Drei Fragen
„Bildung fängt für uns in der Kita an“
Woanders werde die Kindertagesstätte oft als Betreuungseinrichtung verstanden. In Sachsen sei sie explizit eine Bildungseinrichtung, erklärt der sächsische Bildungsminister Conrad Clemens (CDU).
Herr Clemens, herzlichen Glückwunsch zum erneuten ersten Platz im IW-Bildungsmonitor, wie schafft Sachsen das?
Da sind viele Faktoren, die zusammenlaufen müssen, um die beste Schule Deutschlands zu werden und die Position auch halten zu können. Der höchste Ausgabenposten im sächsischen Haushalt geht in Bildung, daraus werden dann gute Schulqualität, hohe Ausgaben für Forschung, geringe Bildungsarmut. Doch Bildung fängt für uns in Sachsen viel früher an. Gerade im Westen wird die Kindertagesstätte vor allem als Betreuungseinrichtung verstanden, bei uns ist es eine Bildungseinrichtung.
Sachsens Bildungserfolg, wiederholt durch den IW-Monitor und Pisa bestätigt, verdanken Sie also der vollumfänglichen Tagesbetreuung schon der Kleinsten?
Das ist der erste Schritt dahin, Familien können ihre Kinder jeden Tag bei uns für bis zu neun Stunden in die Kindertagesstätte bringen. Wir bieten für alle Krippenplätze schon ab dem ersten Lebensjahr an. Wir haben einen hohen Personalschlüssel und zwölf Prozent der Betreuungskräfte in den Kitas haben ein abgeschlossenes Studium. Wir bieten dann in der Schule eine flächendeckende Ganztagsbetreuung. Dazu kommen multiprofessionelle Teams, Schulassistenten, Schulpsychologen, die den Lehrkräften, aber auch Schülern helfen. Dieses umfassende Bildungssystem von der Krippe bis zur Hochschule ist ganz sicherlich auch ein DDR-Erbe, dass wir uns erhalten haben, und dieses umfassende Betreuungssystem sorgt auch dafür, dass wir die höchste Beschäftigungsquote von Frauen von allen Bundesländern haben.
Schulische Bildung setzt auch voraus, dass alle Kinder Deutsch sprechen. Plädieren Sie für eine Lernstandserhebung ab dem vierten Lebensjahr?
Das ist die Grundbedingung, dass wir ab dem vierten Lebensjahr bei Sprachdefiziten nachsteuern können, Sachsen und Hamburg haben es vorgemacht. Ab dem kommenden Jahr, soweit ich weiß, wird der Lernstandstest auch in Berlin Pflicht und das ist der Grundstein, damit die Kinder dann auch an der Schule erfolgreich sind. Hamburg liegt hinter Bayern mittlerweile auf Platz drei beim IW-Bildungsmonitor. Damit haben wir eine Bestätigung, dass man so eine Untersuchung vor der Grundschule braucht. Interview: Sven Bargel
Mehrwertsteuer für Restaurants soll sinken
Das Bundeskabinett hat die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen für die Gastronomie beschlossen, die Zustimmung im Bundestag im Oktober gilt als sicher. Vor allem die CSU hatte sich dafür stark gemacht und gegen den Willen von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) schon jetzt durchgesetzt. Klingbeil wollte die Mehrwertsteuer frühestens 2027 von derzeit 19 auf sieben Prozent absenken. Nun kommt diese Senkung schon zum 1. Januar kommenden Jahres. Ob ab dem 1. Januar dann tatsächlich die Gerichte in den Restaurants preiswerter werden, ist fraglich. Es gibt keine Verpflichtung, die Ersparnis an die Kunden weiterzugeben. Guido Zeitler, Chef der Gastro-Gewerkschaft NGG, ist sich sicher, dass die Gastronomen „viele fadenscheinige Gründe“ finden werden, warum sie die zwölf Prozent dringend selbst brauchen. Bundesfinanzminister Klingbeil kündigte an, die Wirkung der Mehrwertsteuer-Senkung in den Restaurants genau zu beobachten. Wenn die Senkung bei den Gästen nicht ankomme, wolle er prüfen, ob der ermäßigte Umsatzsteuersatz wieder zurückgenommen werde, so Klingbeil.
Bleiben die Milliarden für die Infrastruktur wirkungslos?
Der Bundesrechnungshof hat Zweifel an der Wirksamkeit des Sondervermögens Infrastruktur für die Länder: Die eingeplanten 100 Milliarden Euro Bundeshilfen für die Länder könnten wirkungslos verpuffen. In einem Bericht an den Haushaltsauschuss des Bundestags heißt es, das Risiko sei hoch, dass keine zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur in den Ländern zustande kommen. In ihrer Kritik führen die Rechnungsprüfer an, dass der Bund aus unerfindlichen Gründen auf Mindestvorgaben verzichtet, etwa zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit von Projekten. Auch fehlten haushaltsrechtlich vorgeschriebene Erfolgskontrollen, konkretisierte Gesetzesziele und Rückforderungsmechanismen. Ohne „diese elementaren Grundbedingungen“ bleibe der Gesetzesentwurf „substanzlos“, so der Bundesrechnungshof in seiner Stellungnahme für den Haushaltsausschuss des Bundestages. Bundestag und Bundesrat hatten ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz beschlossen, inklusive 100 Milliarden für die Länder.
Mehr übergewichtige Kinder
Erstmalig leben auf der Welt mehr übergewichtige als untergewichtige Kinder und Jugendliche, so das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef in seiner Erhebung 2025. Mittlerweile sind 20 Prozent der Fünf- bis 19-Jährigen für ihr jeweiliges Alter und ihre Körpergröße zu schwer. Kinder- und Jugendärzte, aber auch Ernährungswissenschaftler warnen seit Jahren vor der Entwicklung: vor der ständigen Präsenz und intensiven Vermarktung stark zucker-, salz- und fetthaltiger Lebensmittel, vor allem von süßen Getränken. Bislang war Untergewicht die häufigste Form der weltweiten Fehlernährung. In den vergangenen 25 Jahren ist die Quote der Untergewichtigen von 13 auf knapp neun Prozent gesunken, so der Unicef-Bericht, der sich auf Daten aus 190 Ländern stützt. Im selben Zeitraum ist das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen von drei auf fast zehn Prozent gestiegen.
Digitale Einsatzbereitschaft fragwürdig
Sicherheitspolitiker der Grünen bezweifeln, dass die Bundeswehr rechtzeitig mit Digitalfunk ausgestattet ist. Es ist eines der wichtigsten Rüstungsprojekte, das die Grünen in ihrer Regierungszeit während der Ampel forciert haben. Auch aus den Reihen der Bundeswehr wurden gegenüber FORUM immer wieder Zweifel daran geäußert. So waren etwa die Digitalfunkgeräte der neu aufgestellten Litauen-Brigade nicht kompatibel mit den Geräten der polnischen Einheiten, die eingesetzten Soldaten griffen auf private Handys zurück. Solche „Systemdifferenzen“ bestehen offenbar auch mit anderen Nato-Partnern. Ein Ministeriumssprecher in Berlin erklärt, die Integration der Digital-Technik schreite „planmäßig voran“. Es sei normal, dass Probleme auftauchten und gelöst werden müssten.
Bundesverfassungsgericht
Neue Kandidatin
Der erste Anlauf zur Wahl dreier Verfassungsrichter ist im Juli im Bundestag blamabel für das Parlament gescheitert, weil die Union die von der SPD vorgeschlagene Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf abgelehnt hat. Nun haben sich die Fraktionsvorstände von Union und SPD im Bundestag auf die Verwaltungsrichterin Dr. Sigrid Emmenegger als neue SPD-Kandidatin für das Amt einer Verfassungsrichterin geeinigt. Die 48-jährige Freiburgerin war in Karlsruhe bereits von 2009 bis 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, wurde anschließend Richterin am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz und ist seit 2021 am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig tätig. Die Fraktionsführungen von Union und SPD sind „von ihrer persönlichen und fachlichen Eignung für das Amt überzeugt“, so die gemeinsame Erklärung. Die neue Kandidatin ist aber offenbar nicht mit den Grünen und Linken im Bundestag abgestimmt. „Wir werden uns jetzt zeitnah dazu austauschen“, reagiert die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann auf den Vorschlag. „Dass man nicht auf unsere Rückmeldung wartet, ist reichlich unprofessionell angesichts der Vorgeschichte“, zeigte sich Haßelmann über das Vorgehen von Union und SPD verschnupft. Die erneute Wahl der drei Verfassungsrichter soll offenbar am Freitag, 26. September, im Bundestag stattfinden, die Kandidaten benötigen eine Zweidrittelmehrheit, also unbedingt auch die Stimmen von Grünen und Linken.
Sachsen wieder Nummer eins bei Betreuung und Bildung
Beim IW-Bildungsmonitor 2025 hat Sachsen erneut seine herausragende Stellung bei der Bildung an Grund-, Ober- und Hochschulen verteidigt und liegt in der aktuellen Erhebung vor Bayern, das erneut auf dem zweiten Platz gelandet ist. Überraschend belegt Hamburg den dritten Platz. „Gerade im Westen wird die Kindertagesstätte als Betreuungseinrichtung verstanden, bei uns in Sachsen ist es eine Bildungseinrichtung“, erklärt der sächsische Bildungsminister Conrad Clemens (CDU) den wiederholten Erfolg. Bis zu neun Stunden täglich können die Kinder fünf Tage die Woche untergebracht werden. Auch werden flächendeckend Krippenplätze für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr angeboten. „Dieses Betreuungssystem von der Krippe bis zur Oberschule ist ganz sicherlich auch ein DDR-Erbe, das wir uns erhalten haben. Es sorgt auch dafür, dass wir die höchste Beschäftigungsquote von Frauen von allen Bundesländern haben“, so Bildungsminister Clemens.
Krankenkassen
Zeit der Kommissionen
Der von Bundeskanzler Friedrich Merz ausgerufene „Herbst der Reformen“ ist bereits in diesem Spätsommer zu einer Zeit für Kommissionen geworden. Die Präsidentin des Bundesrates, Anke Rehlinger (SPD), bestätigte im FORUM-Gespräch, dass jetzt zuerst die Kommissionen tagen, um dann im nächsten Jahr nachhaltige Reformen beschließen zu können. Mitte September hat nun auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die „Kommission zur Stabilisierung der GKV“ vorgestellt. Die 16 Mitglieder sollen bis zum nächsten Sommer vor allem einen finanziellen Reformplan für die Gesetzlichen Krankenversicherungen vorstellen. Die Gesetzlichen rechnen auch in diesem mit einem Minus ihrer Kassen von um die sechs Milliarden Euro, so erste interne Überschlagrechnungen vom August, die FORUM vorliegen. Im vergangenen Jahr waren es 6,5 Milliarden mehr Ausgaben als Einnahmen. Unterdessen hat der GKV-Gesamtverband eine Klage gegen die Bundesregierung angekündigt, es geht um die staatlichen Zuzahlungen für Bürgergeld-Empfänger, die viel zu niedrig sind. Demnach müssen die Gesetzlichen für Gesundheitsleistungen der Bürgergeld-Empfänger jedes Jahr um die zehn Milliarden Euro zulasten der Versicherten zuzahlen.
Immer weniger Apotheken
Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist im ersten Halbjahr um 238 auf 16.803 gesunken. Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda), Thomas Preis, ist besorgt. „Das Apothekensterben wird weitergehen, es sei denn, es kommt jetzt sehr schnell eine Anpassung des Honorars und eine Dynamisierung.“ Mit Dynamisierung ist gemeint, dass Apotheken steigende Kosten weiterreichen und so mehr Geld bekommen können. Zu den Gründen der Schließungen zählen Kostendruck und Probleme bei der Nachfolgesuche. Unter Druck geraten stationäre Apotheken auch durch Online-Apotheken. Diese Konkurrenten, die auf Bestellungen im Internet setzen, sehen die Entwicklung weniger dramatisch. Der Rückgang der Vor-Ort-Apotheken gefährde nicht die Versorgung, da die Schließungen meist Gebiete mit hoher Apothekerdichte beträfen, heißt es in einem Papier des europäischen Verbandes der Online-Apotheken EAEP. Man brauche keine „Panikmache“. Union und SPD wollen die Vergütung laut Koalitionspapier verbessern.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Der Eurovision Song Contest (ESC) wirft Schatten voraus – obwohl das Finale in Wien noch acht Monate entfernt ist. Leider ist die Aussicht dunkel: Der fröhlich-poppige Wettbewerb von 56 Nationen ist zum geopolitischen Schauplatz geworden – vor allem durch Boykottaufrufe gegen Israel, das beim ESC seit Jahren glänzt.
Besondere Nervensäge: Spaniens Premier Pedro Sánchez. Er nutzt den staatlich kontrollierten Sender RTVE für antiisraelische Ausfälle – offenbar, um seine wackelige Linkskoalition zu kitten. Das ist Missbrauch eines Kulturereignisses für innenpolitische Zwecke.
Auch andere scheren aus: Irland, Niederlande, Slowenien. Dabei war das bunte Sangesturnier immer ein Fest der Verständigung –
eine Plattform, bei der ideologische Agenden einen Abend lang keinen Platz haben. Millionen fiebern Jahr für Jahr Chips knabbernd und mit einem guten Getränk vor dem Fernseher mit.
Natürlich bewegt sich kein Event dieser Größenordnung völlig außerhalb der Weltpolitik. Doch der ESC lebt von einer stillen Übereinkunft: Musik steht im Mittelpunkt, Konflikte bleiben draußen. Wer droht, nicht mehr teilzunehmen, wenn ein unliebsames Land auftritt, verlässt diesen Konsens.
Israel hat sich an die Regeln gehalten, der Senderverband EBU hat die Teilnahme zugelassen. Wer das nicht akzeptiert, greift das Fundament des ESC an. Dazu gehören auch Buhrufe im Saal, gegen die Israels Künstlerinnen bereits ansingen mussten – und trotzdem das Publikum bezauberten. Verwerflich ist nicht Israels Präsenz, sondern das Verhalten derer, die den ESC mutwillig politisieren.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.