum Beispiel in Berlin.
Ackermann: Als Hotspot kann man uns nicht bezeichnen. Wir verfügen aber über kluge Köpfe, starke Hochschulen, einen starken Mittelstand und Industrie. Kurze Wege und enge Vernetzung helfen dabei, Türen zu öffnen, und das recht schnell und unkompliziert, mit viel Hilfe untereinander. Von etablierten Unternehmen braucht es hier jedoch noch mehr Offenheit, um Kunde oder Investor bei einem Start-up zu werden. Es gibt wenig Wagniskapital, auch nicht von privaten Investoren, die wir durchaus auch hier im Saarland haben könnten. Doch dort ist das Investment in Start-ups in den letzten Jahren stark zurückgefahren worden, weil es einige Rückschläge gab.
Das Saarland hat ein wichtiges Projekt für Start-ups gewonnen, die „Southwest X – Bridge to Innovation“. Wurde so die Sichtbarkeit des Saarlandes erhöht?
Ackermann: Ja, mit der Start-up-Factory haben wir die richtige Maschinerie, eine Plattform, die skalierbare Gründungsvorhaben aus Wissenschaft und Forschung international vernetzt, gezielt weiterentwickelt und marktfähig macht. Dort wird dann zum Beispiel auch all das rechtliche, steuerliche, finanzielle Know-how vermittelt, das ein Start-up kennen muss und sich ansonsten schmerzhaft im „learning by doing“ selbst aneignen muss. Ein Ökosystem, das eng miteinander verzahnt Wissen produziert und an Gründer weitergibt, damit sich das System weiterentwickelt. Entwickelt hat dies ein Konsortium rund um die Gründerinitiative „Triathlon“ an der Uni, das DFKI und viele weitere. Dafür gibt es zehn Millionen Euro Bundesfördergelder. Jetzt muss dies strategisch weiterverfolgt und zur Chefinnensache gemacht werden.
Pohl: Kleine kompakte Strukturen wie bei uns helfen da. Politisch aber ist dies schwierig. In den kommenden Jahren sind viele Arbeitsplätze möglich, aber wir haben noch immer Zehntausende Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Im Augenblick ist die Politik kommunikativ nicht in der Lage, dem Wähler zu vermitteln, dass es jetzt schon Weichenstellungen für neue Unternehmen geben muss, um mögliche Arbeitsplatzverluste aufzufangen. Die Ängste sind real, Politik agiert vorsichtig. 250 Jahre Großindustrie haben im Saarland kein Gründer-Gen wachsen lassen.
Es gibt doch jetzt schon recht viele Initiativen für Start-ups im Saarland, von Fase-Network bis EDIH oder dem East Side Fab. Brauchen wir noch mehr Vernetzung?
Ackermann: Der Netzwerkgedanke ist wichtig. Dort haben wir auch viel Arbeit hineingesteckt. Es braucht wenige, qualitativ hochwertige Formate für Gründende. Auch hier braucht es dann wieder Zeit, bis es sich auszahlt. Aber, nochmal: Es fehlt nach wie vor das Geld für Skalierungen, um Start-ups über eine gewisse Schwelle zu heben und sie erfolgreich und nachhaltig zu etablieren. Und es fehlt an Sichtbarkeit: Start-up-Unternehmerinnen und -unternehmer im Land sind in der Öffentlichkeit des Saarlands viel zu wenig präsent.
Wie sehen Sie die Fähigkeiten der Landesregierung in ihrem Bemühen Start-ups im Land zu fördern?
Ackermann: Seit zwei bis drei Jahren ist das Thema Start-ups prominenter auf der Agenda als vorher. Das sehen wir auch an der Start-up Factory, die Unterstützung der Landesregierung hat sich da ausgezahlt. Trotzdem fehlt es an Grundlagenthemen. Ein Start-up ist keine klassische Gründung wie beispielsweise ein Meisterbetrieb im Handwerk. Da gibt es sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Erfordernisse und das wird im politischen Betrieb nicht immer trennscharf unterschieden. Es gibt Initiativen, Förderprogramme, aber oftmals zu kleinteilig. Zum Beispiel das Starter-Stipendium. Das ist gut, aber bringt kein Start-up ans Laufen mit 1500 Euro monatlich, das ist höchstens ein kleiner Zuschuss.
Pohl: 20 Millionen Euro aus dem saarländischen Transformationsfonds als Risikokapital mit Beteiligungen, wie derzeit verhandelt wird, plus private Investoren wären da nun ein richtiger Schritt. Das ist ein modernes, ein typisches Start-up-Instrument. Die Offenheit ist nun da im Ministerium, die Fachkompetenz mittlerweile ebenso. Das Programm ist seit Anfang des Jahres angekündigt, aber immer noch nicht verfügbar. Das Tempo lässt also noch zu wünschen übrig. Ebenso die Kreativität bei der Entbürokratisierung. Auch bei Steuern. Eine abgesenkte Gewerbesteuer könnte auch Start-ups im Land helfen.
Ein Reizthema für die Kommunen.
Ackermann: Ja, aber ein neues Unternehmen in der Kommune bringt auch neue Arbeitsplätze. Auch hier müssen wir längerfristig denken lernen.