Auf den deutschen Autobahnen fehlen Milliarden. Trotz Sondervermögen Infrastruktur könnten etliche Projekte auf der Strecke bleiben, fürchten die Verkehrsminister der Länder. Denn der Bund spart laut Studien mithilfe eines „Verschiebebahnhofs“.
Es gibt viel zu tun: Rente, Verteidigung, Infrastruktur. Die Bundesregierung gibt dafür Milliarden aus – und hat am Ende dennoch zu wenig Geld, um alles gleichermaßen anzugehen. Ein Beispiel: die Autobahnen. „Das Geld ist da, jetzt muss Deutschland auch zeigen, dass es den Mut hat, mutige Projekte umzusetzen“, sagte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel. Er mahnte zu Geschwindigkeit beim Umsetzen von Reformen. Beim Straßenbau und bei der Sanierung aber drohen Stillstände. Das Bundesverkehrsministerium sieht Milliardenlücken in den kommenden Jahren. Die Länder sind daher besorgt: Es geht um den Ausbau und die Instandsetzung von Fernstraßen, Schienenwegen und Wasserstraßen. Bei ihrer Konferenz in München forderten die Länder-Verkehrsminister die Bundesregierung daher auf, eine auskömmliche Finanzierung für Ausbau, Erhalt und Sanierung der Verkehrsinfrastruktur des Bundes sicherzustellen.
Geld ist vorhanden. Aber nicht genug. Die festgestellte Finanzierungslücke ist eklatant. Eine Sprecherin von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) sagte, das Defizit des Ressorts für Bundesfernstraßen liege für den Zeitraum 2026 bis 2029 bei rund 15 Milliarden Euro. Das könnte bedeuten, dass geplante Maßnahmen nicht gestartet, Aufträge nicht vergeben werden.
„Unverständlich“ und „kontraproduktiv“
Die Verantwortung eines gewaltigen Etats liegt beim Bundesverkehrsminister. Für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gäbe es in dieser Legislaturperiode 166 Milliarden Euro, so Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD). In keinen Bereich investiert die Bundesregierung mehr als in den Verkehr. Die Verantwortung, wie das Geld ausgegeben werde, trage aber Schnieder selbst, sagte Klingbeil. „Die 166 Milliarden in dieser Legislatur zu verbauen, das ist wirklich eine Herkulesaufgabe.“ Bewilligte Mittel waren jedoch in den vergangenen Jahren nicht immer vollständig ausgegeben worden. Alleine dieses Jahr geht es laut Finanzministerium um 33,4 Milliarden Euro aus dem Kernhaushalt und Sondertöpfen, die nun für Investitionen zur Verfügung stünden, davon zehn Milliarden für Bundesfernstraßen. Das seien allein bei den Straßen 1,5 Milliarden mehr als im Vorjahr. In den kommenden Jahren werde dieser Wert gehalten. Nun müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren verbessert und vorrangige Projekte identifiziert werden.
Das Verkehrsministerium sieht trotzdem allein bei Projekten des Aus- und Neubaus von Autobahnen einen Mehrbedarf bis 2029 von 5,5 Milliarden Euro. Diese Zahl geht auch aus einem Bericht an den Verkehrsausschuss des Bundestags hervor. Dabei geht es um einen neuen „Finanzierungs- und Realisierungsplan“ 2025-2029 der Autobahn GmbH des Bundes. Als Grund wird insbesondere die starke Baupreisentwicklung in den vergangenen Jahren genannt. Die Kernaussage: Baufreigaben für insgesamt 74 Projekte, für die bis 2029 Baurecht erwartet wird, seien nur möglich, wenn das Budget der kommenden Jahre erhöht werde. Sprich: Selbst wenn ein Projekt genehmigt ist, würden die Bagger nicht rollen – weil laut Ministerium Geld fehlt. Konkret geht es dabei um 74 Projekte, beispielsweise die A1 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, wo die Lücke zwischen Kelberg und Blankenheim geschlossen werden soll. Nach letzten Schätzungen soll das Projekt 730 Millionen Euro kosten, wird aber derzeit noch durch Klagen verzögert. Während die rheinland-pfälzische Koalitionsregierung in Mainz dazu unterschiedliche Ansichten hat, äußerte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sehr deutlich: Dies sei „unverständlich“ und „kontraproduktiv“ – jetzt, da der Bund Milliarden in die Infrastruktur investieren wolle, erwarteten die Menschen, „dass mehr und nicht weniger gebaut wird“, so Wüst in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. In Nordrhein-Westfalen könnten Dutzende solcher Projekte vor dem Aus stehen. Andere Ministerpräsidenten und Verkehrsminister betroffener Bundesländer, etwa aus Niedersachen, Hessen und Baden-Württemberg, äußerten sich ähnlich. Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, sagte: „Verschobene oder gar gestrichene Bauprojekte heißt für die Bürgerinnen und Bürger: kaputte Brücken und Straßen, Sperrungen, Umleitungen, Stau“ – und für die Bauindustrie weniger sicher geglaubte Aufträge.
Das Problem: Für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz sollen in den nächsten zwölf Jahren Schulden von 500 Milliarden Euro aufgenommen werden (Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität, SVIK). Davon gehen 100 Milliarden an die Länder und 100 Milliarden an den Klima- und Transformationsfonds für Klimaschutzausgaben. Auf Bundesebene soll ein großer Teil des Geldes in die Verkehrsinfrastruktur gehen, aber nicht notwendigerweise in den Neubau, sondern vor allem in den Erhalt vorhandener Infrastruktur. Nun gibt es Kritik an „Verschiebebahnhöfen“ des Finanzministeriums. Geld aus dem Kernhaushalt würde ins Sondervermögen geschoben, um mit den frei gewordenen Mitteln im Kernhaushalt teure Wahlgeschenke wie die Ausweitung der Mütterrente oder steuerliche Entlastungen für die Gastronomie zu finanzieren, werfen die Grünen der schwarz-roten Koalition in Berlin vor.
Vom Bundeshaushalt ins Sondervermögen
Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kommt nach einer Untersuchung zum gleichen Schluss. Sie führen fünf Beispiele an: Für die Deutsche Bahn sind aus dem Sondervermögen 18,8 Milliarden Euro eingeplant. Gleichzeitig sinken die Schieneninvestitionen im Bundeshaushalt um 13,7 Milliarden Euro. Rechnet man die Eigenkapitalerhöhung der Deutschen Bahn raus, habe sich die Regierung 8,2 Milliarden Spielraum im Haushalt verschafft. Für Krankenhäuser seien 2026 sechs Milliarden Euro vorgesehen, die ursprünglich Krankenkassen und Länder jeweils hälftig tragen sollten. Diese Mittel laufen nun über das Sondervermögen Infrastruktur. Der Breitbandausbau taucht 2026 außerdem dort mit 2,3 Milliarden Euro auf. 2024 wurde er noch mit 1,8 Milliarden Euro im Kernhaushalt geführt, dort ist er künftig nicht mehr zu finden. „Mit dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) verwischt die Bundesregierung das Bild noch mehr“, so das IW Köln: Er erhalte ab 2025 jährlich zehn Milliarden Euro aus dem Sondervermögen, das Geld fließe aber höchstens geringfügig in zusätzliche Investitionen. „Rechnerisch werden mit den Mitteln aus dem SVIK damit größtenteils keine zusätzlichen Investitionen in die Klimaneutralität finanziert“, stellen die Forscher fest. Und auch bei Autobahnen wird im Kernhaushalt zugunsten des Sondervermögens gespart: Bei der Sanierung der Autobahnbrücken sollen 2026 2,5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen fließen. Gleichzeitig werden die Investitionen für Bundesfernstraßen im Kernhaushalt um 1,7 Milliarden Euro gegenüber 2024 gekürzt, rechnete das IW aus. Vor allem in der Verkehrsinfrastruktur verschaffe sich der Bund damit einen eigenen Spielraum von zehn Milliarden Euro, Geld, das eben nicht an anderer Stelle eingespart werden muss.
Die vom Verkehrsministerium gemeldeten 5,5 Milliarden Euro Mehrbedarf wären also vorhanden. Theoretisch. Insgesamt gäbe es laut dem Ministerium für Bundesstraßen und Autobahnen ein Defizit von 15 Milliarden Euro im Zeitraum von 2026 bis 2029. In einem Brief hat nun der Finanzminister seinen Kabinettskollegen darauf hingewiesen, dass man sich im Kabinett auf ebenjene Ausgaben geeinigt habe und der Verkehrsminister für Priorisierung und rasches Verbauen des Geldes verantwortlich sei. Bekannt ist dies nicht erst seit gestern. Schon Schnieders Vorgänger Volker Wissing hatte von Mehrbedarf von bis zu 25 Milliarden im Zeitraum von 2025 bis 2029 gesprochen. Dass diese Lücke trotz mehr Geld immer noch klafft, ist also mindestens unverständlich.